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Animationsfilm "Oben": Überflieger des Popcornkinos

Foto: Disney / Pixar

Pixar-Abenteuer "Oben" Echt abgehoben, Opa!

So poetisch, spannend und philosophisch kann Trickfilmkino sein: "Oben", das neue Werk aus der Pixar-Schmiede, ist trotz bunter Luftballons alles andere als ein Kindergeburtstag geworden. Es erzählt von einem Greis, der die Schwerkraft überwindet - und die Fesseln des Seins.

Altes Plastik, rostiges Blech: Das ist der Stoff, aus dem Helden gemacht sind. Jedenfalls in den Trickabenteuern des Pixar-Studios. Das Wort Animationsfilm nehmen die Macher ganz wörtlich, indem sie Maschinen und Spielzeug nicht nur im technischen Sinne in Bewegung versetzen, sondern als Wesen mit Ängsten und Selbstzweifeln zum Leben erwecken.

Die ramponierte Cowboypuppe in "Toy Story", das ausgemusterte Rennauto in "Cars" und natürlich der einsam auf der von jedem Leben leergefegten Erde vor sich hin rasselnde Roboter in "Wall-E" - sie alle hinterfragen sich auf menschliche Weise selbst: Ich quietsche, also bin ich. Aber, verdammt noch mal, wer bin ich?

Maschinell reell

Der Held in dem bislang teuersten Pixar-Film ist nun zum ersten Mal ein richtiger Mensch - und passt dennoch bestens in diese beseelte Alteisensammlung. Denn auch der 78-jährige Carl Fredricksen schnarrt und knarrt wie eine betagte Maschine.

Ist da eigentlich noch Leben in der knarzenden Mechanik, mit der dieser grumpy old man tagein, tagaus zwischen Schlafzimmer und Veranda hin und her ächzt? Hinter den beschlagenen Glasbausteinen seiner Brille und dem gefrorenen Griesgrammund lassen sich Gefühlsregungen nicht mal mehr erahnen.

Da erscheint es angemessen, dass uns die Pixar-Regisseure Pete Docter und Bob Peterson in der kunstvollen Ouvertüre zu "Oben" erstmal die Geschichte hinter Fredricksens verwitterter Fassade erzählen. Ein ganzes Dasein, komprimiert auf zehn Minuten: Fast wortlos wird hier die Lovestory eines bebrillten Angsthasen und seiner waghalsigen Ehefrau ausgebreitet.

Ironie, die sich rechnet

Beide träumten einmal davon, die märchenhaften Wasserfälle in Südamerika zu besuchen, die sie erstmals als Kinder im Kino gesehen hatten. Gab es die wirklich, oder waren sie pure Illusion? Der Plan wurde nie umgesetzt, das Leben war trotzdem erfüllt. Irgendwann starb die Frau. Übrig vom großen Reisevorhaben blieb nur eine krakelige Kinderzeichnung überm Kamin.

Regisseur Docter hatte ja schon in seinem Drehbuch für "Wall-E" einen poetischen wortlosen Prolog vor das eigentliche Abenteuer gesetzt. So viel Tragik und stille Komik lag darin, als hätte Charlie Chaplin eine Sci-Fi-Oper geschrieben. Ähnlich anrührend ist nun auch die Stummfilmserenade geworden, die "Oben" vorangestellt wurde.

So ist es nun mal bei Pixar: Computergenerierte Popcorn-Action kommt hier als große cineastische Weltverdichtung daher; die Typen mit den dicksten Rechnern Kaliforniens produzieren Kino in seiner klassischsten und nostalgischsten Form.

Auch bei "Oben", dem ersten Opus des Studios in 3D, das rekordverdächtige 175 Millionen Dollar gekostet haben soll, sitzt man wieder baff im Kinosessel. Während einem von hinten Fanta in den Nacken gegossen und Naschwerk ins Ohr gesteckt wird, fragt man sich unweigerlich, ob dieser Film nicht viel zu schade für den Nachwuchs ist.

Das ist die schöne Ironie in der Pixar-Welt: Hier werden Kinderfilme für Kinderhasser gedreht. Die lieben Kleinen sind in den Trickgeschichten ja meist die eigentlichen Monstren - seelenlos lärmende Brüllautomaten, die den empfindsamen Maschinen deren kunstvoll animiertes Leben zur Hölle machen.

Garstiger Luftikus

Konsequent also, dass Fredricksen einem übergewichtigen Knirps namens Russell, der eines Tages vor seinem Haus steht, um Punkte für seinen Pfadfinderführerschein zu sammeln, erst mal die Tür vor der Nase zuschlägt.

Zu einem Investor, der ihm sein altes Eigenheim abluchsen will, um schicke Hochhäuser darauf zu bauen, verhält er sich nicht minder garstig. Der Gentrifizierung setzt Fredricksen einen geriatrischen Widerstand entgegen - wofür man ihn dann allerdings ins Altersheim zwangseinweisen will.

Doch bevor sich der alte Freigeist einlochen lässt, geht er lieber in die Luft: Mit Hunderten von heliumgefüllten Luftballons bringt er seine alte Hütte zum Abheben, Ziel sind die Wasserfälle seiner Träume. An Bord ist leider auch das halslose Ungeheuer Russell, das sich nach einigen linkischen Lenkmanövern als ein ebenso großer Angsthase erweist, wie es einst der Alte war.

Zugegeben, im südamerikanischen Gebirge läuft die Story mit all ihren sprechenden Hunden, bizarren Paradiesvögeln und Zeppelinverfolgungsjagden ein wenig aus dem Ruder. Man sollte sich allerdings von dem niedlichen Pixar-Illusionismus, durch den ein kaum mehr gehfähiger Greis zur Luftfahrt-Odyssee abheben darf, nicht in die Irre führen lassen: Hinter dem digital befeuerten Budenzauber steckt ein durch und durch archaischer Abenteuertrip.

Nicht umsonst wird hier ausführlich Werner Herzogs Extremistenoper "Fitzcarraldo" zitiert. So wie einst Klaus Kinski einen Flussdampfer durch den südamerikanischen Dschungel schleppen ließ, zieht Fredricksen sein schwebendes Einfamilienhaus hinter sich her. Mann gegen Natur, das ist auch hier eines der zentralen Themen.

Nein, dieses Pixar-Werk ist allen bunten Luftballons zum Trotz wieder mal kein Kindergeburtstag geworden, sondern ein monströser Kraftakt der Selbstüberwindung. Fight on, Carl Fredricksen!

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