Polanskis "Gott des Gemetzels" Auf sie mit Gebrüll!

Vier Menschen in einem Raum, jeder hasst jeden. In seiner Verfilmung von Yasmina Rezas Theaterhit "Der Gott des Gemetzels" lässt Roman Polanski grandiose Schauspieler aufeinander los: Kate Winslet gegen John C. Reilly gegen Jodie Foster gegen Christoph Waltz. Ein Volltreffer.
Polanskis "Gott des Gemetzels": Auf sie mit Gebrüll!

Polanskis "Gott des Gemetzels": Auf sie mit Gebrüll!

Foto: Constantin Film

Jodie Foster hat, man muss es so sagen, die Arschkarte. Sie ist Penelope, selbsternannte Buchautorin und Philanthropin, erschüttert von den Zuständen in Darfur, aber noch erschütterter über alle, die sich nicht so sehr um Darfur sorgen wie sie. Eine, die mit aufgesetzter Freundlichkeit und frei von Humor jeden ihre moralische Überlegenheit spüren lässt, sofort. Die Karikatur eines Exemplars dieser privilegierten Gutmenschen, wie sie von sich modern und genauso überlegen fühlenden Konservativen so gern verachtet werden. Foster spielt diese Penelope so überheblich und weinerlich, dass sie jeder verachten muss. Ein Alptraum.

Aber Penelope ist nur die Schlimmste von vier schlimmen Menschen, die sich an einem kalten Herbsttag in einem Apartment in Brooklyn treffen, um sich selbst zu beweisen, dass zivilisierte Menschen keine Kriege miteinander führen müssen. Und um dem Zuschauer zu beweisen, dass der Glaube an zivilisierte Menschen nur eine große, fette Lüge ist. Sie halten sich für die Bourgeoisie und sind doch nur Wilde: Penelope, ihr Mann und Gelegenheits-Hamstermörder Michael (John C. Reilly), die vom Leben und sich selbst gelangweilte Brokerin Nancy ( Kate Winslet), ihr gewissenloser Anwaltsehemann und Dauertelefonierer Alan ( Christoph Waltz). Das Wohnzimmer im Bohème-Intellektuellen-Stil wird bald ein Schlachtfeld sein, bedeckt von Scherben, zerpflückten Tulpen und Nancys Kotze. Das ist die Welt und das Weltbild in "Der Gott des Gemetzels", und das wäre alles sehr, sehr deprimierend. Wenn es nicht so wahnsinnig lustig wäre.

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"Gott des Gemetzels": Karikaturen des Establishments

Foto: Constantin Film

Es musste so kommen, dass Yasmina Rezas viel geliebtes Theaterstück den Weg ins Kino finden würde. Nach der von Jürgen Gosch inszenierten Uraufführung 2006 in Zürich mit Michael Maertens und Corinna Kirchhoff (die Fassung ist hin und wieder noch am Berliner Ensemble zu sehen) gab es Versionen in Paris, London, am Broadway. Überall lachten sich die Leute tot. Dass sich Reza für die Leinwandadaption nun mit Roman Polanski als Regisseur zusammengetan hat (das Drehbuch haben die beiden gemeinsam geschrieben), ist einerseits nicht ohne Risiko, denn es gibt immer noch viele Menschen, die sich keinen Film von einem Menschen ansehen möchten, der seit 1977 in den USA für die Vergewaltigung einer Minderjährigen belangt werden soll.

Andererseits hat der Mann, der Klassiker wie "Tanz der Vampire" und "Frantic" geschaffen hat, noch immer jede Menge Fans; und dass er sich bislang meist als außerordentlich werktreuer Literaturverfilmer gezeigt hat, ob bei "Oliver Twist" oder "Der Ghostwriter", dürfte der Autorin Reza auch gefallen haben. Und nicht zuletzt hat er in "Rosemary's Baby" schon einmal sehr eindrucksvoll die Hölle in ein New Yorker Wohnhaus brechen lassen, wenn auch etwas wortwörtlicher.

Es wird gesoffen, geschrien sowieso - ein einziges, großes Fest

Auch in "Der Gott des Gemetzels" sind die Änderungen gegenüber der Vorlage nur minimal - statt Paris ist nun Brooklyn Schauplatz (wobei Polanski aber in Paris gedreht hat, um nicht verhaftet zu werden), die Namen wurden amerikanisiert, es gibt am Anfang und am Ende jeweils eine kurze Außendreh-Sequenz und insgesamt einige wenige abgewandelte Dialoge. Sonst gibt es teilweise wortgenau das zu sehen, was man aus dem Stück kennt: Zwei wohlhabende Großstadtpaare kommen zusammen, um "wie Erwachsene" einen Streit zwischen ihren beiden Söhnen zu klären, bei dem einer von beiden zwei Zähne verloren hat. Oder "entstellt wurde", wie Penelope es für treffender hält.

Die Paare hassen sich ganz offensichtlich sofort, säuseln sich aber anfangs noch betont freundlich und verständnisvoll an. Einige Male schafft es das eine Paar schon in die Mäntel und bis an die Tür (auch das eine Neuerung gegenüber der Vorlage), aber letztlich entkommen sie doch nie. Die verlogene Fassade bröckelt körnchenweise weg und unterdrückte Ressentiments explodieren irgendwann in offenen Hass. Die Allianzen wechseln, manchmal heißt es nur noch jeder gegen jeden, irgendwann wird gesoffen, geschrien sowieso, es ist ein einziges, großes Fest.

Vom sympathischen Knuddelbär zum tollwütigen Wildschwein

Kino bietet im Gegensatz zum Theater die Möglichkeit, den Blick zwischendurch auf Einzelne zu fokussieren, statt immer die ganze Bühne zeigen zu müssen. Polanski nutzt das besonders gern, um immer mal wieder Christoph Waltz in den Vordergrund zu heben, der als offen boshafter Nihilismus-Verehrer und Penelope-Gegner einen nie versiegenden Quell extrem giftiger und amüsanter Wortsalven geben darf. Eine gute Idee. Nachdem Waltz seit seinem spektakulären Auftritt in "Inglourious Basterds" als genialischer Schurke in Hollywood-Unrat wie "Wasser für Elefanten" und " The Green Hornet" zunehmend langweiliger wurde, darf er hier mal wieder zeigen, dass es eben doch immer noch keinen besseren genialischen Schurken als ihn gibt.

Man könnte Polanski vorwerfen, dass er sich - wie schon beim "Ghostwriter" - zum Sklaven der Vorlage macht. Dass er sich zu sehr auf seine Schauspieler verlässt, statt dem ganzen einen etwas persönlicheren Stempel zu verpassen. Aber warum, wenn die Schauspieler so gut sind, wie hier? John C. Reilly verwandelt sich problemlos vom sympathischen Knuddelbär zum tollwütigen Wildschwein. Kate Winslet ist eine der tollsten Kino-Besoffenen seit Elizabeth Taylor in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" Und Foster und Waltz spielen ihren Kleinkrieg so überzeugend, dass man ihnen auch zutrauen würde, eine Atombombe zu zünden, wenn zufällig irgendwo eine rumläge.

Ein Film über schlechte Menschen, die schlecht zu einander sind. Wie kann der nur so gut sein?

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