
"Raving Iran": "Diese Art von Musik wird nicht geduldet"
"Raving Iran" Zum Feiern bitte ein Formular ausfüllen
Lust auf abraven im Iran? Und dann noch in der Wüste, so richtig "Burning Man"-mäßig? Bestens, die beiden DJs Anoosh und Arash haben schon die nötigen Leute mit knapp 900 Dollar bestochen. Diesmal gehts noch tiefer in die Wüste - damit nicht wie beim letzten Mal ein Kameltreiber die Beats hört, die Polizei auftaucht, wild um sich prügelt und diverse Feierwütige ins Gefängnis steckt. Auch Anoosh saß damals hinter Gittern, eine Narbe an der Stirn erinnert ihn bis heute daran.
Wer Drogen oder Alkohol mitnehmen möchte - bitte, aber auf eigene Gefahr. Bis zum Ziel stehen diverse Polizeikontrollen an. Wer erwischt wird, wandert gleich ins Gefängnis. Und an alle Damen: Kopftuch und Mantel zum schnellen Überziehen nicht vergessen, sollten doch Neugierige auftauchen. Aber dann ist wahrscheinlich ohnehin alles zu spät. Wer im Iran zu elektronischen Beats tanzen will, darf das Risiko nicht scheuen. Er begibt sich in direkte Opposition zum Regime.
Die Regisseurin Susanne Regina Meures hat Anoosh und Arash in ihrem Alltag im Iran begleitet. In einem Land, dessen Regierung das, was die beiden lieben, für illegal erklärt. In Europa gilt House als unpolitische Musik für Nachtschwärmer und Hedonisten; dass die Loveparade in Berlin früher als politische Demo angemeldet wurde, hat niemand wirklich ernst genommen. Im Iran dagegen wird Deep House zum Statement gegen den Staat, zur illegalen Provokation, zur Rebellion.
Eine weibliche Leadsängerin? "Völlig unmöglich."
In ihrer Heimatstadt Teheran versuchen Anoosh und Arash, die sich als DJ-Duo Blade & Beard nennen, dort die Genehmigung für Live-Auftritte zu bekommen und ihre neue CD zu vertreiben. Dazu müssen sie diverse Formulare ausfüllen, das Cover und Plakate im Ministerium für Kultur und Islamische Führung genehmigen lassen.
Die Beamtin studiert das Booklet. "Englische Sprache ist nicht erlaubt", betet sie herunter. "Keine Darstellung von Frauen. Kein Make-Up. Keine westlichen Dinge." Eine weibliche Leadsängerin? "Völlig unmöglich. Nur im Hintergrund, verhüllt." Und wenn sie ein Piercing trägt? "Kann sie gleich zur Sittenpolizei." Dann beendet ihr männlicher Kollege das Verfahren ganz schnell: "Diese Art von Musik wird nicht geduldet. Nur Klavier und traditionelle Musik sind erlaubt." Ende der Diskussion.
Es sind Sequenzen wie diese, die "Raving Iran" so besonders machen. Weil sie ganz unmittelbar vor Augen führen, was es bedeutet, in einer Theokratie zu leben. Nämlich, sich angeblich religiös motivierten, in Wahrheit aber willkürlichen Regeln beugen und kafkaesk anmutenden Prozeduren unterziehen zu müssen, die die Machthaber als völlig normal hinstellen. Sich abgeschnitten zu sehen von der Möglichkeit, seine Kreativität auszuleben und sich frei auszudrücken. Schon der Versuch birgt Gefahren. "Lass uns gehen, wenn wir weiterfragen, wird es brenzlig," meint Arash am Ende der Sequenz.
Fliehen oder bleiben?
Unter diesen Umständen gestalteten sich die gesamten Dreharbeiten schwierig und gefährlich. Meures betrieb beträchtlichen Aufwand, dabei nicht aufzufliegen. Dass sie ohne Drehgenehmigung filmte, versteht sich von selbst. Die meisten Aufnahmen entstanden mit versteckten Mini-Kameras und Smartphones. Meures hatte immer Speicherkarten mit harmlosen Touristen-Fotos dabei, die sie bei einer Kontrolle schnell austauschen konnte. Die Filmaufnahmen transportierte sie dann in ihrem BH. Außer Landes geschmuggelt wurden die Festplatten von iranischen Studierenden, die an europäischen Hochschulen eingeschrieben waren.
Der Versuch, ihre CD unter dem Ladentisch zu verkaufen, wird für Anoosh und Arash zum gefährlichen Spießrutenlauf. Eine geheime Party fliegt auf, Anoosh landet erneut für eine Nacht hinter Gittern. Danach erwägen die beiden ernsthaft, ins Ausland zu gegen. Die Street Parade in Zürich lädt sie ein, dort aufzulegen. Wider Erwarten bekommen beide tatsächlich ein Visum für fünf Tage. Viel Zeit bleibt ihnen also nicht, in Zürich ihren Kulturschock zu verarbeiten. "Bleibt dort, kommt nicht wieder nach Hause", sagt Anooshs Mutter am Telefon. Aber vor allem Arash fällt die Entscheidung schwer.
Nach der Weltpremiere auf dem Filmfest von Locarno hat Susanne Regina Meures mit ihrer Abschlussarbeit "Raving Iran" jüngst den Nachwuchspreis "First Steps" für den besten Dokumentarfilm bekommen. Die Dramatik und Dynamik ihres Films speist sich aus seiner Geschichte und wird unterstrichen durch die von den Umständen diktierte Umsetzung. Die oft verwackelten Bilder besitzen eine große Unmittelbarkeit, die den Zuschauer die erstickende Situation im Iran mehr sinnlich erfahren als analytisch begreifen lässt.
Mit dem Innenblick und der poetischen Tiefe von Filmen wie "No Land's Song" oder "Taxi Teheran", die ebenfalls die Freiräume innerhalb des Mullah-Regimes austesten, kann sich "Raving Iran" nicht messen. Aber gerade dem europäischen Publikum macht er eindrücklich deutlich, was es wirklich bedeutet, in Freiheit leben zu dürfen.
Im Video: Der Trailer von "Raving Iran"