
Oscar-Vorbereitungen: Eherne Regeln, alles nach Plan
Oscar-Verleihung in Hollywood Countdown für die Millionen-Show
Nun also gibt es endlich doch noch einen Skandal. Einen winzigen zwar nur, möchten Außenseiter meinen, doch hier in , wo andere Kriterien gelten als irgendwo sonst auf der Welt, hat die Geschichte sofort Riesenwellen geschlagen.
Schuld ist Nikki Finke, die meistgefürchtete, meistgehasste Klatschreporterin der Branche. In ihrem Blog Deadline brach sie am Samstag das größte Tabu Hollywoods: Sie publizierte den streng geheimen Ablaufplan der (ab 1.30 Uhr Liveticker auf SPIEGEL ONLINE).
Finke enthüllte Comedy-Einlagen, Show-Blöcke, Eröffnungs- und Schlussnummer, wie oft sich Co-Moderatorin umzieht und, allein das bislang ein traditionelles Mysterium, welche Altstars am Ende die Top-Oscars für Regie und den besten Film aushändigen. Finkes Prophezeiung über die Dreieinhalb-Stunden-Show, die weltweit von Hunderten Millionen Zuschauern live gesehen werden dürfte: "Mal wieder eine Schnarchnummer."
Dieser typisch-gnadenlose Querschlag ist es jedoch nicht, woran sich die Oscar-Gralshüter bei der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences (Ampas) reiben. Es ist Finkes Missachtung der ehernen Spielregeln, nach denen die Oscar-Verleihung auch diesmal choreografiert wird, zum 83. Mal seit 1929.
- Regel Nr. 1: Allein die Ampas bestimmt, wer wann etwas erfährt.
- Regel Nr. 2: Wer dagegen verstößt, muss sterben.
Und so verhängte die Ampas einen Tag vor dem inszenierten Drama im Kodak Theatre das Oscar-Todesurteil gegen Finke: Sie verbannte sie von der Show und vom Mode-Aufmarsch am rotem Teppich. "Uns wurde verboten, über die Oscars zu berichten, weil wir über die Oscars berichtet haben", amüsiert sich Finke.
Ein Sturm im Wasserglas? "NikkiLeaks", wie sich der Blogger Greg Mitchell freut? So oder so: Die Affäre offenbart die defensive Bunkermentalität Hollywoods, das weiter mit Finanzproblemen kämpft, um seinen Exklusivstatus als Filmhauptstadt der Welt fürchtet - und deshalb nichts dem Zufall überlassen will, bis hin zum kleinsten Detail.
Movies, Marketing und Millionenumsätze
Denn so sehr die Ampas auch wütet über die Enthüllung ihres Quasi-Staatsaktes - es sollte ihr nur recht sein. Denn anders als früher fehlt es der aktuellen Oscar-Saison an schlagzeilen-, sprich quotenträchtigen Kontroversen. Zwar versuchten die US-Medien unermüdlich, diverse Oscar-Reizthemen aufzubauschen. Etwa, dass diesmal kein einziger schwarzer Schauspieler nominiert sei ("Hollywoods Weißwäsche", murrte die "New York Times"). Oder dass der Performance-Künstler , für seinen Dokumentarfilm "Exit Through the Gift Shop" nominiert, die Show schockieren werde ("Oscars Banksy-Problem", orakelte der Hollywood-Blog "The Wrap"). Doch nichts zog.
Das ist nicht zuletzt das Ergebnis der strikten Oscar-Regie: Die Filme sind überwiegend Mainstream, die Stars allesamt beliebt, die beiden Moderatoren Hathaway und handzahm-ungefährlich - und die Nominierungskriterien zwar so byzantinisch wie immer, doch diesmal meist unbeanstandet von egomanischen Produzenten und Filmmogulen.
Genau das ist eben die Crux, die die Veranstalter plagt: Sie sind längst gefangen in ihrer eigenen Routine, in jener perfekt geölten Maschinerie aus Movies, Marketing und Millionenumsätzen, mit der sie sich jedes Jahr am Hollywood-Boulevard selbst zelebrieren. Kaum ein US-Event in Friedenszeiten geht mit so viel Vorausplanung über die Bühne wie die Oscar-Verleihung, mit so viel Geheimniskrämerei, so vielen Schutzmaßnahmen für den Eventualfall. Der militärisch eingefädelte Pomp verhindert aber genau das, was die Zuschauer wirklich fasziniert: Spontaneität und Überraschung.
Erstmals sind Turnschuhe erlaubt
"Milliarden Menschen sehen diese Show", verteidigt Ampas-Präsident Tom Sherak den Drill in einer Probenpause. "Das ist eine Riesensache." Neben ihm steht Don Mischer, der Co-Produzent der Gala, der Erfahrung hat mit Mega-Spektakeln. Obwohl er unter anderem Barack Obamas Vereidigungskonzert produzierte, macht ihm die Unberechenbarkeit der Oscars Angst: "Bloß keine Papierzettel!", appelliert er an die designierten Gewinner. Eine elektronische Zeitanzeige im Teleprompter wird diese denn auch sanft auf die Begrenzung der Dankesreden hinweisen - 45 Sekunden.
Die weniger prominenten Oscar-Teilnehmer - Crew, Bühnenarbeiter, Beleuchter, Techniker, Reporter - müssen Verpflichtungserklärungen unterzeichnen und darin anerkennen, dass sie mit Verstößen gegen die Ampas-Vorschriften "zivilrechtliche / kriminelle Strafverfolgung" riskieren. Die Anweisungen für die 1920 Journalisten, unter ihnen 89 Fotografen, umfassen sieben Seiten: welches Material ab wann freigegeben ist, welche Geräte verboten sind, wo fotografiert werden darf und wo auf keinen Fall, unter Androhung von Platzverweis.
Selbst die Kleiderordnung der Berichterstatter ist festgeschrieben: Abendgarderobe für die Damen, Smoking für die Herren. Mit einer einzigen Ausnahme in diesem Jahr: Erstmals sind Turnschuhe erlaubt - so sie schwarz sind.
Das Kodak Theatre - eine hermetisch abgeriegelte Festung
Als sich am Samstag eine Kaltfront über Hollywood legte, schickte die Academy noch schnell eine warnende E-Mail an alle Beteiligten, die stundenlang entlang des roten Teppichs ausharren müssen: "Individuelle Heizgeräte, die an der Pressetribüne, der Haupttribüne oder im Eingangsbogen (des Kodak Theatres) entdeckt werden, werden konfisziert."
Seit drei Wochen ist das Kodak Theatre, das 2001 eigens für die Oscars gebaut wurde, eine hermetisch abgeriegelte Festung. Stahlzäune und schwarze Planen verdecken den Blick. Jede Nacht schloss sich der Würgegriff der Sperrgitter enger um das Mega-Auditorium (3400 Plätze) inmitten einer Shopping Mall, deren Ramschläden spätestens am Sonntag diskret mit purpurroten Samtvorhängen und glamourösen Pappkulissen kaschiert werden.
Hinter den Barrikaden spielt sich ein seit Jahren unverändertes "Ballett" ab, wie es Ampas-Kommunikationschefin Leslie Unger nennt. Der schäbig-schlaglöcherne Hollywood-Boulevard verschwindet unter dem "Red Carpet" - 152 Meter lang, zehn Meter breit, flankiert von Tribünen für 700 auserwählte Fans. Darüber spannt sich ein Klarsichtzelt, damit der Regen keine Robe beschmutzt.

Oscar-Vorbereitungen: Eherne Regeln, alles nach Plan
Dutzende Oscar-Statuen, Blumenrabatten, Seidenkordeln und Hunderte Scheinwerfer verwandeln den Laufsteg zum Open-Air-Studio. Die Sperrholz-Kulissen zu beiden Seiten sind diesmal in erhabenem Schwarz-Gold gehalten - sie sollen an die "goldene Ära" Hollywoods erinnern, die vierziger und fünfziger Jahre.
Dieses Motiv setzt sich drinnen im Kodak Theatre fort, von der Bühne bis zum Green Room, der von Michael Smith entworfen wurde, einem Lieblingsdesigner der Obamas. Allein in der Regie-Zentrale dieser aufwendigsten Showproduktion des Jahres sitzen 300 Mitarbeiter an den Steuerpulten, assistiert von mehr als 350 Crew-Mitgliedern.
Das Moderatorenduo Hathaway, 28, und Franco, 32, ist das jüngste in der Geschichte der Oscars, soll also auch die Jugend in dieses angestaubte Kabinett locken. Vor allem Franco umgarnt den Nachwuchs mit zeitgemäßer PR: Täglich stellt er neue Videoclips und Fotos von den Proben ins Internet, via Twitter, Facebook und YouTube - selbst einen grausig-schrägen Song, der wegen seines mangelnden Gesangstalents schließlich gestrichen wurde.
Speerspitze der Filmindustrie
Denn es geht nicht nur um Glamour und Glanz, sondern vor allem um viel Geld. Voriges Jahr sahen 41,7 Millionen Amerikaner die Oscars, so viele wie seit 2005 nicht. Mehr als 200 Länder lassen sich diesmal zuschalten, wenn die 50 Statuetten überreicht werden. Seit 45 Jahren hält das US-Network ABC die exklusiven Rechte und verlängerte seinen Vertrag diese Woche bis 2020. Für einen 30-Sekunden-Werbespot verlangt ABC 1,7 Millionen Dollar.
Die Oscars mögen zwar als oberflächliche Modenschau gelten, als sinnentleerte Selbstbeweihräucherung der Illusionisten. Doch sie sind die Speerspitze einer Industrie, die Milliarden umsetzt, Millionen beschäftigt und das globale Image der USA nicht minder prägt als deren Außenpolitik. "Avatar", der große Oscar-Abräumer von 2010, spielte weltweit bisher rund 2,7 Milliarden Dollar ein.
Selbst die Uno verbeugt sich vor den Oscars: "Wir wissen um die Macht der kreativen Gemeinschaft", sprach Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon am Mittwoch bei einem Dinner mit der Filmelite. Hollywood müsse diese Macht nutzen, um das Elend der Welt zu enthüllen. In der Hand hielt er den Oscar, den die Uno 1947 für "First Steps" gewonnen hatte, einen Dokumentarfilm über verkrüppelte Kinder.
Weltverbesserung steht dieses Jahr aber kaum auf dem Programm, wie Nikki Finke enthüllt hat. Dass sie nun draußen bleiben muss, stört Finke wenig: "Ich glaube nicht", droht sie, "dass die Academy mich daran hindern kann, die Oscars von zu Hause aus live zu verreißen."