Regisseur Wes Anderson "Ich stecke gerne Prügel ein"
SPIEGEL ONLINE: Manche Menschen reisen durch Indien, um etwas über sich zu lernen, andere drehen dafür Filme. Sie sind durch Indien gereist und haben dabei einen Film gedreht. Ihr persönlicher Weg zur doppelten Selbsterkenntnis?
Anderson: Doppelte Erkenntnis? Das wäre schön! Aber im Ernst: Ich habe tatsächlich das Gefühl, mich mit "Darjeeling Limited" auf eine spirituelle Reise begeben zu haben. Um das Drehbuch zu schreiben, sind Roman Coppola, der Sohn von Francis Ford, Jason Schwartzman und ich durch Indien gereist, große Teile sind im Zug entstanden. Wir haben das Skript in einem Ort am Fuße des Himalajas beendet - die Exotik dort hatte etwas Magisches. Ich will nicht übertreiben, aber der Trip hat mein Leben verändert. Wir drei sind uns noch näher gekommen, als wir uns ohnehin schon waren. SPIEGEL ONLINE: Einen Film von Wes Anderson erkennt man sofort, egal, ob er in Indien oder New York geschrieben wurde.
Anderson: Das ist aber nicht mein Ziel. Was Sie auf der Leinwand sehen, entsteht unbewusst. Mich selbst überrascht immer das Resultat, während die Kritiker eher die Parallelen zu meinen vorigen Filmen sehen. Ich versuche stets so persönlich wie möglich zu arbeiten, lande aber wohl oft an einem ähnlichen Punkt. Ich mache meine Arbeit und überlasse Genre-Filme jenen Regisseuren, die sich sicher auf ihren jeweiligen Terrains bewegen.
SPIEGEL ONLINE: Und wie definieren Sie Ihr eigenes Genre?
Anderson: Ich fühle mich sehr unwohl mit diesem Begriff. Ich setze mich einfach mit meinem Kreativpartner und Freund, dem Schauspieler Owen Wilson, zusammen und wir versuchen einen starken Stoff zu finden, den wir in drei Wochen schreiben können. An diesem Prozess verliere ich dann allerdings mit schöner Regelmäßigkeit das Interesse. Mich faszinieren Charaktere, die von Menschen inspiriert sind, die ich kenne, die aus unserem Leben stammen. Das ist mein Genre.
SPIEGEL ONLINE: Viele Regisseure träumen davon, mit Bill Murray zu drehen. Sie lassen ihn in "Darjeeling Limited" lediglich für wenige Minuten stumm hinter einem Zug her rennen. Ist das der ultimative filmische Dandyismus?
Anderson: Filmischer Dandyismus? Was für ein treffender Ausdruck! Das war die erste Szene, die wir geschrieben hatten. Und für die Rolle kam nur einer in Frage: Bill.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie ihm die Tatsache verkauft, dass er für nur zwei Drehtage um den Globus fliegen muss?
Anderson: Ich habe ihm erzählt, dass er keinen Charakter spielen wird, sondern ein Symbol. Das fand er offenbar interessant. Wir mussten ihn sogar ein zweites Mal einfliegen lassen, für eine Szene am Ende.
SPIEGEL ONLINE: Die etwa fünf Sekunden lang ist...
Anderson: Exakt. Aber Bills Performance stellte sich für mich als Schlüssel zu meinem eigenen Film heraus. So hatte ich unsere Geschichte gar nicht gesehen, als wir sie geschrieben haben.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben eigens für den Film Reisegepäck entwerfen lassen. Finden Sie das nicht übertrieben?
Anderson: Kein bisschen. Mein Bruder hat das Muster mit den kleinen Tieren entworfen und dann haben wir es produzieren lassen. Obwohl ich zeitweilig schon in Sorge war, der Film könne wie ein Werbespot für eine Reisegepäckfirma aussehen. Aber das Gepäck war enorm wichtig, denn es repräsentiert den toten Vater der drei Brüder. Ich brauchte Gepäck mit Charakter.
SPIEGEL ONLINE: Der Dandyismus liegt häufig nahe beim Snobismus. Man kann Ihre Geschichte dreier reicher Amerikaner, die in einem sehr armen Land herumalbern, auch sehr kritisch sehen.
Anderson: Ich bin mir dieser Interpretation bewusst. Und für mich ist das auch ein Film über diese Art von Touristen, die nach spiritueller Erleuchtung suchen, aber keine Ahnung von Indien haben. Mir war klar, dass wir für den Film attackiert werden könnten. Und wir haben darüber gesprochen, ob wir einige Details ändern sollten, um weniger Angriffsfläche zu bieten. Aber so will ich nicht arbeiten, das hätte ich bereut. Ich will meine Vision auf die Leinwand bringen. Dafür stecke ich gerne auch Prügel ein, obwohl ich ein sehr dünnes Fell habe.
SPIEGEL ONLINE: Sie gelten als sehr detailversessen. Was hat Ihren sehr speziellen visuellen Stil geprägt?
Anderson: Gut, dass Sie das Thema ansprechen. Ich werde häufig dafür kritisiert, dass mein visueller Stil alles überlagert. Ein typischer Vorwurf lautet: Viel Stil, wenig Substanz, all die Details versperren die Sicht auf das Wesen der Figuren. Aber mit den Details will ich sie doch nur zum Leben erwecken! Fellini hatte zum Beispiel einen sehr speziellen Stil. Schon nach den ersten Bilder wusste man: Fellini. Viele seiner Filme hatten nicht einmal eine Geschichte, alles war Stil. Ich hoffe sehr, dass meine Filme nicht so wirken. Trotz aller Details sollen die Charaktere im Vordergrund stehen. Ich glaube, man kann Filme mit Substanz machen, die trotzdem stilistisch interessant sind.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie lieber im Paralleluniversum Ihrer Filme leben als in der Realität?
Anderson: Ich habe das Gefühl, meine Realität ist genau so, wie das Universum meiner Filme. Aber das mag an meiner verqueren Perspektive liegen. Vielleicht weiß ich gar nicht, was Realität ist.
Das Interview führte Christian Aust