Regie-Hoffnung Mike Mills "So viele Menschen haben Angst vor der Liebe"

In der wunderbaren Tragikomödie "Beginners" verarbeitet US-Regisseur Mike Mills die Geschichte seines Vaters, der erst im Rentenalter sein Coming-Out hatte. Im Interview erzählt Mills, wie persönlich sein Film wirklich ist und was er von Fellini gelernt hat.
Regisseur Mills: "Der Film hat natürlich auch therapeutische Aspekte"

Regisseur Mills: "Der Film hat natürlich auch therapeutische Aspekte"

Foto: Matt Carr/ Getty Images

SPIEGEL ONLINE: Herr Mills, in "Beginners" erzählen Sie die Geschichte Ihres Vaters, der erst mit 75 Jahren sein Coming-Out hatte und die letzten fünf Jahre seines Lebens offen schwul lebte. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie aus dieser sehr privaten und schmerzhaften Erfahrung einen Film machen wollten?

Mills: Eigentlich wusste ich das schon, als mein Vater noch am Leben war. In den letzten Monaten vor seinem Tod war er mir gegenüber so offen wie nie zuvor, und wir hatten viele intensive Gespräche über sein Leben. Da merkte ich, dass mich seine Geschichte ganz unabhängig davon berührte, dass er mein Vater war - denn sie drehte sich um Liebe, Sex und Geschichte. Über diese drei Dinge konnte ich anhand unserer Familiengeschichte etwas aus nächster Nähe erzählen. Meinem Vater habe ich von diesem Vorhaben übrigens auch erzählt.

SPIEGEL ONLINE: Und wie hat er reagiert?

Mills: Mein Vater war ein sehr lustiger und gediegener Mensch. Ihm erschien es naheliegend, aus seinem Leben einen Film zu machen. Deshalb hat er mir auch erlaubt, unsere Gespräche aufzunehmen und für das Filmprojekt zu verwenden.

SPIEGEL ONLINE: Die Geschichte Ihres Vaters ist sehr speziell. Haben Sie sich beim Schreiben und Filmen darauf verlassen, dass die Zuschauer schon das Allgemeingültige darin entdecken werden - oder war Ihnen das egal?

Mills: Nein, ich habe schon darauf abgezielt, dass die Menschen den allgemeinen Kern erkennen. Ich glaube aber, dass man, gerade wenn man ein größeres Publikum ansprechen will, eine ganz konkrete und spezifische Geschichte erzählen muss. Ich habe zum Beispiel keine Ahnung davon, wie Fellinis Leben gewesen sein muss, wie man sich als italienischer Mann Anfang der Sechziger gefühlt hat und welche Probleme er mit den Frauen hatte. Aber in seinen Filmen erzählt er davon so konkret und eindringlich, dass ich mich da reinfühlen kann. Genau so wollte ich es mit meinem Film machen. Ich wollte nichts über mich, sondern einfach etwas Wahres erzählen.

SPIEGEL ONLINE: An Filmen arbeiten sehr viele Menschen mit, außerdem zieht sich der Produktionsprozess oft sehr lang hin. Haben Sie das Gefühl, dass "Beginners" noch Ihre Geschichte erzählt oder hat sich das längst verselbständigt?

Mills: Der Film ist eine seltsame, großartige Kollaboration zwischen meinem Vater, mir als Drehbuchautor und Regisseur sowie Christopher [Plummer, der Darsteller des Vaters im Film] und Ewan [McGregor, der Darsteller von Mills' Alter Ego] und dem Filmteam. Wenn ich mir jetzt den Film ansehe, denke ich: "Ah, Christopher ist wirklich toll!" Ich denke nie, dass Christopher mein Dad ist oder Ewan mich spielt. Das sind für mich Figuren, die ich geschrieben habe und in denen Einiges von mir drin steckt - mehr nicht.

SPIEGEL ONLINE: Ewan McGregor hat in Interviews erzählt, dass er Sie bei den Dreharbeiten beobachtet hat, um Sie auch ein bisschen nachzumachen. Wie war denn die Zusammenarbeit zwischen Ihnen? Haben Sie auch ihn beobachtet?

Mills: Ewan erzählte erst bei unseren ersten gemeinsamen Presseterminen davon, dass er mich beobachtet hat. Das hat mich sehr überrascht - zum Glück wusste ich davon nichts während der Dreharbeiten, denn sonst hätte ich mich sehr unwohl gefühlt. Im Gegenteil, ich habe ihm am Set dauernd gesagt, dass er mich nicht nachmachen muss. Dasselbe habe ich auch Christopher gesagt: Ich will, dass Ihr die Charaktere bewohnt und sie Euch zu eigen macht. Ansonsten werden die Zuschauer nichts mit ihnen anfangen können.

SPIEGEL ONLINE: Wissen Sie denn, was er sich von Ihnen abgeguckt hat?

Mills: Nein. Seitdem er erzählt hat, dass er mich beobachtet hat, rätsele ich, was er übernommen haben könnte. Wobei - ich habe keine besonders gute Haltung. Das könnte er kopiert haben.

SPIEGEL ONLINE: Stört Sie das?

Mills: Nicht wirklich. Ich weiß noch, wie ich Ewan einen Brief geschickt habe, kurz nachdem er für den Film zugesagt hatte. Darin schrieb ich, dass er alles machen kann, was er für die Rolle braucht - meinetwegen auch mich nachspielen. Aber nicht, weil ich es so will, sondern nur, wenn er es für nötig hält.

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Familiendrama "Beginners": Papas Coming out

Foto: Universal Pictures

SPIEGEL ONLINE: Wie sind die Schauspieler Ihnen gegenübergetreten? Haben sie Sie als persönlich Betroffenen gefragt, wie Sie bestimmte Szenen erlebt haben oder waren Sie der Regisseur, von dem sie Anweisungen erwarteten?

Mills: Sowohl als auch. Ich erzähle ja dauernd und allen möglichen Leuten Dinge über meine Eltern. Deshalb verwischt das alles. Vor Beginn der Proben haben Christopher und ich mehrfach telefoniert, und dabei habe ich immer wieder von meinem Vater angefangen. Irgendwann hat Christopher gesagt: Ich ziehe jetzt wieder in einer deiner Geschichten. Er hatte für sich das Bild gefunden, dass er als Schauspieler wie ein Teebeutel funktioniert, der in dem heißen Wasser der Geschichten von meinem Vater zieht und dabei seinen ganz eigenen Geschmack verbreitet. Diese Formulierung fand ich sehr schön und treffend, denn sie beschreibt, wie Christopher die Rolle ausfüllt.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie das Gefühl, mit dem Film die Geschichte Ihrer Eltern verarbeitet zu haben?

Mills: Nein, die Geschichte seiner Eltern und deren Tod verarbeitet man nicht. Natürlich hat der Film auch therapeutische Aspekte. Aber das war nicht mein Ziel, dafür habe ich einen Therapeuten. Ich kann einfach nur über Dinge schreiben, über die ich viel nachgedacht und in der Therapie behandelt habe. Über alles, was meine Eltern betrifft, habe ich übrigens nicht geschrieben - nur über den Liebeskram. Ich hatte ja schon mal für meinen ersten Film die Pressearbeit gemacht und wusste: Wenn ich einen so persönlichen Film mache, muss ich später auf der ganzen Welt sehr viel darüber reden. Deshalb habe ich nur die Dinge aufgeschrieben, bei denen ich sicher war, so ausführlich über sie reden zu können.

SPIEGEL ONLINE: Neben der Geschichte über das späte Coming-Out Ihres Vaters erzählen Sie in "Beginners" noch eine andere Liebesgeschichte, nämlich die vom Enddreißiger Oliver, der sich in Sachen Beziehung nicht festlegen kann. In dieser Geschichte werden sich sicherlich viele Zuschauer zwischen 30 und 40 wiedererkennen können. Finden Sie es eigentlich legitim, in solchen Lebensfragen Antworten von einem Film zu erwarten?

Mills: Ich persönlich ziehe als Zuschauer und Leser sehr vieles aus Filmen und Büchern heraus, das etwas mit meinem Leben zu tun hat. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal "Manhattan" von Woody Allen gesehen habe. Da steckte für mich so viel Wahres in der Darstellung von Liebe und Liebesbeziehungen drin. Ich glaube, es hilft einem, Teile von sich selbst in Filmen wiederzuerkennen, das macht sie für einen selbst klarer. Aber was man genau aus einem Film zieht, lässt sich kaum verallgemeinern.

SPIEGEL ONLINE: Wie realistisch müssen Filme für Ihren Geschmack sein?

Mills: Was real ist, ist eine große, schwierige Frage. Da gibt es nicht eine einzige Haltung dazu, eher ein Spektrum. Fellinis "8 1/2" hat zum Beispiel viele phantastische Elemente. Für mich enthält der Film aber viele Wahrheiten über Liebe und Beziehungen. Generell kann ich aber sagen, dass ich Filme mache, damit sie eine Wirkung auf das Leben der Zuschauer haben - zumindest versuche ich das.

SPIEGEL ONLINE: Welche Wirkung sollte denn "Beginners" haben?

Mills: Ich habe dabei nicht an die eine Botschaft gedacht. Ich habe einfach versucht, einige wahre, authentische Aspekte menschlichen Lebens auf die Leinwand zu bringen. Im besten Fall treten die Zuschauer dann in Austausch damit und verständigen sich darüber. Manche Dinge weiß man von sich selbst ja gar nicht, bis man sie plötzlich in einem Film sieht. Deshalb besteht "Beginners" auch aus vielen Fragmenten und Szenen, die ich nicht weiter erkläre. Ich glaube, sie sind stark genug, um für sich selbst zu stehen.

SPIEGEL ONLINE: In dem Film ergeben sich immer wieder kleine Konflikte zwischen den schwulen Freunden des Vaters und Oliver, weil sie glauben, er hätte ein Problem mit ihrer Homosexualität. Dabei geht er sehr entspannt damit um. Ist das die Tragödie des Films - dass der Vater verkannt hat, wie viel sich in Sachen Gleichberechtigung und Akzeptanz getan hat und er deshalb viel zu lang mit seinem Coming-Out gewartet hat?

Mills: Ich weiß nicht, ob ich das als Tragödie bezeichnen würde. Es ist einfach Teil der Geschichte von mir und meinem Vater, dass sein Leben ganz anders verlief, weil er 1924 geboren wurde und die Schwulenbewegung und Schwulenkultur ganz anders wahrgenommen hat als ich, der 1966 geboren wurde. Mit ihm darüber zu sprechen war teils lustig, teils herzzerreißend. Für mich zeigt es, welche Macht Geschichte über intimste Aspekte unseres Lebens hat - das Private ist politisch, es ist Teil des größeren sozialen Zusammenhangs.

SPIEGEL ONLINE: Olivers Probleme scheinen aber wenig politisch zu sein. Er ist einfach von einer großen Traurigkeit ergriffen, die ihn immer wieder an seiner Beziehung zweifeln lässt. Das könnte man auch als selbstbezüglich wahrnehmen.

Mills: Ich finde, er ist sehr wenig selbstbezüglich - schließlich versucht er, seinen Vater zu verstehen und über seine Trauer hinwegzukommen. Außerdem thematisiert er mit seiner Freundin, in welchen historischen Zusammenhängen ihre Beziehung steht - dass sie nicht in den Krieg ziehen mussten, dass sie ihre Sexualität nicht verheimlichen mussten, dass sie viel mehr Raum haben, um alle Ambivalenzen zuzulassen. Diese Art der Selbstverständigung wird oft diffamiert und verurteilt. Wenn ein Paar Zweifel an seiner Beziehung hat, dann gilt das nicht als "echtes" Problem. Ich glaube aber, dass wir in unserem Beziehungsleben gar nicht zwischen "echten" und "erfundenen" Problemen unterscheiden können - sie fühlen sich genauso drängend und real an. Meiner Meinung nach haben viel mehr Leute Angst vor der Liebe, als sie sich einzugestehen bereit sind. Deshalb erscheinen mir Olivers Probleme als genauso drängend wie die seines Vaters.

Das Interview führte Hannah Pilarczyk

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