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"New York Memories": Schwulste Stadt der Welt

Foto: Basis-Film Verleih

Praunheim-Doku "New York Memories" Bio-Spinat für die Sex-Boheme

Wo sind sie geblieben, die wilden Tage? 20 Jahre, nachdem er für "Überleben in New York" drei deutsche Sinnsucherinnen aus dem East Village porträtierte, kehrt Rosa von Praunheim zurück: Was als Hommage an die "schwulste Stadt der Welt" beginnt, endet als Requiem auf den Sex-Underground.

Der Müll wurde weggeräumt, die Party ist vorbei. Traurig schaut der Filmemacher Rosa von Praunheim in "New York Memories" auf Manhattan, jenen Ort also, der ihm in den Siebzigern und Achtzigern half, sein schwules Selbstbewusstsein auszuformulieren. Hier gab es schwule Aktivisten, queere Kunst sowie eine große Solidarität unter allen, die jenseits der geschlechtlichen Normen lebten.

Und vor allem gab es ganz viele wunderschöne Männer, von denen einige auch mit Praunheim ins Bett gegangen sind, wie der Regisseur im Off-Kommentar genüsslich memoriert. Kurz, New York war die "schwulste Stadt der Welt".

Und jetzt das: Öko-Spinat für 50 Dollar das Pfund; alte Freunde, die in protzigen Lofts residieren; illegale Partys, die unter Bußgeldandrohung von der Polizei geräumt werden. Nein, das ist nicht mehr der Sehnsuchtort, den der inzwischen 67-Jährige in vielen seiner frühen Dokus beschrieben hat. Wer hat Schuld? Für Praunheim gibt es da erstmal nur eine Antwort: Bürgermeister Giuliani. Der, von 1994 bis 2001 im Amt, hätte die Stadt bis zur Unkenntlichkeit gesäubert: "Sexclubs wurden zugemacht, Künstler und Obdachlose vertrieben. Manhattan wurde reich und ein Stück langweilig."

Das kann nun seine alte Freundin Anna Steegman gar nicht finden. Die Auswandererin aus Moers, die seit über 20 Jahren in New York lebt, behauptet eiskalt in die Kamera Praunheims: Giuliani hätte die Stadt eher ein Stück lebenswerter gemacht. Steegmann, um das zu klar zu stellen, ist keine Spießerin. Ihr US-Studium verdiente sie sich Ende der Achtziger als Gogo-Tänzerin. Beim kunstvollen Entkleiden lernte sie auch ihren Mann kennen; einen lustigen Richter, der später seinen Job aufgab, um mit ihr eine eigene Stripbar aufzumachen. Lief dann aber doch nicht so gut; heute unterrichtet er Recht an einer armen Schule in der Bronx und sie kreatives Schreiben am renommierten City College.

Zweizimmer-Wohnung in Görlitz

Kinder, wie die Zeit vergeht: Praunheim hatte Stegmann schon 20 Jahre vorher bei ihrem Job in der Stripbar mit ihren hübschen roten Strapsen gefilmt. Damals arbeitete der Regisseur an der Doku "Überleben in New York", für die er drei deutschen Abenteuerinnen bei der Sinn- und Nahrungsmittelsuche im East Village zeigte. "New York Memories" soll nun quasi ein Update über die Entwicklung der Überlebenskünstlerinnen geben. Aber die gereiften Heldinnen geben nicht allzu einfache Antworten, Praunheim bekommt hier keine Wunschvorstellungen, Aufsteigerphantasien oder Absteigerklischees bestätigt.

New York dialektisch: So wie sich Praunheim von seiner linksliberalen Freundin erklären lassen muss, dass die Arbeit Giulianis mehr Vorteile hatte, als man sich das im fernen Berlin vorstellen könne, so muss er auch andere lieb gewonnene Vorstellungen einer Neubetrachtung unterziehen. Geradlinige Lebensentwürfe in die eine wie die andere Richtung gibt es nicht, auch im fünften Lebensjahrzehnt sind die hier porträtierten Frauen noch auf der Suche.

Wie schon der Vorgänger aus dem Jahr 1989 handelt auch "New York Memories" vom ewigen Werden und Finden. Hinter mondän erscheinender New Yorker Kulisse tut sich so mancher prekärer Lebensentwurf auf; im sexuell befreiten Lifestyle bricht sich schon mal eine bürgerliche Sehnsucht nach Bestandssicherung Bahn.

Praunheim hat ein gutes Gespür dafür, die Widersprüche seiner Protagonistinnen aufzuspüren. Nicht etwa deshalb, weil er ein unvoreingenommener Beobachter wäre, sondern weil er subjektiv an den Stoff herangeht. Weil er, verdammt noch mal, sein geliebtes New York als vor die Hunde gegangen wahrnimmt und nun Antworten haben will, wie es dazu kommen konnte.

Zärtlich, wütend, fordernd - so tritt der Regie-Polemiker, Doku-Romantiker und Schwulenaktivist ("Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt") an seine Figuren heran. Und die packen umso expliziter aus: Erzählen davon, dass sie sich gerade in ostdeutschen Görlitz eine Zweizimmer-Wohnung gekauft haben, weil ihre Rente niemals dafür ausreicht, im Alter weiter in Manhattan zu wohnen. Beichten davon, welche Angst sie davor haben, vom Arzt Rechnungen zu bekommen, die sie nicht bezahlen können. Oder nehmen den Regisseur mit zu spießigen Immobilienhändlerinnen, die ihre finanzielle Unterstützung freisinniger Künstler als Charity-Akt preist.

Der sexuelle und künstlerische Befreiungskampf, er wird von Praunheim in "New York Memories" also penibel psychoökonomisch durchdrungen. Altersmilde stellt sich bei ihm nicht ein. Aber auch keine Altersmüdigkeit. Was vielleicht auch daran liegt, dass der schwule ältere Herr hier auf eine ganz neue Generation von New Yorkern kennenlernt, die unter einem gewissen gender trouble leiden - auch wenn sie nicht mehr ganz so hart zu erkämpfen haben, was Praunheim und die seinigen unter dem Einsatz ihres Lebens taten.

So trifft der Filmemacher zum Beispiel auf den Nachwuchs seines früheren US-Kameramannes, der inzwischen in Manhattan eine riesige Werbefilmfirma leitet. Das 14-jährige Kind wurde als Mädchen geboren, fühlte sich aber immer als Junge und nennt sich jetzt Isaac. Die Eltern, ganz alte New Yorker Boheme-Schule, finden das erstmal nicht weiter schlimm, würden aber gerne, dass sich ihr Spross ein bisschen mehr mit seiner komplizierten sexuellen Identität auseinandersetzt. "Ach", sagt das Kind, das mit seinem Selbstbild als Junge vollkommen im Reinen scheint, nur genervt, "Mama will mich immer auf diese Gender-Events schleppen."

Vielleicht ist ja gerade diese Erkenntnis der Quell für den traurigen Grundton in Rosa von Praunheims Nachruf auf den queeren Underground New Yorks: Die Jungen leben still, leise und eigennützig aus, wofür die Alten einst lautstark aufbegehrten.

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