"Paterson" von Jim Jarmusch So poetisch kann Provinz sein

Ein dichtender Busfahrer -"Star Wars"-Star Adam Driver - fährt auf einer "magical mystery tour" durch seine beschauliche Heimatstadt: Mit "Paterson" schreibt Jim Jarmusch eine bezaubernde Film-Ode an die Provinz.
Von Jörg Schöning
"Paterson" von Jim Jarmusch: So poetisch kann Provinz sein

"Paterson" von Jim Jarmusch: So poetisch kann Provinz sein

Foto: Weltkino

Wenn der Busfahrer Paterson (Adam Driver) zur Mittagszeit sein Sandwich verzehrt, kann es ihm passieren, dass er in seiner Lunchbox eine Postkarte mit dem Konterfei des florentinischen Dichters Dante Alighieri entdeckt. Denn Paterson ist ein Lyrik-Fan, mehr noch: ein richtiger Aficionado, und seine Ehefrau Laura (Golshifteh Farahani) befeuert die Begeisterung ihres Gatten als Muse und Hausfrau so gut sie nur kann.

Gedichte sind also Patersons tägliches Brot. Und wenn er mit seinem Bus durch Paterson kurvt - denn seine Heimatstadt in New Jersey heißt genauso wie er -, dann hat er den Kopf voller Poesie. Und sobald er die Hände vom Steuer nimmt, sein Notizbuch auspackt und zum Kuli greift, verfasst er die schönsten Liebesgedichte. Natürlich sind sie allesamt Laura gewidmet, schon weil bereits Petrarca seine Gedichte einer Laura gewidmet hat. Mögen andere Männer im Hobbykeller an Werkbänken schwitzen, Paterson verfertigt in seinem Gedichte!

Fotostrecke

"Paterson" von Jim Jarmusch: Eine Woche voller Verse

Foto: Weltkino

Auch Jim Jarmusch hat seinen neuen Film als Gedicht angelegt. "Paterson" spielt an sieben Wochentagen, und jedem Tag ist hier eine "Strophe" gewidmet. In jeder variiert Jarmusch sein Thema, wie der Titel es vorgibt: Es geht hier um Paterson, den Mann und die Stadt. Schon die zweite Strophe teilt zu beiden Protagonisten nichts wesentlich Neues mit. Stets folgt die Handlung der gleichen Alltagsroutine.

"Paterson" ist Jarmuschs handlungsärmster Film seit "Permanent Vacation", dem Debüt von 1980, in dem er einen Teenager auf eine nahezu ereignislose Tour durch die Lower East Side schickte. "Ich würde lieber einen Film über jemanden machen, der seinen Hund ausführt, als über den Kaiser von China", hat Jarmusch einmal gesagt. Mit "Paterson" hat er diesen Film nun wirklich gedreht.

Die Magical Mystery Tour beginnt

Dem pünktlichen Erwachen seines Titelhelden, täglich kurz nach sechs, folgen morgendliche Zärtlichkeiten und ein karges Frühstück. Dem Fußweg zur Arbeit schließt sich ein Plausch mit immer demselben, immer deprimierten Arbeitskollegen an. Auch während der Fahrt durch die Stadt: immer die selben Straßenzüge, nur die Dialoge der Fahrgäste unterscheiden sich. Bei jeder Heimkehr nach Hause steht der Briefkasten schief und eine kulinarische Extravaganz auf dem Tisch, doch an beides hat sich Paterson scheinbar gewöhnt. Zur Routine gehört schließlich auch das Feierabendbier in der Nachbarschaftskneipe, wo der Barmann ihn schon erwartet. Und zu der Paterson stets Marvin mitnimmt: Marvin ist eine englische Dogge und, wie sich später herausstellen wird, der einzige wirkliche Antagonist in Patersons sonst so beschaulicher Existenz.

So harmonisch wie das Eheleben, das er beschreibt, ist der ganze Film geraten, seine Haltung zu seinen Personen ist absolut liebevoll und entspannt. Doch so lyrisch und so heiter es in ihm auch zugeht, Jarmusch ist es ernst. Mit der kleinstädtischen "Magical Mystery Tour", in dem Alltagsgeschehnisse ihren ganz großen Auftritt haben, hat der Minimalist des amerikanischen Kinos seine Poetik des Filmemachens in Bilder gefasst.

"Gedanken sind nur in Dingen", lautet eine programmatische Zeile in einem langen Gedicht mit dem Titel "Paterson", das der Dichter William Carlos Williams in den Vierziger- und Fünfzigerjahren verfasste und von dem sich Jarmusch zu seinem Film anregen ließ. "No ideas but in things" heißt es nun auch in seinem "Paterson" in einem Rap, den Method Man vom Wu-Tang Clan in einem Waschsalon zum Besten gibt. Nicht nur Williams' poetische Prämisse, "dass ein Mensch sich selbst eine Stadt ist", findet sich auf der Leinwand gespiegelt. Auch teilt Jarmusch dessen Überzeugung "Alles und jedes ist brauchbar als Stoff für Gedichte. Alles." Nur münzt er sie aufs Kino um.

Auch Streichhölzer sind bedichtenswert

Williams schrieb über Alltägliches. Er dichtete so schmucklos, wie Edward Hopper malte und Walker Evans knipste, die beiden anderen Heroen des Regisseurs. Und wie Jarmusch auch hier wieder filmt. Mal ist es eine Schachtel Streichhölzer, auf die Patersons Blick (und der Blick der Kamera) fällt, was ein langes Streichholz-Gedicht Patersons nach sich zieht. Später ist es die zunächst ganz periphere Geschichte eines in der Kneipe streitenden Paars, die im Verlauf dieses sonst doch so lakonischen Filmgedichts schließlich sogar dramatische Dimensionen annimmt.

Aus solchen Bruchstücken der alltäglichen Dinge fügt sich "Paterson" zusammen. Aus ihnen entsteht der Formenreichtum des Films. So wie Laura während der Abwesenheit ihres Mannes der Wohnung mit wenigen schwarzweißen Mustern immer wieder ein neues Aussehen gibt, erhält auch Patersons scheinbar gleichförmiges Leben täglich einen neuen Twist.

"Als lebte man im 20. Jahrhundert", fühlt sich Laura nach einem gemeinsamen Kinobesuch. Natürlich haben sich die zwei einen alten Schwarzweißfilm geguckt. Zeitlich zurückversetzt darf man sich aber auch in "Paterson" wähnen. Dank des konzentrierten Blicks auf die äußere Wirklichkeit besitzt Jarmuschs Old-School-Hommage an die amerikanische Dichtkunst selber geradezu klassische Qualitäten.

Im Video: Der Trailer zu "Paterson"


"Paterson"
USA 2016
Drehbuch und Regie: Jim Jarmusch
Darsteller: Adam Driver, Golshifteh Farahani
Verleih: Weltkino Filmverleih
Länge: 118 Minuten
Start: 17. November 2016

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren