Oscars 2019 Die Nacht der harten Wahrheiten

Die Oscar-Show im Fernsehen war eine Sache. Eine ganz andere war, was sich hinter der Bühne abspielte. Hier ließen die Sieger ihren Gefühlen freien Lauf - und manche sprachen klare Worte. Unser Korrespondent war dabei.
Nach Jahren der Schmähung endlich der Oscar: Spike Lee mit der goldenen Statue

Nach Jahren der Schmähung endlich der Oscar: Spike Lee mit der goldenen Statue

Foto: FREDERIC J. BROWN/ AFP

Die Show ist zu Ende und Spike Lee beschwipst. In der linken Hand hält er seinen ersten Oscar, in der rechten eine halbleere Champagnerflöte. "Das sechste Glas", sagt er. "Ihr wisst, warum."

Was er denn von der kontroversen Entscheidung halte, "Green Book" zum besten Film des Jahres zu küren? Lee verzieht das Gesicht. "Lasst mich erst noch einen Schluck trinken", murmelt er, führt langsam das Glas zum Mund - und brüllt dann: "Nächste Frage!"

Manchmal ist es eben besser, nichts zu sagen. Vor allem spätabends in Hollywood, wenn die Oscarverleihung vorbei ist, doch irgendwie - obwohl alles ja ganz gut anfing - ein schaler Nachgeschmack bleibt.

Die meisten Stars stolpern draußen schon über den roten Teppich zu ihren Limousinen zurück, vorbei an Heizstrahlern und Hostessen, die ihnen Tabletts mit Donuts reichen. Nur die Sieger bleiben noch hinter der Bühne des Dolby Theatre - gezwungenermaßen.

Denn hier müssen sie sich den Journalisten stellen. Und dabei sprudeln oft härtere Wahrheiten heraus als in dem kurzen Moment, da sie stotternd und schwitzend vor den Fernsehkameras stehen.

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Oscars 2019: Das sind die Gewinner

Foto: KEVORK DJANSEZIAN/ AFP

Es sind vor allem widersprüchliche Wahrheiten. Dass die Oscar-Academy sich müht, aus ihren Fehlern zu lernen, doch zugleich auf halbem Wege aufgibt, offenbart sich nicht nur bei dieser ansonsten flotten Show, die in einem groben Missgriff endet, sondern erst recht backstage, wo die Sieger - und ein Verlierer - ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

Lee zum Beispiel. Lange wurde der schwarze Regisseur aus Brooklyn von Hollywood geschmäht. Lange war er einer der lautesten Kritiker der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. 2016 boykottierte er die Zeremonie sogar, aus Wut über die mangelnde Inklusivität - obwohl er einen Trost-Oscar für sein "Lebenswerk" bekommen hatte.

Aber nun steht er hier, mit seinem überfälligen "echten" Oscar für das Drehbuch für "BlacKkKlansman", eine Satire über Rassismus. Beim Best Picture aber verlor er gegen "Green Book", eine Feelgood-Story über Rassismus, deren Held weiß ist - eine Fehlentscheidung, die auch bei vielen hinter der Bühne für schockiertes Stöhnen sorgte. (Lesen Sie hier einen Kommentar zu den Oscars.)

Wiedergutmachung - oder erneute Schmähung? Lee wippt auf seinen goldenen Sneakers herum, nimmt noch einen Schluck Champagner.

Dass er heute hier sei, sagt er dann, verdanke er schwarzen Frauen - namentlich April Reign, die den Protest-Hashtag #OscarsSoWhite erfand, und Cheryl Boone Isaacs, der vorigen Academy-Präsidentin.

Aber man solle ihn bitte nicht nach "Green Book" fragen.

Als Julia Roberts den letzten Oscar des Abends verliest, stürmt Lee aus dem Saal, noch bevor es das "Green Book"-Team ans Mikrofon schafft. Es sei wie beim Basketball gewesen, lästert er eine Stunde später: "Der Schiedsrichter traf die falsche Entscheidung."

Sehen Sie hier die wichtigsten Talking Points der Oscars

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Andere Entscheidungen dagegen scheinen richtig. "Von diesem Abend habe ich geträumt", sagt Ruth Carter und fasst haltsuchend an ihr Perlenkollier. "Für diesen Abend habe ich gebetet."

Carter hat als erste Schwarze einen Kostüm-Oscar gewonnen, für ihre afrikanisch inspirierten Outfits in "Black Panther". Was auch der erste Oscar für einen Marvel-Superheldenfilm war. "Jetzt müssen wir nicht mehr auf den ersten warten, wir haben den ersten", sagt sie unter Tränen. "Ich hoffe, dass mein Beispiel Hoffnung gibt."

Carters Kollegin Hannah Beachler umklammert ihren Design-Oscar für "Black Panther" fest mit beiden Händen, auch sie ist die erste Schwarze in dieser Kategorie. "Ich flippe total aus!" Bebend erzählt sie, wie sie zum ersten Mal aufs Set des Films gekommen sei - dieses ersten globalen Mega-Blockbusters mit einer überwiegend afroamerikanischen Besetzung: "Ich fiel auf die Knie und weinte."

Regina King dankt für "Liebe und Unterstützung"

Regina King dankt für "Liebe und Unterstützung"

Foto: Jordan Strauss/ dpa

Regina King, beste Nebendarstellerin im Drama "If Beale Street Could Talk", dankt ganz Hollywood für "die Liebe und die Unterstützung" der letzten Monate. Ja, die Academy sei dabei, sich zu verbessern - müsse allerdings "noch etwas bewusster werden".

Andere wirken schlichtweg überwältigt. "Surreal", sagt Jimmy Chin, der Co-Regisseur der spektakulären Freeclimbing-Doku "Free Solo" und selbst ein Rockclimber. "Wir fühlen uns hier wie Eindringlinge."

Olivia Colman

Olivia Colman

Foto: FREDERIC J. BROWN/ AFP

Olivia Colman, die der armen Glenn Close den Oscar als beste Hauptdarstellerin wegschnappte, betört auch backstage mit linkischem Charme. "Keine Ahnung, was ich fühle", entschuldigt sie sich. "Ich weiß gar nicht, was ich mit mir anfangen soll." Der Oscar komme jedenfalls "zu mir ins Bett, zwischen mir und meinen Mann".

"Danke für diese lange Reise"

"Roma"-Regisseur Alfonso Cuarón, der wohl unumstrittenste Gewinner, dankt seiner Heimat Mexiko - und den Journalisten, von denen vielen ihn in den vergangenen Monaten von Preis zu Preis begleitet haben, "für diese lange Reise". Rami Malek ("Bohemian Rhapsody") schließt sich dem an. "Ich weiß wirklich zu schätzen, was ihr zu schreiben habt", sagt er.

Inzwischen hat es Spike Lee fast nach draußen geschafft. Er steigt die Freitreppe des Theaters hinunter zum roten Teppich, läuft immer wieder Freunden und Bekannten über den Weg, bleibt stehen, lässt sich umarmen, hält inne für eine SMS.

An einer Heizlampe sitzt Hannah Beachler, ihren Oscar im Schoß. Lee beugt sich zu ihr herab und flüstert ihr etwas ins Ohr. Sie lächelt.

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