
"Die Vermessung der Welt": Detlev Buck mag's deftig
Kinofilm "Die Vermessung der Welt" Dünne Story, deftige Bilder
Wem dieser Film wohl richtig gut gefallen hätte, ist Bernd Eichinger. "Die Vermessung der Welt" ist Dicke-Hosen-Kino erster Güte, ganz nach dem Geschmack des verstorbenen Großproduzenten. Wuchtige Männerfiguren, opulente Bilder, modernste Technik, deftige Szenen - etwa wenn eine Prostituierte mit vollem Mund spricht. Und zwar nicht, weil sie isst, sondern weil sie bedient. Um nicht missverstanden zu werden: Der Film ist größtenteils wirklich sehenswert, aus den Bildern sprechen Lebensfreude und der Wagemut, aufs Ganze zu gehen. Allein: Mit dem Witz und dem Charme der Buchvorlage hat das rein gar nichts zu tun.
2005 kam der Welterfolg von Daniel Kehlmanns Buch fast aus dem Nichts. Der Deutsch-Österreicher hatte mit seinem Schelmenroman "Ich und Kaminski" zuvor für Aufsehen im Literaturbetrieb gesorgt. Dass er als nächstes ein ebenso raffiniert montiertes wie unfassbar lustiges Porträt des Mathematikers Carl Friedrich Gauß und des Naturforschers Alexander von Humboldt vorlegen würde, hatte aber niemand erwartet - und die Rekorde, die er damit aufstellen würde, noch viel weniger: Über 37 Wochen stand das Buch auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste, wurde bislang in über 40 Sprachen übersetzt und verkaufte sich allein auf Deutsch über zwei Millionen Mal.
Dass Detlev Bucks Verfilmung nun scheitert, weil die Macher das Buch nicht verstanden haben, kann man gerade nicht behaupten - schließlich hat Kehlmann das Drehbuch mitverfasst und tritt auch noch als Erzähler auf. Was aber überdeutlich wird, ist, dass er und seine Co-Autoren Detlev Buck und Daniel Nocke keinen Weg gefunden haben, der literarischen Raffinesse der Vorlage mit filmischen Mitteln zu entsprechen.
Ein Tölpel stapft durch die Landschaft
Schon der Anfang des Films gerät konventioneller als im Buch: Wo Kehlmann im Roman mit einem kurzen Ausblick auf das einzige Treffen zwischen Gauß und Humboldt in späteren Jahren beginnt, setzt der Film in der Kindheit der beiden Ausnahmewissenschaftler an. Der Kontrast in ihrer Herkunft - hier der ärmliche Gauß, der sein Talent nur unter größten Widerständen unter Beweis stellen kann, dort der adlige Humboldt, den Geld und Selbstanmaßung seines Elternhauses in die Ferne treiben - ist damit hergestellt. Doch der Zusammenhang ihrer (Lebens-)Geschichten will sich nicht erschließen.
Statt die beiden sowohl in ihrer Tragik als auch in ihrer Komik in Beziehung zueinander zu setzen, laufen die Erzählstränge im Film parallel, ohne sich in der Ewigkeit der 124 Filmminuten zu treffen. Humboldt bestreitet zahllose Reisen, über deren genaueren Verlauf die Zuschauer im Unklaren gelassen werden. Gauß bleibt in seiner Heimatstadt Braunschweig und schlägt sich mit Zahlen und Frauen herum. Und zum Schluss begegnen sie sich kurz und sinnfrei.
Dass die Hauptdarsteller Florian David Fitz und Albrecht Abraham Schuch aus völlig unterschiedlichen Schauspielschulen stammen, betont das Stückwerkhafte zusätzlich. Fitz ("Doctor's Diary") spielt Gauß mit dem auf Pointe schielenden Timing eines Sitcom-Darstellers. Schuch dagegen übertreibt es mit der punktgenauen Diktion des Theaterschauspielers, als der er gestartet ist. Da der Film nicht erklärt, was Humboldt eigentlich zum Genie machte, wird er noch stärker als Gauß der Lächerlichkeit preisgegeben und stapft als al-le Sil-ben be-to-nen-der Tölpel durch die Landschaft.
Alle so schön wild hier
Überhaupt das Timing: Wo der Roman im Galopp durch die Weltgeschichte reitet und gerade durch seine Raffungen und Lakonie Aberwitz entstehen lässt, zieht sich der Film. Ein Beispiel unter vielen: Auf einem notdürftigen Marktplatz im südamerikanischen Dschungel wird Humboldt Zeuge einer Sklavenversteigerung, die erniedrigender nicht sein könnte. Er erbarmt sich und löst die Sklaven aus. Doch die wissen mit ihrer Freiheit zunächst nichts anzufangen.
Im Film erstreckt sich die Szene über mehrere Minuten, da werden erst die Brüste der Sklavinnen betatscht und dann Humboldts Verblüffung darüber, dass die soeben Freigekauften ihrer neuen Situation hilflos gegenüberstehen, ausführlich verbalisiert. Im Buch nimmt die Szene kaum eine Seite ein, so furios dicht erzählt ist sie. Und viel wichtiger: Sie endet mit dem Zusatz, dass sich Humboldt und sein Assistent Bonpland bei der nächsten Sklavenversteigerung vor Scham in ihrem Haus verbarrikadierten. Denn nicht nur die Sklaven waren von der Situation überfordert. Im Film ist davon keine Spur zu finden.
Darüber hinaus hätten politisch sensiblere Filmemacher bestimmt andere Bilder für die Indigenen gefunden, die hier wie ein - wenn auch wunderschöner - Teil der exotischen Natur Südamerikas ausgestellt werden. Doch mit so etwas wie postkolonialem Blick muss man Buck und Kehlmann wohl nicht kommen. Dafür sind sie viel zu verliebt in die 3-D-Aufnahmen von prächtiger Natur und schönen Menschen - und letztlich in sich selbst.
Sowohl Buck als auch Kehlmann treten nämlich in kleineren Rollen auf. Buck rückt kurz bei einer Rauferei mit Gauß' Sohn Eugen (David Kross) ins Bild, Kehlmann taucht am Hofe des Herzogs von Braunschweig auf. Mit Perücke und in Gesellschaft von Sven Regener und Leander Haußmann zu sehen, belässt es Kehlmann aber nicht bei der einen Einstellung, nein, er spricht auch in der nächsten Szene überdeutlich und in Großformat in die Kamera. Das ist unangenehm eitel, aber letztlich symptomatisch für einen Film, der nicht mit seinen Mitteln hauszuhalten weiß - der bei den Bildern aus dem Vollen schöpft, aber erzählerisch nichts zu bieten hat.