Regisseurin Kathryn Bigelow Poetin des Actionkinos
Ihr schmaler Mund wird inzwischen von tiefen, wie mit dem Skalpell gezogenen Falten eingerahmt. Die langen, braunen Haare sind von Silberfäden durchzogen. Zweifellos ist die Regisseurin Kathryn Bigelow auch mit 57 Jahren eine bemerkenswert schöne Erscheinung: Asketisch schlank und hochgewachsen - und mit einer stolzen, selbstbewussten Ausstrahlung, die ihr oft zu Unrecht als Kälte ausgelegt wird.

Regisseurin Bigelow (2008 in Venedig): Durchschlagskraft einer MG-Salve
Foto: CorbisAls Schauspielerin entspräche Bigelow allein optisch locker dem Anforderungsprofil Hollywoods. Doch der Gang vor die Kamera kam der studierten Malerin und Filmemacherin nie in den Sinn - dem stand ihre Aversion gegenüber den sexistischen Mechanismen im Kulturbetrieb im Wege, aber auch ihre Schüchternheit. Auch wenn man letzteres angesichts von aggressiven, vor Lebenshunger strotzenden Filmen wie "Gefährliche Brandung" (1991) oder "Strange Days" (1995) kaum glauben mag.
Dass sie seit 30 Jahren so selbstverständlich als Amazone tituliert wird, als stünde es in ihrem Pass, ringt Bigelow nur ein müdes Lächeln ab. Dass sie nach dem einzigen Flop ihrer Karriere, dem U-Boot-Drama "K-19" (2002), sechs Jahre brauchte, um die Finanzierung eines neuen Projekts zu sichern, ärgert sie nachhaltig: "Mir fällt kein männlicher Kollege mit vergleichbarer Reputation ein, dem noch lange nach einem Misserfolg mit ähnlicher Skepsis begegnet wurde wie mir", sagt sie im Interview mit SPIEGEL ONLINE.
Wenn man es sich so richtig verscherzen möchte mit Kathryn Bigelow, dann muss man es so machen wie ein britischer Kollege beim Filmfestival von Venedig, wo 2008 ihr aktueller Film "The Hurt Locker - Tödliches Kommando" Weltpremiere feierte. "Warum drehen Sie eigentlich nur Männerfilme?", hieß es damals in der Pressekonferenz - und Bigelows Replik kam mit der Durchschlagskraft einer MG-Salve: "Die Frage habe ich ungefähr eine Million Mal gehört - und sie ist seit dem ersten Mal nicht schlauer geworden. Denn sie impliziert, dass Inhalte und stilistische Ausdrucksmittel geschlechtsspezifisch sind. Auf diese Haltung stoße ich andauernd und wundere mich, dass wir im 21. Jahrhundert noch nicht weiter sind. Schlimm genug, wenn Hollywood hauptsächlich nach starren Formeln arbeitet und serienweise ein- und denselben Actionfilm für Männer oder nur noch romantische Komödien für Frauen produziert. Ich halte solche Limitierungen für antiquiert und sehe es als Künstlerin als meine Pflicht an, den Geschichten zu folgen, die zu erzählen es mir unter den Nägeln brennt. Die einzig relevante Frage ist doch: Was löst eine Arbeit beim Betrachter aus. Und nicht: Trägt die verantwortliche Person Hemd oder Bluse."
Konzentrierte Kinetik
Die Kompromisslosigkeit, mit der Bigelow für autonome Themenwahl plädiert, überträgt sich auf jeden ihrer Filme. Wenn sie am besten ist, wie bei ihrem modernen Vampirfilm "Near Dark" (1987) oder nun bei "The Hurt Locker", dann ist ihr Kino nichts weniger als konzentrierte Kinetik.
Dazu braucht es mehr als Etats für Explosionen oder schnelle Schnittrhythmen, mit denen erfolgreiche Gaukler wie Michael Bay Dynamik vortäuschen. Bigelow indes sucht zuerst den Weg in die Köpfe ihrer Protagonisten - im Science-Fiction-Thriller "Strange Days" sogar buchstäblich -, um ihnen dann Schritt für Schritt auf dem Weg ihrer Extremerfahrungen zu folgen, in einen Rausch der Thrills, der für die Figuren nicht selten böse Folgen hat.
Die marodierenden Blutsauger in "Near Dark", die Surfer und die Cops in "Gefährliche Brandung" oder die Bombenentschärfer in "The Hurt Locker", sie alle begeben sich freiwillig in Situationen, in denen blindes Vertrauen auf Instinkte über Leben oder Tod entscheidet.
Politische Korrektheit hat nichts zu suchen in den Überdruckkammern, zu denen der Kinosaal bei einem Bigelow-Film wird.
Scharf ist sie kritisiert worden für "Blue Steel" (1989), als sie eine Frau in Charles-Bronson-Manier die Waffe gegen ihren Peiniger richten ließ.
Gegen "The Hurt Locker" wird derzeit vereinzelt das Totschlagargument vorgebracht, dass ein Film über erfolgreiche, amerikanische Soldaten im Irak aus der Sicht einer Amerikanerin nichts als Propaganda sein könne.
Man möchte verzweifeln über dieser reflexhaften Ignoranz, denn so wie "Blue Steel" keine weibliche Rachephantasie war, sondern den Verlust der Illusion von Gerechtigkeit schilderte, bedient "The Hurt Locker" weder Patriotismus noch Pazifismus, sondern findet auf dem Boden der Tatsachen zum Wesen der Todesgefahr in einem Kriegsgebiet.
Episodenhaft folgt der Film Männern bei ihren Einsätzen, ohne Wertung, ohne Erklärung, ohne "liberales Gewinsel" ("Süddeutsche Zeitung"). Es geht ganz allein um die Frage, ob das Durchtrennen des falschen Drahtes noch vor der Detonation eine Druckwelle auslöst, die im Umkreis von bis zu 300 Metern tötet, wenn jede Luftkammer des Körpers zerquetscht wird.
Beklemmende Subjektivität
Doch so sehr der laut Bigelows Ex-Ehemann James Cameron "beste Film über den Krieg seit 'Platoon'" bei der Beschreibung einer bizarren Berufsgruppe in der Realität verhaftet bleibt - 41 Prozent aller US-Gefallenen im Irak starben durch handgemachte Sprengsätze -, so virtuos unterstreicht Bigelow hier ihren Ruf als Bilderstürmerin. Gemeinsam mit dem für sein Cinéma Verité bekannten Kameramann Barry Ackroyd ("United 93") drehte sie in Tunesien 200 Stunden Material für zwei Stunden Laufzeit.
Eine beispiellose Quote, die ermessen lässt, wie sehr Bigelow ihre Ausbildung als Malerin unter Lehrern wie Richard Rauschenberg verinnerlicht hat und nun auf großer Leinwand mit Einzelbildern experimentiert. Ähnlich wie Ridley Scott bei seinem Somalia-Kriegsfilm "Black Hawk Down" arbeitete sie mit bis zu zwölf Kameras gleichzeitig, manche versteckte sie absichtlich vor ihren Schauspielern, um sie zu desorientieren ("Wir nannten sie Ninja-Kameras"). So konnte sie im Schneideraum aus den Vollen schöpfen.
Es gibt in "The Hurt Locker" Sequenzen, deren Kunstfertigkeit sich erst beim wiederholten Ansehen erschließt, so fein greifen Stilmittel ineinander, die bei Bigelow nie Selbstzweck sind, sondern stets im Dienst der Story stehen. Man könnte es die Poesie des Actionkinos nennen: Handkameras erzeugen beklemmende Subjektivität, Zeitraffer vermitteln Orientierungslosigkeit, jeder Reißschwenk gibt eine neue Information preis.
Und wenn ein paar Steinchen auf einem Autodach in Superzeitlose vibrieren oder in der Ferne ohne jeden Laut ein Mündungsfeuer blitzt - dann ist das der Sekundenbruchteil, nach dem die Todesstatistik in den Abendnachrichten korrigiert werden muss.
"Zumindest bei uns in Amerika", erklärt Bigelow ihre Beweggründe für einen der intensivsten Filme, die über den Konflikt am Golf gedreht wurden, "ist der Irakkrieg in den Medien seit langem unterrepräsentiert. Ich selbst etwa hatte vor meinen Recherchen nie etwas von der Arbeit der Bombenentschärfer gehört, die wohl den gefährlichsten Job der Welt haben."
Ihre Aufgabe als Filmregisseurin sieht sie jedoch nicht darin, eine moralische Wertung vorzunehmen, "denn dieser Krieg ist zu komplex, als dass ihm überhaupt ein Film gerecht werden könnte".
"Doch zu zeigen, wie es sich aus individueller Sicht anfühlt, jeden Tag zehn bis fünfzehn Mal mit dem Tod konfrontiert zu werden und dabei nicht wahnsinnig vor Angst zu werden - das war unser Anliegen und ist bei aller fiktionalen Überhöhung alltägliche Realität."