Sagen-Verfilmung "Beowulf" Mutti, Monstren, Mutationen

Wie verhunzt man Weltliteratur? Der Film "Beowulf" gibt die Antwort: Man verwandle eine mythische Heldensaga in eine digitale Monsterhatz und erfinde einen hanebüchenen Familienkonflikt. Da erscheint dann selbst "Star Wars" als subtiles Psycho-Kino.

Reichlich grimmig kündigt sich "Beowulf" an: "Stell Dich Deinen Dämonen" steht auf einem Plakat, "Böses erzeugt Schmerz" behauptet ein anderes. Auch Langeweile kann schmerzen, möchte man da nach Ansicht des Animationsfilms von Robert Zemeckis entgegnen: Ein altenglisches Heldengedicht und eine Handvoll Hollywoodstars durch den Hochleistungsrechner zu jagen, mag für technologische Superlative gut sein. Nur leider bleibt die computergenerierte Mär dabei so spannend wie ein Bildschirmschoner. Einzig das grandiose Scheitern des Projekts birgt da noch so etwas wie dramatische Größe.

Schon der Umgang mit der Vorlage zeugt von dem unglücklichen Versuch, bleischweres Bildungsgut den Bedürfnissen eines Blockbusterpublikums anzupassen. Als bedeutendstes literarisches Artefakt aus der Urzeit der angelsächsischen Schriftkultur ist "Beowulf" ein gleichsam ehrfurchtgebietender wie sperriger Textbrocken, an dem sich ganze Generationen von Anglistikstudenten abarbeiten mussten. Immerhin gibt es dank der unersetzlichen Penguin Classics eine Leseausgabe im zeitgenössischen Englisch, so dass man sich ohne sprachwissenschaftliche Schwerstarbeit die essentiellen Passagen des Poems aneignen kann.

Jenseits seiner singulären Rolle als gefürchteter Prüfungsteil in Altenglisch ist "Beowulf" vor allem ein wahrer Fundus an widerstrebenden Bedeutungen, die seit der Verschriftlichung des Werks im 8. Jahrhundert in verschiedenster Form interpretiert werden.

Mal ist die Geschichte des stolzen Kriegerkönigs eine Allegorie auf die Christianisierung der nordischen Heidenländer, dann wird wieder das historische Gesellschaftsbild in den Vordergrund gerückt und für andere steht "Beowulf" mit seinen metaphorischen Monstren und tragischen Mannsbildern fest in der Tradition Homerscher Heldenerzählungen. Zu den einflussreichsten Exegeten im 20. Jahrhundert gehörte in jedem Fall J. R. R. Tolkien. Der prägte 1936 mit seiner Vorlesung "Beowulf: the Monsters and the Critics" maßgeblich die heutige Einschätzung des Texts als mythischer Steinbruch voller potenter Bilder und Zeichen mit – eine reiche Quelle, die er auch für seine eigene "Lord of the Rings"-Trilogie aufsuchte.

Den Anforderungen eines linearen Plots genügt das fragmentarische Gedicht mit seinen oft schwer verständlichen Abschweifungen und Nebenschauplätzen natürlich nicht. So scheint es absolut legitim, wenn sich Neil Gaiman und Roger Avery für ihr Drehbuch die nötige poetische Freiheit nehmen. Zumal Gaiman aufgrund seiner stilbildenden "Sandman"-Comics und Avery als Co-Autor von "Pulp Fiction" genügend Erfahrung mit kunstvollen Erzählkonstruktionen mitbringen sollten.

"Denver Clan" für Altphilologen

Aber anstatt den sperrigen Stoff gründlich zu post-modernisieren, halten sie am klapprigen Gerüst der monotonen Monsterhatz fest und entfernen gleichzeitig alle historischen und philosophischen Exkurse. Dafür dichten sie sich einen wahren Beowulf für ihren aufgepfropften, vulgärfreudianischen Vater-Mutter-Kind-Konflikt, gegen den der ödipale Familienzwist in "Star Wars" wie ein subtiles Psychogramm wirkt.

Das erbarmungswürdige Ergebnis erinnert nun an "Denver Clan" für Altphilologen. Entsprechend liest sich die Handlung: Weil das wutrasende Monster Grendel seine Hallen heimsucht, nimmt der dänische König Hrothgar (Anthony Hopkins) gerne die Hilfe des legendären Helden Beowulf (Ray Winstone) an, der mit seinem Gefolge nach Ruhm und Ehre sucht. Nachdem er Grendel tödlich verwundet hat, macht Beowulf mit Grendels ebenfalls nicht zimperlicher Mutter (Angelina Jolie) Bekanntschaft.

Soweit die literarische Vorlage. Doch wie es die neue Saga-Soap will, war Grendel das Resultat einer Affäre mit Hrothgar. Der wählt den Freitod, woraufhin Beowulf den Thron und die Königin (Robin Wright Penn) bekommt. Aber auch der Held erliegt der Verführung und zeugt mit der Monstermama einen weiteren außerehelichen Mutanten, der Jahrzehnte später das Königreich in Gestalt eines Drachens überfällt.

Braut schauen, Gold klauen, dem Drachen auf die Nase hauen

Viel ist über Angelina Jolies vermeintlich anzüglichen Auftritt geschrieben worden, der wie bei allen Darstellern mittels neuester Performance Capture-Technik digital formvollendet abgetastet wurde. Nun, wer sich an güldenen Grottenolmen mit Stöckelschuhwerk erregt, darf seinen seltenen Fetisch hier voll ausleben. Was jedoch sonst an Performance von den namhaften Darstellern eingefangen wurde, reicht nicht einmal für die nächstbeste Laienspielgruppe: Der Triumph des technisch Machbaren ist letztlich von ähnlicher Hybris gezeichnet wie Beowulfs Sieg über die Monster. Er befördert nur jenen öden Meta-Realismus, der die eigene Inszenierung der Illusion zelebriert und den wir bereits aus den fotorealistischen Cut-Scenes der neuesten Videospielgeneration kennen.

In den USA wird "Beowulf" vielerorts in 3-D zu sehen sein, was wenigstens den Schauwertcharakter steigern mag. Ohne digitale Projektion präsentiert sich dagegen ganz plan die Einfalt des Films: Braut schauen, Gold klauen, dem Drachen auf die Nase hauen. So verwandelt sich ein Stück Weltliteratur in eine binäre Banalität mit eingestreuten Brutalitäten, die man am liebsten noch im Kinosaal herunterfahren möchte. Die einzig mögliche Pointe in diesem Trauerspiel wäre es, tatsächlich ein "Buch zum Film" herauszubringen – selbstverständlich in Altenglisch und gänzlich ohne Animationen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten