Tarantino in Hamburg So schlechte Laune

Quentin Tarantino besuchte in Hamburg die Digitalmesse OMR. In den Jubel über die schöne neue Welt mochte er nicht einstimmen, im Gegenteil. Sein bockiger Auftritt wurde zur Trauerfeier für die Filmkunst.
»Ich? Eine Marke? Erklären Sie das bitte.« Quentin Tarantino bei seinem Auftritt in Hamburg.

»Ich? Eine Marke? Erklären Sie das bitte.« Quentin Tarantino bei seinem Auftritt in Hamburg.

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Daniel Nide / DER SPIEGEL

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Gleich vorweg: Nein, welcher Film denn nun sein zehnter und letzter werden wird, verriet Quentin Tarantino auch bei einem Auftritt am Mittwoch in Hamburg nicht. Konnte er auch nicht. Weil er es selbst nicht weiß, wie er ziemlich glaubhaft versicherte. Die Zeiten im Unterhaltungsgeschäft, sie sind nicht so, dass Tarantino sich inspiriert fühlt.

Er hinterließ den Eindruck: Wenn es nach ihm ginge, könnte er auch jetzt schon Schluss machen mit der Filmerei, seinem Sohn beim Aufwachsen zuschauen und ab und zu ein Buch schreiben. Der Digitalisierungsschub, der Hollywoods Geschäftsmodell gerade verändert, ist Tarantinos Sache nicht.

Das ist kein überraschendes Statement für den »Pulp Fiction«-Regisseur. Mit seiner Meinung zu Streamingdiensten hielt er nie hinter dem Berg. Aber so deutlich wie in Hamburg zog er bisher selten öffentlich über Netflix und Co. her, und das macht ihn zu einem herrlich schlecht gelaunten Gast für eine Veranstaltung, die die Digitalisierung eigentlich frenetisch feiern will.

Endlich wieder Menschen: Bei der OMR wurde geschwitzt, gejubelt, gefeiert

Endlich wieder Menschen: Bei der OMR wurde geschwitzt, gejubelt, gefeiert

Foto: Daniel Nide / DER SPIEGEL

Schon der Name, den die Messe sich gibt, klingt nach Jubel über die eigene Geilheit: OMR nennt sie sich, Online Marketing Rockstars. Hier dreht sich alles um das digitale Business. Politiker, Medienmacher, Künstler reden auf Bühnen, es wird connectet und gebrainstormt, gebrandet und achievt. In Kursen, die sich »Masterclasses« nennen, lernt man »Advanced Analytics für Online-Shops« oder: »Wie ihr es schafft, dass alle von eurer Brand sprechen und es euer SEO rockt!«.

Erst mal rockt die plötzlich aufdrehende Tagestemperatur die Besucher, junge Menschen schwitzen bei Sonne und 27 Grad im Innenhof der Messe zwischen Foodtrucks und Red-Bull-Verkaufsständen. Ein Livedrummer trommelt infernalisch laut gegen die Beats eines DJs an. Drinnen ist es stickig, Masken trägt trotzdem fast niemand. Vielleicht trägt das zur aufgekratzten Stimmung bei: endlich wieder Gedrängel, Party, andere Menschen. Es ist fast wie früher. Die Messe schwankt zwischen Pop-Event und Fortbildungskurs, wobei der Event-Charakter eindeutig überwiegt.

Auch in Halle B7. Die Bühne mit drei riesigen Leinwänden hat Ausmaße, von denen Pink Floyd in den Siebzigern nicht mal zu träumen wagten; wenn Musik läuft, wummern die Bässe direkt im Bauch. Meistens wird aber geredet, denn hier geben sich mehr oder minder bekannte Persönlichkeiten die Klinke in die Hand und berichten von ihrem Business, sollen inspirieren und erklären, Vorbild sein.

So wie der Journalist und Aktivist Rutger Bregman, der zu einer Art Star wurde, als er den Fox-News-Rechtsausleger Tucker Carlson während eines Interviews zum Ausrasten brachte. Zur OMR bringt Bregman die beruhigende Nachricht mit: Die Menschen sind gar nicht so böse, wie immer behauptet wird, eigentlich will die Spezies kooperieren und sich gegenseitig unterstützen. Das ist dann sicher auch gut fürs Business.

Überhaupt sind gute Geschäfte und gute Taten nicht mehr voneinander zu trennen. Findet jedenfalls Ashton Kutcher, neben Tarantino die zweite Fachkraft der US-Unterhaltungsindustrie, die bei der OMR auftritt. Als Schauspieler ist Kutcher vielleicht nicht mehr ganz so frisch, aber als Investor offenbar auf Zack. Die Frage, die er sich stellt, bevor er in eine Firma investiert: »Macht dieses Produkt die Menschen glücklich?«. Und nachhaltig muss es sein, klar. So wie die Plastikbecher eines deutschen Start-ups, die sich angeblich in der Spülmaschine einfach rückstandsfrei auflösen. Weltrettung durch Konsum, herrlich.

Nach dem Jubel und der Menge der in die Luft gehaltenen Handys zu urteilen, geht der Tagessieg in Sachen Publikumsgunst eindeutig an Kutcher. Danach flacht die Begeisterungskurve ab, trotz weiterhin großer Namen. Aber da ist vielleicht selbst den Marketing-Menschen zu viel Selbstvermarktung im Spiel. Rapper Xatar bewirbt sein neues Hip-Hop-Label, sein Grillfleisch-Franchise (das anscheinend in Schwierigkeiten steckt, wie er ominös andeutet) und den neuen Film von Fatih Akin über sein Leben. Shirin David soll über Frauenbilder sprechen, aber es geht dann doch mehr um das Parfüm, das sie bei einer großen Kette herausgebracht hat.

Lachen konnte er zwischendurch auch mal: Tarantino im Gespräch mit Steven Gätjen

Lachen konnte er zwischendurch auch mal: Tarantino im Gespräch mit Steven Gätjen

Foto: Daniel Nide / DER SPIEGEL

Dann Tarantino. Der Programmhöhepunkt eigentlich, aber wie gesagt: Der Sieg beim Publikum war Kutcher schon nicht mehr zu nehmen. Und Tarantino hat ganz offensichtlich keine Lust, sich anzubiedern. Ob er sich selbst als Marke sehe, und wie er die pflege, wird er von Interviewer Steven Gätjen gefragt, und Tarantino packt seine schlechte Laune aus. Herrlich erfrischend nach all dem Inspirationsgeschwurbel.

Was genau das eigentlich bedeuten solle, fragt er Gätjen zurück. Marke. Wie solle er eine Marke sein? Na ja, die originellen Drehbücher und so, diese Filme, die jeder kenne, versucht Gätjen zu erklären. Tarantino trocken: »Nach dieser Definition sind auch Mark Twain und Charles Dickens Marken.« Er jedenfalls sei keine, sondern ein Filmregisseur und Buchautor. So viel dazu.

Danach verliert sich das Gespräch ein wenig in größtenteils bekannten Anekdoten, es geht um das Drehbuch zu »Pulp Fiction« und seinen allerersten Film, den er drehte, während er noch in einer Videothek arbeitete (»war wirklich schlecht«). Aber nach 20 Minuten ist Tarantino wieder hellwach, es geht jetzt um Streaming und die Folgen für das Kino. Die Folgen für seine Arbeit. Und damit auch um die Frage, ob es seinen letzten Film, der so viele Spekulationen auslöst, überhaupt noch geben wird.

Dann holt Tarantino zum verbalen Genickschlag aus

Wie es mit dem Kino weitergehe, wisse im Moment niemand, so Tarantino. Es werde noch einige Jahre dauern, bis das klar werde. Eines aber wisse er jetzt schon: »Wenn die Industrie, der ich angehöre, sich dann drastisch von dem Modell der Auswertung von Filmen im Kino abgewandt haben sollte, dann bin ich nicht mehr interessiert. Mein Job ist es nicht, Fernsehen zu machen.«

Natürlich sei die kreative Freiheit bei Streamingdiensten wie Netflix größer, weil der Erfolg eines Films nicht allein an den Einspielergebnissen des ersten Wochenendes gemessen werde. Die Tyrannei der Kinokasse spiele dort keine Rolle. Dann holt Tarantino zum verbalen Genickschlag aus: »Aber keiner dieser Filme bedeutet irgendwas. Ich sage nicht, dass sie schlecht sind. Aber ich sage: Sie sind nicht Teil des Zeitgeistes, sie sind nicht Teil eines kollektiven Gesprächs über Popkultur.«

Ob man ihm nun folgen mag oder nicht: Da sitzt jemand auf der Bühne, der dem Kino, wie die Welt es kannte, nachtrauert, der seinen Schmerz über den von ihm befürchteten Untergang dieser Kunstform kaum verbergen kann. Ein bewegender Moment in einem Umfeld, das in Digitalisierungsträumen und Zukunftsversprechen schwelgt.

Und dann sagt Tarantino auch noch, dass er kein Smartphone besitzt. Der Leiter der Messe, der neben ihm sitzt, fällt fast vom Stuhl. Die Sitzreihen lichten sich schon, während Tarantino noch spricht.

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