Deutscher Siegerfilm Wie die vier Oscars für »Im Westen nichts Neues« zustande kamen

Viermal wurde das Kriegsdrama »Im Westen nichts Neues« mit einem Oscar ausgezeichnet – mehr als jeder andere deutsche Film zuvor. Begeistert aufgenommen wurde der Film aber längst nicht überall.
Regisseur Edward Berger: Sein Film »Im Westen nichts Neues« ist einer der großen Gewinner der Oscarnacht

Regisseur Edward Berger: Sein Film »Im Westen nichts Neues« ist einer der großen Gewinner der Oscarnacht

Foto: Angela Weiss / AFP

Vier Oscars sind es also tatsächlich geworden, mehr als jeder andere deutsche Film je bei einer Verleihung gewinnen konnte. Neunmal war »Im Westen nichts Neues« nominiert gewesen, materialisiert hat sich der Preis in den Kategorien Bester Internationaler Film, Beste Kamera, Beste Filmmusik und Bestes Szenenbild. Eine Überraschung mit Ankündigung.

Felix Kammerer als Paul Bäumer in »Im Westen nichts Neues«

Felix Kammerer als Paul Bäumer in »Im Westen nichts Neues«

Foto: Netflix

Worum geht es in »Im Westen nichts Neues«?

Die Verfilmung des gleichnamigen Welt-Bestsellers von Erich Maria Remarque spielt während des Ersten Weltkriegs. Hauptfigur ist der Schüler Paul Bäumer, der sich mit seinen Freunden begeistert für den Militärdienst meldet, nachdem sein Lehrer eine aufpeitschende, mit nationalistischem Pathos getränkte Rede gehalten hat.

Begeistert zieht Paul von der Schulbank an die Westfront, wo er in den Schützengräben die Gräuel des Stellungskrieges erlebt. Zwischen Buch und Film gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede: Im Roman geht Paul auf Heimaturlaub, wo er niemandem die furchtbaren Dinge, die er gesehen hat, begreifbar machen kann. Völlig entfremdet kehrt er an die Front zurück.

Diese Passage kommt im Film nicht vor; stattdessen gibt es hier einen Erzählstrang, in dem der (reale) Politiker Matthias Erzberger in einem Eisenbahnwagon mit dem Oberkommandierenden der Entente über einen Waffenstillstand verhandelt.

Wie konnte der Film bei der Oscarverleihung so durchstarten?

Dass die deutsche Produktion von den Academy-Mitgliedern überhaupt wahrgenommen wurde, dürfte auch daran liegen, dass es sich um ein Netflix-Drama handelt. Durch die digitale Verbreitung von Inhalten sind Filme heute leicht überall verfügbar.

Der Konzern hofft seit jeher darauf, dass Filme oder Serien, die lokal entstehen, dann auch international durchstarten. Preise sind für Streamingdienste wichtig, weil sie einzelnen Produktionen aus der Masse herausheben, deshalb investieren sie zum Teil angeblich Millionenbeträge in ihre Werbekampagnen für die Oscars.

Zudem dürfte auch der Krieg in der Ukraine »Im Westen nichts Neues« mit seiner Antikriegsbotschaft in den USA zu größerer Aufmerksamkeit verholfen haben. Der Titel »All Quiet on the Western Front« hat in Hollywood ohnehin einen guten Klang. Die erste Verfilmung des Romans, die 1930 auf Betreiben der Nationalsozialisten in Deutschland verboten wurde, gewann im selben Jahr bei der zweiten überhaupt stattfindenden Oscarverleihung in zwei Kategorien: Bester Film und Beste Regie (Lewis Milestone).

DER SPIEGEL

Wurde der Film überall begeistert aufgenommen?

Vor allem die britische Presse bejubelte  »Im Westen nichts Neues«. Dort ist die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg stark im öffentlichen Bewusstsein verankert, mit »1917 « kam vor drei Jahren ein britischer Film über den Stellungskrieg in die Kinos. Bei den britischen Filmpreisen Baftas setzte sich mit »Im Westen nichts Neues« in diesem Jahr erstmals ein deutscher Film in gleich sieben Kategorien durch und wurde unter anderem für die beste Regie und als bester Film ausgezeichnet.

Auch in den USA wurde der Film größtenteils mit Begeisterung aufgenommen, das Onlineportal »Rotten Tomatoes«, das Filmrezensionen sammelt, gibt einen Zustimmungswert von 90 Prozent an . Hervorgehoben wurde das hohe Produktionsniveau des Films und seine Antikriegsbotschaft, vor allem im Kontext der deutschen Perspektive, in der es keine Helden gebe.

Die Dreharbeiten fanden in Tschechien statt

Die Dreharbeiten fanden in Tschechien statt

Foto: Netflix

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film auch kritisiert wurde. Die angesehene amerikanische Website »Indiewire« ordnete »Im Westen nichts Neues« bei einem Vergleich der zehn in der Kategorie Bester Film nominierten Werke auf dem vorletzten Platz ein . Im britischen »Guardian« erschien ein Text , in dem der Film als »absurd bombastisch« beschrieben wird, außerdem bezweifelt der Autor die These, der Film habe keine Helden. Er zeichne vielmehr die Franzosen als Bösewichte und die deutschen Soldaten als gute Jungen.

Am größten war die Kritik in Deutschland. Ein Militärhistoriker warf den Machern vor,  ein unrealistisches Bild der Kampfhandlungen zu zeichnen. Die großen Änderungen des Romans im Drehbuch werden ebenfalls heftig kritisiert . Ein Kritiker schrieb, »Im Westen nichts Neues« wirke wie eine aufgepumpte Mini-Serie  mit schablonenhafter Moral.

Welche anderen deutschen Filme und Filmkünstler gewannen bisher Oscars?

Der Oscar wurde aus der Taufe gehoben, um Werbung für Filme aus Hollywood zu machen. Ende der Zwanzigerjahre befand sich die Traumfabrik durch das Aufkommen des Radios und nach vielen Skandalen in einer kleinen Krise, eine Preisverleihung sollte der entgegenwirken. Das internationale Filmgeschehen stand darum nicht auf der Agenda der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences.

Bei der ersten Gala 1929 wurde mit Emil Jannings trotzdem ein deutscher Schauspieler mit dem Preis für den besten Hauptdarsteller ausgezeichnet, allerdings für seine Leistungen in den amerikanischen Stummfilmen »Der Weg allen Fleisches« und »Sein letzter Befehl«. 1937 und 1938 wurde Luise Rainer zweimal hintereinander als beste Hauptdarstellerin geehrt, für »Der große Ziegfeld« und »Die gute Erde«. Sie stand damals bei dem Studio MGM unter Vertrag und war in den USA ein Star. Für »hervorragende Leistungen« bekam Regisseur Ernst Lubitsch 1946 einen Ehrenoscar.

Mehrfach ausgezeichnet wurde unter anderem der deutsche Kameramann Karl Freund (zweimal) sowie Arriflex-Erfinder und Kamera-Konstrukteur Erich Kästner (dreimal, nicht zu verwechseln mit dem Autor). Für die beste Filmmusik erhielten Franz Wachsmann und Hans Zimmer je zweimal den Oscar. Der 1938 aus Berlin geflohene Filmkomponist André Previn konnte in der Kategorie sogar viermal gewinnen.

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1960 wurde Bernhard Grzimek mit »Serengeti darf nicht sterben« in der Kategorie Bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. In der Kategorie Bester Internationaler Film dauerte es bis 1980, als Volker Schlöndorff mit »Die Blechtrommel« erfolgreich war. Es folgten 2003 Caroline Link mit »Nirgendwo in Afrika« und 2007 Florian Henckel von Donnersmarck mit »Das Leben der Anderen«.

Mit »Das Boot« war 1983 schon einmal ein deutscher Kriegsfilm mehrfach nominiert, in sechs Kategorien. Am Ende ging das U-Boot-Drama allerdings in allen Kategorien leer aus.

Anmerkung: In einer früheren Fassung dieses Artikels bezeichneten wir den Kamera-Konstrukteur Erich Kästner irrtümlich als Kameramann. Wir haben den Fehler korrigiert.

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