
Robert Zemeckis: Zurück aus der Zukunft
Hollywood-Regisseur Zemeckis "200-Millionen-Dollar-Budgets sind kriminell!"
SPIEGEL ONLINE: Mr. Zemeckis, Sie sind vor fast 30 Jahren mit der Teenie-Komödie "Zurück in die Zukunft" berühmt geworden. Ihr neuer Film "Flight" über einen alkoholkranken Piloten behandelt erwachsene Themen: Sucht, zerbrochene Ehen. Mussten Sie erst älter werden, um solche Stoffe zu behandeln?
Zemeckis: Mit Anfang 20 hätte ich den Film vielleicht nicht machen können, da hätte mir die gewisse Reife gefehlt. Aber ansonsten - eigentlich schon. Man kann die Frage auch umdrehen. Dann würde ich sagen, dass ich meine früheren Filme heute nicht mehr machen wollte. Durch den kolumbianischen Dschungel zu robben, wie wir es für "Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten" getan haben, überlasse ich mittlerweile gerne anderen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben das vergangene Jahrzehnt vor allem mit digitalen Techniken wie Motion Capture experimentiert und animierte Filme wie "Der Polarexpress" gemacht. Wie war es, nach rund zwölf Jahren mit "Flight" wieder live action zu drehen?
Zemeckis: Nicht wirklich anders als bei meinen letzten Realfilmen. Hat sich nicht viel getan.
SPIEGEL ONLINE: Hat sich Ihre Art des Filmemachens gar nicht durch Ihre Experimente verändert? In der "New York Times" haben Sie jüngst behauptet, das digitale Kino verleite die Filmemacher zu Schlampigkeit.

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Zemeckis: Viele Regisseure arbeiten dadurch tatsächlich nicht mehr so exakt - sie denken, sie könnten alle Fehler später digital beheben. So entstehen aber immense Kosten, gutes Handwerk ist das also nicht. Mein eigenes Filmemachen hat die Technik nicht entscheidend verändert. Ich habe mich von Film zu Film weiterentwickelt. Als größte Herausforderung habe ich es stets empfunden, wenn ein Schauspieler abspringt und ich mich auf jemand Neues einlassen muss.
SPIEGEL ONLINE: Bei "Flight" fällt der eigenwillige Erzählrhythmus auf. Der spektakuläre Flugzeugabsturz kommt gleich am Anfang - danach wechseln sich komische und hochdramatische Szenen ab. Ein Kollege in der Pressevorführung meinte nach einer Stunde: "Keine Ahnung, worauf das hinauslaufen soll." Haben Sie vorab viel mit der Struktur gespielt oder später umgeschnitten?
Zemeckis: Nein, das war eigentlich alles so in John Gatins' Drehbuch angelegt. War Ihr Kollege denn eher genervt oder angetan davon, dass die Geschichte so wenig vorhersehbar war?
SPIEGEL ONLINE: Er wirkte angenehm überrascht.
Zemeckis: Freut mich. Es gibt wirklich nur noch wenige Filme, bei denen man nicht sofort weiß, wie sie enden. Das Besondere an "Flight" ist eben, dass er so viele verschiedene Elemente wie Spannung, Humor oder Action verbindet.
SPIEGEL ONLINE: In den USA wurde "Flight" bereits als eine Art Comeback von Ihnen gefeiert - endlich würden Sie wieder "richtige" Filme machen.
Zemeckis: Schon komisch, dass manche Leute meinen, die einzig zulässige Art, Filme zu machen, bestünde darin, echte Menschen durch eine Linse zu filmen.
SPIEGEL ONLINE: "Flight" hatte ein Budget von 31 Millionen US-Dollar - wenig im Vergleich zu Ihren früheren Projekten wie "Beowolf" mit 150 Millionen. Tatsächlich ist "Flight" sogar Ihr günstigster Film seit "Mit einem Bein im Kittchen" von 1980. War es hart, mit so wenig Geld auskommen zu müssen?
Zemeckis: Ich empfand es eher als Herausforderung, mit den gewandelten Erwartungen des Publikums umzugehen. In den vergangenen zehn, 15 Jahren sind die Zuschauer deutlich anspruchsloser geworden. Das stellt einen Filmemacher vor das Dilemma, ob er das ignorieren und einen Flop riskieren soll - oder sich flexibel zeigen muss.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben sich offensichtlich für das Risiko entschieden und mussten lang darum kämpfen, überhaupt das Geld für "Flight" zusammenzubekommen. Woran lag das?
Zemeckis: Kann ich Ihnen gar nicht genau sagen. Sogar als feststand, dass Denzel Washington die Hauptrolle spielen wird, war die Finanzierung nicht gesichert.
SPIEGEL ONLINE: Hätten Sie mit mehr Geld etwas anders gemacht?
Zemeckis: Nein, weder inhaltlich noch technisch. Ich hätte aber gern mehr Drehtage gehabt. Wir hatten nur 45 veranschlagt - ich hatte Angst, dass ich mit den Schauspielern nicht die nuancierten Darstellungen würde erarbeiten können, die ich wollte. Das hat aber zum Glück geklappt. Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich sehr froh bin, mit einem moderaten Budget gearbeitet zu haben. Die aktuellen Riesensummen sind unverantwortlich.
SPIEGEL ONLINE: Sie meinen die 200-Millionen-Superhelden-Filme?
Zemeckis: Ja, solche Budgets sind kriminell! Wenn da ein Film floppt, steht ein ganzes Studio auf der Kippe. Außerdem engen einen solche Budgets kreativ unglaublich ein. Wenn Sie mit einem Film, der 200 Millionen Dollar gekostet hat, Geld verdienen wollen, müssen Sie mindestens 800 Millionen Dollar umsetzen. Und um das zu erreichen, müssen Sie jeden Menschen auf der Welt, der sich auch nur flüchtig für den Film interessiert, dazu bringen, ins Kino zu gehen. Aber wenn die Zielgruppe so riesig ist, kann ein Film gar kein echtes Thema haben.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem versuchen viele, aus den Blockbustern von Christopher Nolan die großen Themen der Zeit herauszulesen.
Zemeckis: Ja, schon interessant, warum die Leute in seinen Filmen so viel mehr erkennen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Wie schlecht steht es denn wirklich um das anspruchsvolle Mainstream-Kino? Sieht man sich die Liste der aktuellen Oscar-Nominierungen von "Argo" über "Life of Pi" bis "Zero Dark Thirty" an, kann man doch zufrieden sein. Größtenteils interessante Filme, die zudem gut an den Kinokassen abgeschnitten haben.
Zemeckis: 2012 war ein guter Jahrgang. Aber aus jedem der großen Hollywood-Studios kam genau ein guter Film. Die machen doch eigentlich keine Filme mehr - die kümmern sich nur noch um den Vertrieb.
SPIEGEL ONLINE: Was wird Ihr nächstes Projekt sein - wieder live action oder zurück zu Motion Capture?
Zemeckis: Keine Ahnung. Wahrscheinlich kein Film, in dem ein Flugzeug abstürzt. Vielleicht aber auch genau das.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn man Ihnen ein großes Budget anbietet, würden Sie nein sagen?
Zemeckis: Sicherlich nicht. Ich werde nur noch mit vernünftigen Budgets drehen.
SPIEGEL ONLINE: Wie definieren Sie "vernünftiges Budget"?
Zemeckis: Eines, das einem künstlerische Freiheit erlaubt und einen angemessen entlohnt.
SPIEGEL ONLINE: Waren die 31 Millionen Dollar für "Flight" denn vernünftig?
Zemeckis: Nein, das Budget war tatsächlich etwas zu niedrig. Aber wissen Sie: Als ich jünger war, dachte ich, dass mehr Geld mehr Freiheiten bedeuten würde. Oft bedeutet es aber nur mehr Ausstattung - und nicht automatisch mehr Freiheiten, diese Ausstattung auch einzusetzen.
SPIEGEL ONLINE: Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, bei Ihrem nächsten Projekt einen ähnlich anspruchsvollen Stoff wie "Flight" mit mehr Geld verfilmen zu können?
Zemeckis: Sehr gering. Aber man muss optimistisch bleiben.