Pixar-Spektakel "Wall-E" Roboter sind die besseren Menschen
New York muss eigentlich immer dran glauben. Denn wenn Hollywood die Welt für ein Science-Fiction-Spektakel in Schutt und Asche legt, verwandeln die Tricktechniker die markante Skyline der Metropole gerne in eine markante Trümmerlandschaft. Zuletzt sah man das sehr schön in der Zombie-Elegie "I am Legend" mit Will Smith. Es ist ja auch wirklich stets ein atemberaubender Anblick, die angeblich niemals schlafende Stadt im postapokalyptischen Zustand dahindämmern zu sehen.
All die maroden Türme und all die menschenleeren Schluchten aber, über die am Anfang von "Wall-E" der Blick schweift sie gehören ja gar nicht zu New York! Vielmehr handelt es sich, so stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, um Millionen kunstvoll getürmter Würfel aus gepresstem Schrott.
Mittendrin in diesem Quasi-New York aus altem Eisen und mürbem Beton surrt der kleine Müll-Roboter Wall-E. Das Herz der Welt hat schon lange aufgehört zu schlagen, aber sein Akku läuft und läuft und läuft. Und zwar seit ziemlich genau 700 Jahren. Tagsüber presst er Schrott, abends schaut er sich zur Entspannung ein poröses Videoband des mäßigen Musicals "Hello, Dolly" an.
In den fünfziger Jahren, so heißt es, hatte der Drehbuchautor James Agee ("Die Nacht des Jägers") mal ein Skript für Charlie Chaplin verfasst. Darin sollte sich Chaplins berühmte Figur des Tramps einsam durchs postnukleare Amerika schlagen. Aus dem Film ist nie etwas geworden, mit dem computergenerierten Trickspektakel "Wall-E" aber greift Pixar die Idee jetzt auf: So wie Chaplins abgebrannter Tramp es immer verstand, sich mit seinem Schuhsohlensteak und seinen Schnürsenkel-Spaghetti optimistisch durch die düstersten Depressionen zu lächeln, hat sich Wall-E in den Zivilisationsrückständen des Planeten Erde heimisch eingerichtet.
Mit einer sympathischen Kakerlake streift er durch die verseuchten Ruinen menschlichen Fortschrittsdenkens und sammelt dabei eher verwundert als beeindruckt die sonderbaren Erfindungen des Homo Sapiens ein. Zauberwürfel zum Beispiel. Oder Büstenhalter. Nach Feierabend träumt der Blechkasten dann mit feuchten Sensoren bei "Hello, Dolly" von der Liebe.
Erdacht hat sich das anfangs menschenleere und doch emotional sehr ansprechende Endzeitszenario Andrew Stanton, einer der Chefautoren der Pixar-Studios. Der hatte zuvor ja schon Spielzeugsoldaten als sympathische Zeitgenossen durchs Kinderzimmer turnen lassen ("Toy Story") und Meeresfrüchten menschliche Antlitze verpasst ("Findet Nemo").
Dass man den kleinen tapferen "Waste Allocation Load Lifter: Earth Class", so die technische Kategorisierung für Wall-E, sofort ins Herz schließt, liegt allerdings nicht nur an seinem reizenden Äußeren. Immerhin surrt er sich als Mischung einer "Nummer 5" aus John Badhams gleichnamiger Roboter-Komödie und dem quadratköpfigen Helden aus Steven Spielbergs Alien-Drama "E.T." durch die Handlung. Die Verbindlichkeit wird aber vor allem durch den enormen Durchhaltewillen erzielt, den dieser bescheidene künstliche Intelligenzbolzen vor dem monströsen apokalyptischen Szenario entwickelt.
Hier zeigt sich noch mal die ganze Pixar-Kunst: Denn statt sich in einem verspielten Detailreichtum zu verlieren (wie zuvor die Fox-Trickfilmkonkurrenz beim Flop "Robots") fokussiert Autor und Regisseur Stanton zumindest in der ersten Hälfte konsequent auf die kunstvoll gefälschten fotorealistischen Endzeit-Impressionen denen man im Zusammenspiel mit dem wortlosen Agieren des Low-Tech-Helden Wall-E eine geradezu poetische Dimension abringt.
In der zweiten Hälfte wird die Handlung dann durch das Erscheinen eines weiblich gestalteten Roboters vorangetrieben: Eve die Abkürzung steht für "Extra-terrestrial Vegetation Evaluator" kommt auf die Erde, um nach vegetativen Spurenresten auf dem verseuchten Globus zu fahnden. Eve sieht aus wie ein MacBook im formschönen Eierformat. Ihre weiße Oberfläche glänzt verführerisch, und wenn sie erregt ist, atomisiert sie mit Laserstrahlen alles, was ihr im Weg steht.
Konsumkritik im Popkornkino-Format
Kurz: Für einen rostigen Sparflammenspießer wie Wall-E bleibt die aufregende High-Tech-Amazone unerreichbar. Als jedoch tatsächlich ein letztes zartes Pflänzchen auf der Erde entdeckt wird, erblüht dann irgendwann eine gleichermaßen zarte wie plausible Lovestory zwischen den beiden außerterrestischen Fleißarbeitern.
Die Menschen indes bleiben wie in jedem Pixar-Abenteuer Nebenfiguren. In diesem Film nun treiben die letzten Exemplare seit 700 Jahren auf einem von Robotern geführten Luxus-Raumschiff im Weltall und sind zu Fleischkugeln degeneriert, während sie Getränke mit Pizza-Geschmack zu sich nehmen: Konsumkritik im Popkornkino-Format.
Solch mäßig subversive Einlagen sind allerdings kaum der Rede wert zumal sich die Filmemacher selbst bestens im kapitalistischen Markenflow positionieren: Die Gestaltung der Roboter etwa sendet deutliche Kaufappelle im Sinne von Apple aus, dessen Mitbegründer Steve Jobs ja auch über das Disney-Studio an Pixar beteiligt ist.
Trotzdem ist es eine wahre Wonne, wie es Stanton und seinen Computeranimateuren gelingt, eine funktionierende Lovestory um zwei Maschinen zu bauen und dabei clever so ziemlich jeden Science-Fiction-Klassiker zu zitieren von "Lautlos im Weltall" über "Krieg der Sterne" bis zur unvermeidlichen "Odyssee im Weltall".
Vor allem über die reduzierte blechernen Stimmen der liebenden Roboter, über ihr zartes Fiepen und ihr lustvolles Scheppern, wird eine große Anziehung hergestellt. Nach "Wall-E" versteht man deshalb auch Personen besser, die eine freundschaftliche oder gar erotische Beziehung zu ihrem Computer unterhalten.
Nur die Menschen in diesem Film das ist die Kehrseite von Pixars rigorosem Roboter-Illusionismus lassen den Zuschauer eben unberührt zurück. Seelenlose Maschinen, mehr sind sie nicht.