"Panic Room" Wenn es Nacht wird in New York

David Finchers "Panic Room" ist ein meisterlich inszeniertes Thriller-Kammerspiel über real werdende Terror-Ängste westlicher Großstädter. Der Zeitgeist nach den Anschlägen vom 11. September verhilft dem Genre-Film zu ungeahnten Erfolgen an der Kinokasse.

Wir alle kennen das: Man liegt nachts allein im Bett, wird plötzlich wach. Dunkelheit um einen herum, tanzende Schatten an der Wand. War da ein Geräusch? Was war das für ein Knacken da unten an der Haustür? Wohl nur der Kühlschrank. Oder ein verzogenes Dielenbrett. Oder vielleicht doch ein Einbrecher? Der Pulsschlag schnellt in die Höhe und bis hinauf in den Hals. Erstarrt verharrt man angestrengt lauschend unter der Bettdecke, die plötzlich viel zu dünn erscheint, um ausreichend Schutz zu bieten vor... ja wovor eigentlich? Vor dem einbrechenden Finsterling, dem "Bogeyman", dem unbekannten Unhold, der es auf Wertgegenstände und zur Not auch auf das leibliche Wohl abgesehen hat. Vor dem Terroristen, der die Illusion der eigenen Sicherheit mit roher Gewalt für nichtig erklärt.

In "Panic Room", dem neuen Film des "Fight Club"-Regisseurs David Fincher, ist es Meg Altman, eine wohlhabende, frisch geschiedene Frau in den Dreißigern, die des nachts in diese plötzliche Angst-Starre verfällt. Allein mit ihrer halbwüchsigen Tochter Sarah ist sie in ein riesiges, mehrstöckiges Brownstone-Haus im Herzen Manhattans gezogen und verbringt dort - zwischen unausgepackten Kartons, die sich an leeren Wänden stapeln, ihre erste Nacht im neuen Heim. Sie schläft unruhig in der ungewohnten Umgebung, wacht mehrmals auf, während die Tochter im Nebenzimmer schlummert. Die Alarmanlage, die das unübersichtliche Haus mit Kameras und Bewegungsmeldern überwacht, ist deaktiviert, nachdem Meg an der komplizierten Technik gescheitert war.

Zum Glück für das Einbrecher-Trio, das - nicht ahnend, dass bereits neue Mieter eingezogen sind - sich mitten in der Nacht Zutritt verschafft, aber bald darauf von der schlaflosen Meg bemerkt wird. Angst und Panik überfällt die Frau, ihre schlimmsten Albträume werden wahr, das Monster hockt plötzlich nicht mehr im Kleiderschrank, es schleicht bereits die Treppe herauf. Meg schnappt sich ihr Kind und flüchtet im letzten Moment in einen besonderen Raum des Anwesens: den "Safe Room", einen kleinen, autarken und gepanzerten Raum im Inneren des Hauses, eingerichtet vom wohlhabenden und vielleicht etwas exzentrischen Vorbesitzer, ausgestattet mit zahlreichen Überwachungsmonitoren und einer kompletten Überlebensausrüstung fürs Aussitzen einer dauerhaften Belagerung.

Doch schnell begreifen Meg und Sarah, dass sie hier keineswegs in Sicherheit sind, sondern in der Falle sitzen. Denn nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat, signalisieren die Einbrecher den Frauen, dass eben jener "Safe Room" das Versteck ihrer Beute und damit Ziel ihres Raubzugs ist. Was folgt, ist ein aufreibender Nervenkrieg zwischen Gefangenen und Belagerern, die immer wieder ihre Rollen wechseln und sich auf ihrem Weg zum dramatischen Finale des Films in ein Katz-und-Maus-Spiel aus brutalen Scharmützeln und hinterlistigen Finten verstricken.

Für David Fincher, seit seinem Serienmörder-Thriller "Sieben" gefeierten Meister des modernen Film noir, muss es eine Herausforderung gewesen sein, ein solches Kammerspiel auf engstem Raum zu verwirklichen. Nach aufwändigen und ausstattungsreichen Filmen wie "Alien 3" und "Fight Club" erscheint ein eher konventioneller Genre-Thriller wie "Panic Room" zunächst ein eher untypisches Spielfeld für den ehemaligen Videoclip- und Werbefilm-Regisseur zu sei, dessen cleverer Krimi "The Game" dem Setting von "Panic Room" vielleicht am nächsten kommt.

Mit unverkennbaren Markenzeichen macht sich Fincher das Skript von David Koepp zu eigen. Schummriges, graugrüne Licht, das den gesamten Film beherrscht, lässt das ehrwürdige und solide Brownstone-Bürgerhaus zum Gruselgemäuer werden. Die kahlen Wände des unbezogenen Wohnraums machen jede Behaglichkeit zunichte. Subjektive Kameras, die eindringlich und suchend durch Treppenhaus und Stockwerke fahren, lassen eine Atmosphäre ständiger Beobachtung entstehen und sorgen dafür, dass man die Übersicht über Größe und Aufteilung des Hauses verliert. Die Kamera macht den Zuschauer zum Komplizen und Mitgefangenen, gleitet spionierend und suggestiv durch Schlüssellöcher oder Kaffeekannen-Henkel, fährt auch manchmal auffordernd über ein Messerset in der Küche, als wollte sie den Protagonisten (und den Zuschauern) Hinweise geben, was als nächstes geschehen könnte.

Mit schnellen Schnitten und anderen technischen Mätzchen, die dem "Fight Club" Rasanz und Extravaganz verliehen, hielt sich Fincher bei "Panic Room" bewusst zurück. Dafür konzentrierte er sich ganz auf den Plot und die Darsteller, allen voran Jodie Foster, die den Part der desperaten Mutter mit sorgenvoll zerfurchter Miene, ängstlichen Blicken und tapfer zusammen gebissenen Zähnen meistert. Sie verkörpert die von Einsamkeit und Ehekrise gebeutelte, auf sich selbst zurück geworfene Großstadt-Bewohnerin, deren zivilisatorische Ur-Ängste über Nacht wahr werden, mit beklemmender Perfektion. Im asexuellen Unterhemd und leidvollen Augen wirkt sie selbst dann noch verletzlich, als sie vom verhuschten Frauchen zum weiblichen Rambo mutiert.

Fincher fokussiert seinen Film mit größtmöglicher Konzentration auf den überschaubaren Plot und die aus der Situation resultierenden Spannungsmomente. Die Botschaft ist so eindeutig wie schmerzhaft: Sicherheit gibt es nirgendwo, nicht in New York, nicht in den besten Wohnvierteln, nicht hinter verschlossenen Türen und - oh Ironie - schon gar nicht im hermetisch abgeriegelten "Safe Room". Noch mehr Unsicherheit erwächst durch die unterschiedlichen Charaktere der drei Einbrecher.

Die unerwartet missliche Lage führt nicht nur bei den Opfern zu Angst und Hysterie, sondern auch bei den Aggressoren: dem offensichtlich dümmlichen, aber ständig Sprüche klopfenden Gecken Junior (Jared Leto), dem bedrohlichen Rohling Raoul (Dwight Yoakam) und dem gutmütigen Bären Burnham (Forrest Whitaker). Alle drei reagieren auf ihre Art auf die Stress-Situation, woraus zusätzliche Unwägbarkeiten in einer ohnehin schon unberechenbaren Szenerie entstehen. Dass sich der von "Ghost Dog" Whitaker gewohnt brillant und mit doppelbödiger Ruhe gespielte Burnham am Ende als Zünglein an der Waage entpuppt und für ein allzu moralisches und optimistisches Finale sorgt, ist eine Schwäche des Drehbuchs, in dem sich leider auch einige ärgerliche Logik-Fehler verborgen haben.

Dennoch erinnert Finchers düster-klaustrophobisches Kabinett-Stückchen, Anfang 2001 realisiert, an Roman Polanskis Psychodramen"Rosemarys Baby" und "Ekel" und hätte wahrscheinlich in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die zynischen Filme der "Schwarzen Serie" populär waren, allein wegen seiner filmerischen Konsequenz und Kompromisslosigkeit für Furore gesorgt. Heute, ein halbes Jahr nach den Anschlägen, die die Welt veränderten, ist "Panic Room" ein erfolgreicher Film, weil er die Ängste der Menschen vor dem Terror in das eigene Heim holt und unter die warme Bettdecke, die plötzlich zu kurz und dünn wird, wenn es nachts in den Dielen knackt oder auf dem Bürgersteig rumpelt.

Der "Thrill" dieses Thrillers über den unbekannten Eindringling in die eigenen vier Wände ist eben umso erschreckender, wenn der "Bogeyman" mit einstürzenden Türmen bewiesen hat, dass er beileibe kein Hirngespinst ängstlicher Großstadtbewohner mehr ist. Regisseur Fincher, der seit "Sieben" zwar künstlerisch, aber nicht kommerziell erfolgreich war, darf sich auf Grund dessen mal wieder über klingende Kinokassen freuen.

"Panic Room". USA 2001. Regie: David Fincher; Buch: David Koepp; Darsteller: Jodie Foster, Kristen Stewart, Forest Whitaker, Jared Leto, Dwight Yoakam; Produktion: Indelible Pictures, Columbia Pictures; Verleih: Columbia TriStar; Länge: 112 Min.; Start: 18. April 2002

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