RAF-Drama "Schattenwelt" Die Stille nach dem Blitzlichtgewitter
Vor dem Gefängnis drängeln sich die Fernsehteams, der letzte einsitzende Häftling der RAF soll freikommen. Als ein Auto durchs Tor fährt, rast ihm die Presse sogleich hinterher, schließlich muss da der Ex-Terrorist drin sitzen, der noch so viele Geheimnisse mit sich rumträgt. Wer war es wirklich, der damals die tödlichen Schüsse auf den Bankpräsidenten abgegeben hat?
Die Medienleute werden die Frage an diesem Tag nicht mehr beantwortet bekommen. Als sich der Vorhof gelichtet hat, tritt nämlich der Mann aus einem Nebenausgang, dem all die Aufregung gilt: Volker Widmer (Ulrich Noethen), einst RAF-Mitglied der zweiten Generation, seit 22 Jahren in Haft, endlich wieder ein freier Mann. In einem kleinen PKW wird er schließlich ohne jedes Journalistengeschrei von seiner Anwältin in sein neues Leben gefahren, einen Plattenbau am Stadtrand von Freiburg.
Die Stille nach dem Blitzlichtgewitter - sie ist vielleicht der beste Ausgangspunkt für ein Drama um Schuld und Vergeltung, um ewige Lügen und letzte Wahrheiten; für einen Film, der das große Thema im denkbar kleinsten Rahmen verhandelt. In der großartigen ersten Einstellung des RAF-Dramas "Schattenwelt" betrachtete die Kamera den Presseauflauf noch aus extremer Distanz - um im Verlauf des Films ganz dicht an den Ex-Terroristen ranzugehen. Aber kann man so jemandem wirklich nahekommen?
22 Jahre Knast machen einen nun mal nicht weicher. Widmer trägt gleichsam einen Schutzschild aus vulgärer Militanz vor sich her, Fäkalsprache und alte Kampfbegriffe werden von ihm zu einem Sprachpanzer verschmolzen. In der Plattenbauwohnung angekommen, baut der Ex-Knacki gleich noch karges Ikea-Mobiliar als Wall um sich herum auf. Das CD-Regal ordnet er dabei wie ein Gitter vors Fenster an; mit dem Gefängnis ist dem Entlassenen auch ein Stück Sicherheit abhanden gekommen.
Schließlich ist Widmer noch immer im Krieg mit der Welt, auch wenn der Feind für ihn nicht mehr zu benennen ist. Für den alten Radikalen gilt: Der Kampf geht weiter, notfalls führt er ihn eben mit sich selbst.
Doch das ist gar nicht notwendig. Denn in die Wohnung nebenan hat sich eine junge Frau eingemietet, die es tatsächlich auf den Mann abgesehen hat: Valerie (Franziska Petri) ist so was wie eine Vergessene der Geschichte. Ihr Vater war Gärtner bei dem von Widmers Terrorzelle ermordeten Banker - und kam bei dem Attentat ebenfalls ums Leben. Nun will sie den Ex-RAFler eigenhändig zur Rechenschaft ziehen. Aber war er es überhaupt, der die tödlichen Schüsse abgeben hat?
Die Faktenlage in "Schattenwelt" bleibt nebulös, und das kann dieser Film durchaus auf der Habenseite verbuchen. Regisseurin Connie Walther macht im doppelten Sinne ernst mit dem Titel: So wie die beiden unbehausten Protagonisten nicht aus dem Schatten der Geschichte ins Licht der Gegenwart finden, so bleibt der genaue Ablauf des historischen Verbrechens im Dunkeln. Doch ausgerechnet dadurch, wie paradox, holt die Regisseurin die Thematik schmerzlich effizient ins Hier und Jetzt.
Statt aus vermeintlich sicherer Distanz den Deutschen Herbst als überschaubare, abgeschlossene Chronik zu präsentieren, so wie es unlängst als großes Recherche- und Rekonstruktionsunterfangen der "Baader Meinhof Komplex" getan hat, wuchert der Konflikt in "Schattenwelt" (Co-Autor: Peter-Jürgen Boock; Drehbuch: Uli Herrmann) unheilvoll in die Gegenwart: In der Figur des RAF-Veterans Widmer erkennt man unschwer Anleihen an Christian Klar, der unlängst nach 26 Jahren Haft entlassen wurde. Und Opferkind Valerie weist in ihrem drängenden Bedürfnis nach letzten Gewissheiten Ähnlichkeiten zu Michael Buback auf, der noch immer von der Frage gequält wird, wer genau vor über 30 Jahren seinen Vater, den Generalbundesanwalt Siegfried Buback, ermordet hat.
Wie diese Anspielungen in den Film eingearbeitet wurden, dürfte nicht überall Anklang finden, zumal an der Entwicklung des Projekts auch das einstige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock mitgewirkt hat, der nicht als unbedingt zuverlässig in Sachen historischer Aufarbeitung gilt.
Doch mit provokanten Produktionen hat Connie Walther schon Erfahrungen. Für ihren Fernsehfilm "12 heißt: Ich liebe dich" erzählte sie vor zwei Jahren die Liebesgeschichte zwischen einem Stasi-Offizier und seinem Verhöropfer. Vor Ausstrahlung liefen verschiedene Opferverbände Sturm gegen ihr Werk, weil sie eine Verharmlosung der DDR-Verbrechen fürchteten; später gab es zu Recht den Deutschen Fernsehpreis.
Anderes Thema, gleiche Stoßrichtung: Wie im Ost-Drama so wird nun die RAF-Spätfolgenstudie "Schattenwelt" von der Frage bestimmt, wie Opfer und Täter zu gleichberechtigt aktiven Figuren gemacht werden können, die gewissermaßen auf Augenhöhe agieren, ohne dass das Leid des einen und die Schuld des anderen relativiert werden. Walther findet dafür ein paar starke, verstörende Bilder, etwa wenn der Ex-Terrorist und die Rächerin auf dem Balkon kiffen, während unter ihnen im Garten das Leben der anderen stattfindet. Fremd ist die Welt ihnen beiden im gleichen Maße - bloß ist eben der alte Mann dafür verantwortlich, dass es der jungen Frau so geht.
In der Realität herrscht zwischen Tätern und Opfern Schweigen. Die einen können nicht zum Reden gezwungen werden (oder reden sich die Dinge doch nur zurecht), die anderen warten vergeblich auf letzte Wahrheiten. Der RAF-Blockbuster "Baader Meinhof Komplex" hat daran ja nichts geändert. Durch die gewagte Erzählanordnung, durch die Verlängerung des Konflikts in die Gegenwart löst Regisseurin Walther mit "Schattenwelt" aber im gewissen Sinne die Scham- Angst- und Schmerzstarre auf. Vielleicht brauchte es dazu einfach die Stille nach dem Blitzlichtgewitter.