Oscar-Nominierungen 2011 Historienschinken schlägt Zeitgeistdrama

Eigentlich galt David Finchers Facebook-Film als Top-Favorit für die Oscars. Doch "The Social Network" wurde bei den Nominierungen ausgerechnet von einem Historiendrama und einem Western übertrumpft. Bei der Verleihung kann es zum Showdown zwischen Tradition und Innovation kommen.
Zuckerberg-Darsteller Jesse Eisenberg in "The Social Network": Favorit ausgebremst

Zuckerberg-Darsteller Jesse Eisenberg in "The Social Network": Favorit ausgebremst

Foto: Sony/ picture alliance / dpa

Vielleicht war es ein Omen, wahrscheinlich nur ein Zufall: Bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen zur brutal frühen Ortszeit in Los Angeles gerieten sowohl Academy-Präsident Tom Sherak als auch Schauspielerin Mo'Nique ins Stottern. Niedlich, wie die Oscar-Preisträgerin an der Wortfolge des Kategorie-Namens "Best Foreign Language Film" scheiterte, ein sympathisches Haspeln, das gleich eine Querverbindung zum neuen Favoriten der kommenden Oscar-Verleihung zulässt: In "The King's Speech" muss sich der junge und schlimm stotternde britische König George VI. erst mühsam rhetorische Qualitäten erarbeiten, um seine Nation in den Kampf gegen Nazi-Deutschland zu leiten.

Mit zwölf Nominierungen geht Tom Hoopers Historiendrama ins Rennen um die Academy Awards, dabei galt doch eigentlich ein ganz anderer Film als gesetzt, die Verleihung am 27. Februar zu dominieren: David Finchers Facebook-Biopic "The Social Network" , das in den vergangenen Wochen so gut wie jede der kleineren Preisverleihungen der Saison als bester Film verließ. Doch die so elegant wie rasant verfilmte Geschichte des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg wurde von den Academy-Mitgliedern zunächst mit nur acht Nominierungen in die zweite Reihe verwiesen, zugunsten eines gediegenen Königsdramas, das an die gefühlig-gelackten Oscar-Gewinner vergangener Zeiten erinnert, man denke an "Shakespeare in Love" oder "Der englische Patient". Dazu passt, dass die Firma des ehemaligen Miramax-Bosses Harvey Weinstein hinter "The King's Speech" steht; Weinstein verantwortete auch die Siegeszüge der Historienschinken in den Neunzigern.

Der Western, mit dem keiner rechnete

Und noch ein weiteres Traditionsformat übertrumpfte Finchers Facebook-Saga: Das Western-Remake "True Grit" der Regie-Brüder Joel und Ethan Coen, dessen zehnfache Nominierung die größte Überraschung der diesjährigen Verkündung ist. Zwar gelten die Coens spätestens seit ihrem fulminanten Sieg mit "No Country for Old Men" vor drei Jahren als Garanten für zahlreiche Nominierungen und Preise, dennoch tauchte "True Grit", die gewohnt schwarzhumorige Neuverfilmung des John-Wayne-Klassikers "Der Marshal" (1969) bei bisherigen Preisverleihungen nicht sehr prominent auf. Erneut könnten die Coens in allen drei wichtigen Kategorien - Regie, Drehbuch, bester Film - persönlich Oscars abräumen.

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Oscar-Nominierungen: Könige, Nerds und Westernhelden

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Ein Western und ein Historiendrama, zwei der ältesten Hollywood-Genres, treten also gegen zwei der modernsten und ungewöhnlichsten Produktionen der jüngeren Filmgeschichte an. Zwei deshalb, weil auch Christopher Nolans gewagt konstruierter Traumdiebe-Thriller "Inception" mit acht Nominierungen antritt. Sowohl "The Social Network", der versucht, sich in den Zeitgeist der vorrangig im Internet kommunizierenden Gesellschaft hineinzufühlen, als auch "Inception", der mit verschachtelter Anordnung und anspruchsvoller Storyführung ebenfalls der Computerspieler-Generation Tribut zollt, stehen für ein modernes Kino. "The King's Speech" und "True Grit" mit ihren klassischen Stoffen und konventionellen Erzählformen repräsentieren eher die Tradition. Dass alle vier trotz dieser Spezifizierung hervorragende Filme sind, muss nicht extra betont werden. Interessant ist dieser kleine Showdown zwischen Nerds und Klassikern trotzdem.

So könnte es trotz aller Erwartungen, die bei den Nominierungen erfüllt wurden, doch noch spannend werden, denn "The King's Speech" ging auch bei den Golden Globes als Favorit ins Rennen, verlor dann jedoch sehr deutlich gegen "The Social Network". So könnte es auch bei den Oscars kommen, oder aber die Coen-Brüder setzen sich als lachende Dritte auf ganzer Linie durch. Dass "Inception" mehr als die obligatorischen Technik-Preise bekommt, ist indes nicht abzusehen. Bezeichnend auch, dass Regisseur Nolan, seit seiner Batman-Filme als Wunderkind gefeiert, nicht nominiert wurde, dafür aber sein noch relativ unbekannter Landsmann Tom Hooper für "The King's Speech".

Natalie, Colin, Javier und eine 14-Jährige

Der Rest scheint vorgezeichnet: Natalie Portman (" Black Swan") und King-George-Darsteller Colin Firth sind kaum anfechtbar in den Darsteller-Kategorien, bei den Nebenrollen dürfte es mindestens einen Preis für das Ensemble des überraschend stark nominierten Boxer-Dramas "The Fighter" geben, auch die erst 14-jährige "True Grit"-Newcomerin Hailee Steinfeld gilt als Anwärterin auf einen Preis. Auffällig bis überraschend ist die zweifache Nominierung des Sozialdramas "Biutiful" in der Fremdsprachen-Kategorie und - mit Javier Bardem in einer komplett spanischsprachigen Rolle - in der Hauptdarstellerriege. Das darf man als Zugeständnis an die hispanische Bevölkerung verstehen, und als Familiengeste der Academy: Bardem gehört seit seinem Sieg für "No Country for Old Men" zur Oscar-Familie, der aus Mexiko stammende Regisseur Alejandro González Iñárritu war bereits für sein Episodendrama "Babel" nominiert.

Zu den Verlierern der diesjährigen Preis-Saison gehören schon jetzt Darren Aronofskys Ballett-Drama "Black Swan", dem viel zugetraut wurde, das nun aber mit nur fünf Nominierungen antreten muss. Immerhin bekam Aronofsky ("The Wrestler") eine Nennung in der Regie-Kategorie. Dort fehlt Danny Boyle ("Slumdog Millionaire"), dessen Bergsteiger-Schocker "127 Hours" nur sechs Nominierungen erntete, darunter eine für Hauptdarsteller James Franco, der jedoch Gastgeber der Gala sein wird, was seinen Sieg eher unwahrscheinlich macht.

Pech hatten auch Altmeister wie Martin Scorsese, dessen Psycho-Abenteuer "Shutter Island" kein einziges Mal nominiert wurde, und Mike Leigh, dessen hochgelobtes Rentnerdrama "Another Year" nur eine Nennung bekam. Ebenso Ben Affleck, der mit der Gauner-Saga "The Town" ein durchaus ordentliches Regie-Werk vollbrachte, aber nur eine Nominierung ergatterte, für Jeremy Renner in der besten Nebenrolle. Dort fehlt ärgerlicherweise der kommende "Spider-Man"-Star Andrew Garfield, der in "The Social Network" glänzte. Erfreulich hingegen sind die überraschend vielen Nominierungen für Lisa Cholodenkos Lesben-Familienfilm "The Kids Are All Right" und das Low-Budget-Drama "Winter's Bone" mit jeweils vier Nennungen, darunter die Kategorien "bester Film" und "beste Hauptdarstellerin".

Und die Deutschen? Müssen sich diesmal damit abfinden, dass es nach einigen Jahren mit Teilnahme-Garantie diesmal nicht für eine Nominierung in der Fremdsprachen-Kategorie reichte. Der von der Export Union eingereichte Beitrag "Die Fremde" von Feo Aladag konnte sich in der Vorauswahl nicht gegen die starke Konkurrenz durchsetzen, darunter "Biutiful" und das neue Drama der Dänin Susanne Bier. Doch immerhin können die deutschen Kurzfilmer Max Lang und Jakob Schuh mit ihrer britischen Animationsproduktion "The Gruffalo" auf einen Oscar hoffen. Und auch der Exil-Deutsche Hans Zimmer hat mit seinem Soundtrack für "Inception" gute Chancen. Es ist (bei einem Sieg, 1995 für "Der König der Löwen") seine achte Nominierung. Auch eine Art Tradition. Wenn das kein Omen ist.

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