Oscar-Tipps Zweite Wahl, aber erste Sahne!

"The Artist" und Meryl Streep gewinnen sowieso? Mag sein, dass die Oscar-Verleihung in diesem Jahr vorhersehbar ist. Trotzdem gibt es unter den Oscar-Nominierten tolle Schauspieler und Filme zu entdecken - von einem sexy Ex-Pummel bis hin zu einer bezaubernden Trickfilmliebe.
Absolut Oscar-würdig: Michelle Williams in der Titelrolle von "My Week with Marilyn"

Absolut Oscar-würdig: Michelle Williams in der Titelrolle von "My Week with Marilyn"

Foto: AP/ The Weinstein Company

Nominiert als beste Hauptdarstellerin: Michelle Williams für "My Week with Marilyn"

In ihrer bisherigen Kinokarriere sah sie meistens wie die nette kleine Schwester von Veronica Ferres aus. Viel spitze Nase, Pausbacken, kleines Kinn, so spielte Michelle Williams mit 13 in einer Kino-Neuverfilmung von "Lassie", mit 24 ein Landei in dem Welterfolg "Brokeback Mountain" und mit 29 eine an ihrer Liebe verzagende Ehefrau in "Blue Valentine". Für die Rolle der Marilyn Monroe ist Williams, jetzt 31, eine unwahrscheinliche Besetzung. Und doch spielt sie diese Rolle so sensationell, dass ihr dafür unbedingt der Oscar gebührt.

"My Week with Marilyn", ein Film von Simon Curtis, ist sowieso ein Marilyn-Film gegen alle Wahrscheinlichkeiten. Ein Film, der selbst Leute verzückt, denen die Monroe und ihr Mythos sonst absolut schnuppe sind. Leute wie mich. Mit Charme und Witz und Herz wird hier erzählt, wie Marilyn Monroe 1956 nach England reist und mit Sir Laurence Olivier (Kenneth Brannagh) einen blöden Kostümfilm namens "Der Prinz und die Tänzerin" dreht. Wie sich der kluge, eitle, alte europäische Superstar mit der verwirrten, unsicheren, jungen, gerade frisch verheirateten Amerikanerin duelliert. Es geht um das ABC der Schauspielkunst, um Sex und um Nervenkrieg.

Geschildert wird die Geschichte aus der Sicht eines jungen, vom Kino begeisterten Studio-Laufburschen (Eddie Redmayne). Quasi durch seine Augen sehen wir, was Michelle Williams aus Marilyn macht: ein bedauernswertes, aber auch umwerfendes Zauberwesen; eine Frau, die ihre Ausstrahlung rücksichtslos einsetzt und zugleich deren Opfer ist; eine manisch Verzweifelte, verletzlich und verletzend, komisch und depressiv, kindisch und göttlich. Williams macht das Rätsel Marilyn Monroe lebendig. Ab 19. April ist dieses Rätsel in den deutschen Kinos zu bestaunen. Wolfgang Höbel

Eine Klasse für sich - "Monsieur Lazhar"

Kandidat aus Kanada: Émilien Néron und Sophie Nélisse als Schüler von "Monsieur Lazhar"

Kandidat aus Kanada: Émilien Néron und Sophie Nélisse als Schüler von "Monsieur Lazhar"

Foto: Arsenal Filmverleih

Nominiert als bester fremdsprachiger Film: "Monsieur Lazhar"

Früher hatte der Oscar für den besten fremdsprachigen Film leider bisweilen das Image vom Katzentisch, an dem das Weltkino neben den großen US-Produktionen ein bisschen mitfeiern durfte. Seit einigen Jahren bekommt die Kategorie hingegen ihre verdiente Aufmerksamkeit, und dank einer durchweg starken Konkurrenz ist diese Entscheidung in der Oscar-Nacht zudem eine der spannendsten.

Unter den fünf diesjährigen Wettbewerbern ist der kanadische Beitrag "Monsieur Lazhar" zwar nicht unbedingt der haushohe Favorit, aber allein schon die Nominierung verhilft dem wunderbaren Film von Philippe Falardeau hoffentlich zu jenem großen Kinopublikum, das er verdient. Denn selten wurden Klischees so bravourös umschifft wie in der Geschichte des Algeriers Bachir Lazhar (Mohamed Fellag), der als politischer Flüchtling nach Montréal kommt und dort als Ersatzlehrer eine Grundschulklasse übernimmt. Die Kinder, denen der in jeder Hinsicht fremde Mitfünfziger mit dem klassischen Bildungshintergrund plötzlich gegenübersteht, sind traumatisiert vom Selbstmord ihrer vorherigen Lehrerin.

In Folge zeigt FalardDavid Kleingers


"Monsieur Lazhar" kommt am 12. April in die Kinos.

Der Dicke kommt gewaltig - Jonah Hill

Noch in alter, dafür Oscar-nominierter Form: Jonah Hill in "Moneyball"

Noch in alter, dafür Oscar-nominierter Form: Jonah Hill in "Moneyball"

Foto: Sony Pictures

Nominiert als bester Nebendarsteller: Jonah Hill für "Moneyball"

Sollte Jonah Hill am Sonntag tatsächlich auf die Bühne gebeten werden, dann wird er dem Mann aus dem Film kaum mehr ähneln. Die Fettleibigkeit, die dem 28-jährigen US-Amerikaner in zahlreichen Komödien wie "Knocked up" oder "Superbad" zur Auspolsterung seiner Lustigkeit diente, ist passé: Im vergangenen Herbst, als "Moneyball" beim Filmfestival in Toronto seine Nordamerika-Premiere feierte, präsentierte sich Hill rank und schlank - und landete sogar auf dem zweiten Rang des "Stud-Meter", dem allmonatlichen Gradmesser der schärfsten Kerle in der Zeitschrift "Cosmopolitan".

Die Dinge im Leben Jonah Hills verändern sich also gerade, und das konnte man in "Moneyball", wo er den nerdigen und dicken, aber cleveren und zahlenaffinen Assistenten von Baseball-Trainer Billy Beane (Brad Pitt) spielt, wunderbar beobachten: Der lustige Knopf aus den Judd-Apatow-Komödien wandelte sich unter der Regie von Bennett Miller und im dynamischen Zusammenspiel mit Pitt zum Charakterkopf.

Schon einmal, in dem kleinen Beziehungsdrama "Cyrus" ließ Hill in der Titelrolle als psychotischer Sohn von Marisa Tomei durchblicken, dass mehr in ihm steckt. Seine Chance, sich am Sonntag gegen Schauspieler-Schwergewichte wie Kenneth Branagh oder Christopher Plummer durchzusetzen, dürfte eher klein sein. Aber allein die Nominierung für einen Oscar in einer Drama-Rolle ist für einen Comedian in Hollywood nur sehr schwer zu ergattern. Auch wenn er nicht gewinnt, dürfte Jonah Hills Karriere mit "Moneyball" also eine dramatische Wendung erfahren haben. Der Babyspeck ist ja eh schon weg. Andreas Borcholte

Ein neuer deutscher Könner - Max Zähle

Für seinen Kurzfilm "Raju" nominiert: der deutsche Regisseur Max Zähle

Für seinen Kurzfilm "Raju" nominiert: der deutsche Regisseur Max Zähle

Foto: Ingo Wagner/ picture alliance / dpa

Nominiert als bester Kurzfilm: Max Zähle für "Raju"

"Raju" handelt von einem Paar aus dem deutschen Mittelstand, das in Kalkutta ein Waisenkind adoptieren möchte und dabei Betrügern auf den Leim geht. Es geht im Film um Kindesentführung, vor allem aber um die Erkenntnis des Paars - gespielt von Wotan Wilke Möhring und Julia Richter -, dass es selbst eine Mitverantwortung daran trägt.

"Raju" zeigt, dass der internationale Menschenhandel die Reaktion auf eine internationale Nachfrage ist. "Raju" hat also eine Botschaft, was ja schon mal gut ist bei den Oscars. Und genaugenommen hat er den Oscar ja bereits! Den Studenten-Oscar in Bronze hat sich der Hamburger Regisseur Max Zähle jedenfalls im vergangenen Jahr in Hollywood schon mal abgeholt.

Für den Film hat Zähle intensiv vor Ort recherchiert. Er hat in Kalkutta mit indischen Hilfsorganisationen zusammengearbeitet und mit ihrer Hilfe auch seinen indischen Kinderdarsteller gefunden. Krish Gupta heißt der Junge, der mit seinen großen Augen Filmeltern und Kinozuschauer anrührt. "Raju" transportiert also auch Gefühle, vor allem aber taucht der Film tief in das Straßenleben Kalkuttas ein; "Raju" hat tolle Bilder.

Er war Max Zähles Abschlussarbeit an der Hamburg Media School. Normalerweise drehen deren Absolventen ihre Filme zwischen Alster und Elbe. Dass dieser zu fernen Ufern aufbricht und im Gangesdelta entstand, ist aller Ehren und schon deshalb einen - zweiten - Oscar wert. Jörg Schöning

Jazz und Sex - "Chico & Rita"

Gewannen schon das Stuttgarter Trickfilmfestival: "Chico & Rita" (das Paar in der Mitte)

Gewannen schon das Stuttgarter Trickfilmfestival: "Chico & Rita" (das Paar in der Mitte)

Foto: Trickfilm-Festival Stuttgart

Nominiert als bester Animationsfilm: "Chico & Rita"

Im Radio läuft die Sendung "Melodien von gestern". Dabei heißt der Sender Radio Progreso, also Radio Fortschritt. Wie der Sender schwelgt auch der alte Mann vor dem Apparat in den Klängen vergangener Tage - und schon verschwinden die Grenzen zwischen damals und heute, zwischen Jugend und Alter, zwischen frischem Begehren und lebenslanger Enttäuschung.

In die deutschen Kinos hat es "Chico & Rita" nicht geschafft. Wo auf der Welt die spanisch-britische Koproduktion aber zu sehen war, verzückte die Liebesgeschichte vom Jazzpianisten Chico und der Sängerin Rita die Zuschauer. Mit strahlenden Farben und betörenden Klängen lassen die Macher Fernando Trueba, Javier Mariscal und Tono Errando das Havana der späten vierziger Jahre wiederauferstehen. Noch brummen auf Kuba die Geschäfte und die Casinos, und neben Zigarrenrauch liegen Jazz und Sex schwer in der Luft.

In dieser Zeit lernen sich Chico und Rita kennen und feiern mit ihrem ersten gemeinsamen Song gleich Erfolge. Doch sie sind rastlos, lassen sich von ihrem Talent in die Welt treiben, nach Paris und nach New York, und glauben, dass für ihre Liebe immer noch Zeit sein wird. Wie die Politik sie schließlich das Gegenteil lehrt, gehört zu den herzzerreißendsten Geschichten dieses Oscar-Jahrgangs. Auch wenn "Chico & Rita" ausnehmend sentimental ist und es nicht unbedingt mit Klassikern wie "Chihiros Reise ins Zauberland" oder "Up" aufnehmen kann: Wenn nicht einen Oscar, so ist der Film mindestens einen Gang in die Videothek wert. Hannah Pilarczyk

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