Ranch-Doku Wie der Bush-Boom Klein-Crawford überrollte
Berlin - Viel war nicht los in Crawford vor dem großen Boom. Dann und wann ein Auto auf dem Lone Star Parkway, der Hauptstraße mit der einzigen Ampel der Kleinstadt, noch seltener ein vorbeifahrender Zug auf dem Weg zum nächsten Halt im Nachbarkaff McGregor. Und sonst? 705 Einwohner, eine baptistische Kirche, zwei Tankstellen, eine Kneipe, eine Schule - und ein ganzer Haufen Kühe, Texanische Longhorns.
Dann kam der Kandidat. Als George W. Bush im Jahr 1999 ins Rennen um das Weiße Haus starten wollte, brauchte er eine Geschichte, eine Story, um seine potentiellen Wähler zu begeistern. Crawford war dafür ideal. Bush kaufte das 650 Hektar große Gelände der Prairie Chapel Ranch, auf dem einstmals der deutschstämmige Bauer Heinrich Engelbrecht Schweine und Puten gezüchtet hatte. Er kaufte ein Image, das des erdverbundenen, bauernschlauen Texaners.
An diesem Tag änderte sich das Leben der Menschen in Crawford von Grund auf. US-Regisseur David Modigliani hat darüber nun einen Film gemacht: "Crawford". Der Film - bewusst nicht in Michael-Moore-Manier gedreht - zeigt, was der Boom der Souvenirshops, was Sicherheitsleute vom Secret Service, was Staatsbesuche am Fließband und was Heerscharen von Journalisten mit den Bewohnern einer Kleinstadt anstellen, für die Footballspiele am Freitagabend bis dahin die größte denkbare Aufregung waren.
Viele, die in Crawford leben, haben Bush gemocht. Reverend Mike Murphy, der Pastor der baptistischen Kirche, sagt, vielleicht hätten nicht gerade alle seine Gemeindemitglieder für Bush gestimmt, aber 99,9 Prozent, das könne er sich schon vorstellen. Viele im stramm konservativen Stammland werden den Noch-Präsidenten auch noch immer mögen.
Selbst nach all dem, was passiert ist: nach den Ereignissen im Irak, die das amerikanische Ansehen weltweit schwer beschädigten; nach den Tausenden von Kriegsgegnern, die - angeführt von der Soldatenmutter Cindy Sheehan - über Crawford hereinfielen, um den Präsidenten den Sommerurlaub zu vermiesen; nach fanatischen Bush-Anhängern, die gegen Sheehan und ihre Anhänger zu Felde zogen; nach den TV-Journalisten, die bei ihren Berichten immer genau den selben Hintergrund verwendeten: eine verfallene Scheune nahe der Schule und ein paar Strohballen, um Crawford und seine Einwohner besonders hinterwäldlerisch erscheinen zu lassen.
110 Stunden Rohmaterial, drei Jahre Drehzeit
Rund 110 Stunden Filmmaterial haben Modigliani und seine Leute gesammelt. "Mehrmals habe ich gedacht, dass wir alles Material haben, was wir brauchen", erinnert sich der Regisseur. "Aber dann passierten wieder neue Dinge." Am Ende hat er rund drei Jahre lang in Crawford gedreht, und dabei Menschen wie Norma Nelson Crow getroffen. Die Frau, ein ausdrücklicher Bush-Fan, kam mit dem Boom wieder in ihre alte Heimatstadt Crawford zurück und eröffnete dort einen Souvenirshop. Doch Ende 2006 musste sie schließen, die mittlerweile grauenhaften Popularitätswerte des Kriegspräsidenten hatten ihr das Geschäft vermiest.
Explizite Bush-Gegner hat Modigliani auch getroffen, zum Beispiel die Lehrerein Misti Turbeville. Sie kritisiert im Film Bushs Ranch-Kauf als PR-Stunt, mit dessen Hilfe sich der Kandidat rechtzeitig vor der Wahl ein heroisches Cowboy-Image zugelegt habe: Wer aus der Kleinstadt komme, sei moralisch integer. Diese Botschaft habe der Präsident transportieren wollen.
Man sollte sich indes täuschen: Modigliani, der stets auf der Mikro-Ebene bleibt, will mit seinem Film keine eigene Botschaft unters Volk bringen. Sein Ziel ist es, die Bewohner von Crawford so präzise wie möglich darzustellen, unverzerrt. Ein Plan, der gelungen ist, wie Zoran Gojic, der Pressechef des Filmfestes München, findet: "Modigliani nimmt die Leute ernst, er denunziert seine Protagonisten nicht", sagt Gojic im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Dem Regisseur gelinge es, seine eigene Haltung zu Bush nicht zu thematisieren. Die Münchner werden "Crawford" erstmals in Deutschland zeigen, am 22. und am 26. Juni.
David Modigliani wird dann auch dabei sein. Doch vorher hat er noch eine andere, eine wohl wichtigere Reise vor sich. Am 8. Juni will er seinen Film in Crawford zeigen: auf einer 15-Meter- Leinwand, die im Football-Stadion im Tonkawa Park stehen wird. Zehn Dollar wird dann der Eintritt kosten, für Crawforder die Hälfte.
Das Präsidentenpaar hat unterdessen durchblicken lassen, dass sie die Ranch nach Ende von Bushs zweiter Amtszeit aufgeben wollen. Man werde, so sagte Laura Bush, im kommenden Jahr wohl nach Highland Park, einem Städtchen im Norden von Dallas, umziehen. Crawford hat seine Schuldigkeit getan.