"Red Sparrow" mit Jennifer Lawrence Folter, oh Folter

Hübsche russische Spionin trifft auf muskulösen US-Agenten - und die beiden erleben brutale Gewalt: Der Agentenfilm "Red Sparrow" mit Jennifer Lawrence säuft in üblen Bond-Klischees ab.

Eine Bolschoi-Ballerina fristet mit ihrer kranken Mutter eine Plattenbau-Existenz. Nachdem jemand ihr aus Eigennutz die Karriere durchgrätscht, bleibt ihr nur eine Chance, der Armut zu entkommen: Sie muss als Rekrutin zum russischen Geheimdienst SWR, wo schon eine aus "Liebesgrüße aus Moskau" (From Russia with Love) bekannte Lotte-Lenya-Vorgesetzten-Type mit flachen Schnürschuhen und übergriffigen Fingern auf sie wartet. Ein US-Agent mit breitem Kinn wird der erste Auftrag der Rookie-Agentin: Ihm soll sie den Namen des Maulwurfs entlocken, der dem CIA heimlich Informationen zusteckt.

Doch Agent Nate (Joel Edgerton) ist muskulös, Ballerina Dominika ( Jennifer Lawrence) ist schön - es kommt, wie es kommen muss, in diesem geradezu ausufernd klischeebeladenen Actionfilm nach einem Roman von Jason Matthews: Statt kaltem Krieg gibt es heiße Liebe, und Dominika, deren größter Verdienst es ist, in allen Lebenslagen einen akkurat stumpf geschnittenen Pony über der Stirn zu tragen, der selbst in harten Folterszenen nur minimal verstrubbelt, muss in der von Francis Lawrence inszenierten Geschichte noch einige Male die Seiten wechseln, bis sich der Plot endlich für einen Schluss entschieden hat.

Ausführliche Folterszenen

Fast minimalistisch streng und mit absurden Ansätzen erzählt der Regisseur dabei eine altmodische Spy-vs-Spy-Story, die sich nur in den ultrabrutalen performativen Gewaltszenen und im fehlenden Humor von harmloseren alten Bond-Filmen unterscheidet: Wenn hier jemandem die Kehle durchgeschnitten wird, dann war er kurz vorher noch dabei, die Heldin zu vergewaltigen, und so sehen wir ihn gemeinsam mit ihr unter ihm liegend langsam sterben, während der Draht sich in seinen Hals bohrt und das Blut auf Dominika spritzt. Und wenn hier jemand gefoltert wird, dann dauert das richtig lange - FSK 16-lange, so lange, dass man weggucken und weghören möchte, weil man einfach nicht verstehen kann, wozu ästhetisierte Folter dient, außer, junge Menschen unter 16 zum Mütchen kühlen aufzufordern, indem sie versuchen, diesen Film verbotenerweise zu schauen.


"Red Sparrow"
USA 2018

Regie: Francis Lawrence
Drehbuch: Justin Haythe, basierend auf Jason Matthews
Darsteller: Jennifer Lawrence, Joel Edgerton
Produktion: Chernin Entertainment, Film Rites, Soundtrack New York
Verleih: 20th Century Fox
FSK: ab 16 Jahren
Länge: 139 Minuten
Start: 1. März 2018


Neben der Gewalt, die bis auf wenige Ausnahmen in den Händen der Männer bleibt, ist es der Sex, oder besser die Vorstellung vom Sex, die den Regisseur zu interessieren scheint: Zu Anfang durchläuft Dominika eine lange Ausbildung in der speziellen "Geheimdienstschule" - dort werden schöne Frauen (und ebensolche Männer) zu "Red Sparrows" ausgebildet. Red Sparrows lernen, was die unterdrückten Leidenschaften und Begehren des anderen sind, können sie befriedigen, und müssen ihre Hingabe beim Akt auch regelmäßig im Klassenzimmer demonstrieren - eine Idee wie aus einem 60er-Jahre-Groschenheftchen. Nur bleibt hier jegliche visuelle Explizität, die garantiert ihren Reiz haben könnte, in der üblichen US-Prüderie (ein einziger Nippelblitzer im ganzen Film) stecken.

Ein bisschen Sigmund Freud

"Man nennt euch magische Muschis", sagt in der albernen deutschen Synchronfassung immerhin folgerichtig später jemand zu Dominika. Von da aus ist es ein Katzen- bzw. Muschisprung zur Theorie der "Vagina Dentata", die von Freud aufgestellt und von Camilla Paglia weitergesponnen wurde: Der permanent triebgesteuerte Mann hat Angst vor der ihre Weiblichkeit nutzenden Frau. Was ihm bleibt, um die in seinen Augen bestehende Machtschieflage geradezurücken, ist nur sexuelle Gewalt. In einer der wenigen interessanten Szenen im Film bietet sich Dominika einem Mitrekruten, der erfolglos versucht hatte, sie zu vergewaltigen, vor aller Augen und willentlich an. Der Mann kann und will plötzlich nicht. "Ihm ging es um Macht, nicht um Sex" analysiert Dominika klug - und irgendwo im Hinterkopf erklingt immerhin ein schwaches Echo der #MeToo-Debatte.

Fotostrecke

Agentenfilm "Red Sparrow": Heiße Liebe statt kaltem Krieg

Foto: 20th Century Fox

Hatte Regisseur Lawrence seine Heldin Katniss, gespielt von der (nicht mit ihm verwandten) Jennifer Lawrence in drei "Tribute von Panem"-Teilen noch als aktiv handelnde Herrin ihres eigenen Schicksals präsentiert, als vorbildliche Actionheldin, die im Zweifelsfall moralisch denkt und vorgeht, so lässt er die gleiche Schauspielerin hier machtlos durch schablonenhafte pseudorussische Kulissen stapfen. Ab und an zieht sie sich aus, meist um die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu ziehen. Meistens aber muss sie auf Hilfe warten - auf echte durch den "boyfriend" oder falsche durch verschiedene Bösewichte im SWR, mit denen sie dummerweise auch noch verwandt ist. James Newton Howard hat dazu einen selbstvergessenen Bond-Score erstellt, der - genau wie die Attitude des Films - merkwürdig anachronistisch wirkt.

Während man anderen neueren Actionheldinnen wie der unbestechlich-gerechten Gal Gadot als Wonder Woman, der prügellaunigen Noomi Rapace in "What happened to Monday?" oder Charlize Theron (sowohl als "Atomic Blonde" als auch als Imperator Furiosa in "Mad Max") trotz ähnlich fragwürdigem Umgang mit handlungsirrelevanter Gewalt wenigstens einen gewissen Schmackes in Sachen Selbstermächtigung zugestehen kann, so bleibt das hier außen vor. Dominika alias Lawrence irrt verloren durch den Nebel. Und hofft drauf, dass ihr Schicksal von mächtigen Händen (mit haarigen Fingergliedern) in die richtige Richtung gelenkt wird.

Im Video: Der Trailer zu "Red Sparrow"

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