
Rassismus-Rührstück "Green Book" Unterwegs mit dem weißen Retter
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Im US-amerikanischen Kino-Diskurs gibt es den Begriff des "White Saviour", des "weißen Retters". Diese Figur taucht in zahlreichen Filmen auf, wenn es gilt, einem afroamerikanischen Charakter aus einer institutionell rassistisch verursachten Misere zu helfen. Meistens lernt sie dabei auch noch etwas über sich selbst.
Es ist eine Figur, die sich an ein weißes Kino-Publikum richtet, sie soll beruhigen und aufrichten: Hey, wir sind nicht ALLE schlimm. Es gibt diesen Typus in gefeierten Rassismus-Dramen wie "12 Years a Slave" ebenso wie in "Django Unchained" und in "BlacKKKlansman" . Und es gibt ihn auch in "Green Book": Viggo Mortensen spielt ihn als grobschlächtigen Italo-Amerikaner Tony "Lip" Vallelonga. Der Unterschied zu den zuvor genannten Filmen ist: In "Green Book" spielt der "White Saviour" die Hauptrolle.
Daran gibt es von Beginn an keinen Zweifel: In einem ausführlichen Intro wird Vallelonga, wuchtig, wanstig und schmierig wie ein "GoodFellas"-Klischee, als gewiefter Nachtklub-Bouncer aus der Bronx eingeführt. Seine Familie bringt er mit Hot-Dog-Fresswettbewerben, Faustschlägen oder Gaunereien über die Runden. Als seine Frau Dolores (Linda Cardellini) zwei schwarze Handwerker für eine Haushaltsreparatur anheuert, sitzen alle verfügbaren Männer der Familie im Wohnzimmer, gucken Baseball und passen auf. Die Gläser, aus denen die beiden Arbeiter Limonade getrunken haben, wirft Tony in den Müll: Es ist 1962 in Amerika. Man ist Rassist.
Dieser simple Macho-Klotz soll nun einen der begnadetsten schwarzen Konzertpianisten auf einer Tournee durch den von Rassentrennungsgesetzen durchwirkten Süden der USA begleiten - als Chauffeur und Leibwächter. Don "Doc" Shirley, ein gebildeter, hochtalentierter und kultivierter Gentleman, der mit den Kennedys befreundet ist, wohnt in einem musealen Apartment über der ehrwürdigen Carnegie-Hall. Als er Tony zum Bewerbungsgespräch empfängt, sitzt er auf einem Thron. Der wie immer sanft-präzise Mahershala Ali ("True Detective") gibt seiner Figur entwaffnende Verlorenheit und unerbittliche Würde.
Der dramaturgisch vermutlich krass überzeichnete Kontrast dieser Konstellation beruht auf einer wahren Geschichte: Tonys Sohn Nick Vallelonga schrieb das Drehbuch und co-produzierte; es war sein Herzensprojekt. "Green Book" wird als Rassismus-Rührstück gepriesen und ist für sechs Oscars nominiert (u.a. bester Film): Es ist aber, trotz einiger bewegender Szenen, kein Drama, sondern ein vor allem auf den Bauch zielendes Buddy-Movie in der Tradition von "Flucht in Ketten", "Die Glücksritter" oder, anders gelagert, "Driving Miss Daisy". Ähnlich aus der Zeit gefallen wirkt auch "Green Book" mit seiner naiven Prämisse, dass alles Übel in der Welt schon überwunden werden kann, solange sich Schwarz und Weiß über gesellschaftliche Hürden hinweg persönlich näherkommen und verstehen lernen.
Und genau das passiert natürlich in diesem überraschungsarmen Film von Klamauk-Regisseur Peter Farrelly ("Dumm und Dümmer"): Je mehr sich der smaragdfarbene Cadillac mit Tony und Doc Shirley vom liberalen New York entfernt, desto mehr gerät das Verhältnis der beiden Männer in Schwingung: Vom Fond aus versucht Shirley seinem Proleten-Fahrer Manieren beizubringen, der raucht Kette und schiebt sich zum Dinner auch mal eine ganze, zusammengerollte Pizza ins Großmaul. Shirley spielt Abends Populärmusik für die weiße High Society, doch bald bekommt er zu spüren, dass er nicht dazu gehört: Geleitet vom ebenfalls realen "Green Book", der titelgebenden Reisebroschüre mit sicheren Anlaufstellen für Afroamerikaner, werden die Absteigen für den gefeierten Star schäbiger und dreckiger - bis der Ehrengast noch nicht mal mehr die Toilette am Auftrittsort benutzen darf.
Green Book
USA 2018
Regie: Peter Farrelly
Drehbuch: Nick Vallelonga, Peter Farrelly, Brian Hayes Currie
Darsteller: Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini, Dimiter D. Marinov, Mike Hatton
Produktion: Participant Media, DreamWorks, Amblin Partners, Innisfree Pictures, Wessler Ent.
Verleih: Fox
Länge: 130 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Start: 31. Januar 2019
Hier, in Louisiana und Alabama, schlägt die Stunde des "White Saviour" Tony, der sich für schwärzer als Shirley hält und seinen distinguierten Chef mit dessen "eigener" Kultur vertraut macht - frittiertem Hühnchen und R&B. Er rettet den homosexuellen, trotzigen Musiker aus allerlei bedrohlichen Situationen - nicht nur, weil er es als Weißer kann und es sein Job ist, sondern weil er sich mit ihm über alle Ressentiments und Klüfte hinweg angefreundet hat. Hach.
Das existenzielle Drama Don Shirleys, das er in einer Szene verzweifelt offenbart ("Nicht weiß genug, nicht schwarz genug, nicht Mann genug: Was bin ich!?"), bleibt in "Green Book" indes ungelöst; der Film eilt zur nächsten Episode, wenn der Blick in den Abgrund aus strukturellem Rassismus und individueller Entfremdung zu schockierend werden könnte.
Dennoch ist "Green Book" kein ungenießbares Machwerk, sondern berührt und fesselt. Das verdankt Farrelly seinem Talent für Comedy, Kitsch und Timing, vor allem aber Viggo Mortensen und Mahershala Ali: Was der eine zu dick aufträgt, balanciert der andere mit feinen Nuancen und Gesten meisterlich aus. Allein diese Dynamik, zwischen zwei Männern mit unterschiedlicher Hautfarbe und Kultur, die in ihrer Schauspielkunst hier trotz banaler Vorzeichen grandios harmonieren und brillieren, ist inspirierend.
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Unterwegs mit dem "weißen Retter": Don (Doc) Shirley (Mahershala Ali, r.) will 1962 durch den rassistisch durchwirkten Süden der USA touren. Als Chauffeur und Leibwächter heuert er den italo-amerikanischen Nachtklub-Bouncer Tony "Lip" Vallelonga (Viggo Mortensen) an.
Gebildet, kultiviert, musikalisch hochbegabt: Don Shirley, in "Green Book" von Mahershala Ali verkörpert, ist eine reale Figur: Der klassisch ausgebildete Konzertpianist suchte vergeblich Zugang zur weißen Musikerszene, sie akzeptierte ihn nicht. Seine Plattenfirma drängte ihn, Populärmusik zu spielen.
Auch Tony Vallelonga (l. mit Linda Cardellini als Ehefrau Dolores) gab es wirklich: Sein Sohn Nick schrieb das Drehbuch zu "Green Book" und fungierte auch als Co-Produzent.
Kluge Gattin: Leider ist Linda Cardellinis Rolle als Tonys Ehefrau Dolores nur sehr klein - aber wirkungsvoll.
Je südlicher die Konzerte, desto schäbiger die Absteigen: Aus dem "Green Book", einer (realen) Anleitung für afroamerikanische Reisende durch die Südstaaten, sucht Tony für Doc (Mahershala Ali) die Motels und Pensionen heraus, in denen Schwarze wohnen dürfen. Shirley erträgt es mit stiller Würde.
Musizieren für die High Society: Mit seiner Band spielt Don Shirley (Mahershala Ali) für die weiße Gesellschaft und wird als Genie gefeiert - in ihrer Mitte akzeptiert sie ihn wegen seiner Hautfarbe trotzdem nicht.
Grandioses Zusammenspiel: Aus der Dynamik zwischen den Hauptdarstellern Viggo Mortensen und Mahershala Ali schöpft "Green Book" viel Kraft.
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