Scarlett Johansson in "Under The Skin" Eine verführerische Außerirdische

Scarlett Johansson in "Under The Skin": Eine verführerische Außerirdische
Foto: SenatorSaftig rot glänzt die Masse, die auf einem Förderband dahinzuckelt, durchwirkt von weißen Klumpen, die wohl Fett, Knorpel und Knochen sind. Schließlich heißt der Film, in dem diese Szene unvermutet auftaucht, "Under the Skin", und das, was auf dem Förderband transportiert wird, müsste demnach grob verarbeitetes Fleisch sein. Menschenfleisch.
Scarlett Johansson spielt in "Under the Skin" eine außerirdische Verführerin, die mit einem weißen Lieferwagen durch Schottland fährt, immer auf der Suche nach alleinstehenden Männern, deren Verschwinden nicht weiter auffällt. Was genau mit diesen Männern passiert, lassen einen Bilder wie die vom Förderband nur erahnen, genauso wie im Ungefähren bleibt, warum Johanssons Figur tut, was sie tut. Genauer erklärt da nur der Titel, worum es in "Under the Skin" geht: um Oberflächen und die Dinge, die sie umschließen.

"Under the Skin": Sehen wie ein Alien
Immer wieder gleitet Daniel Landins Kamera stellvertretend für die Augen von Johanssons Figur über Landschaften und Straßenzüge, wobei der anteilnahmelos schweifende Blick nicht zwischen vom Wind schwankenden Wäldern und von Musik und Drogen aufgepeitschten Menschen im Klub unterscheidet. Ein Land und seine Menschen werden gescannt - gemäß eines Beuteschemas, das hier wörtlich zu verstehen ist.
Fast hätte Brad Pitt einen außerirdischen Bauern gespielt
Weil der Film für diesen Effekt nur vermeintlich althergebrachte Gestaltungsmittel wie Kameraeinstellung und Schnitt einsetzt, braucht es etwas Zeit, bis man erschreckt feststellt, dass man den mitleidlosen Blick einer Maschine übernommen hat und selbst kaum mehr einen Menschen als Mensch erkennen kann. In seinen besten Momenten bietet dieser brillante, wenn auch nicht makellose Film eine Seherfahrung, wie sie das Kino in den vergangenen Jahren nicht geschafft hat.
Fast zehn Jahre brauchte Jonathan Glazer, Regisseur und Co-Autor, bis er "Under the Skin" fertig hatte. In den Neunzigerjahren hatte sich der Engländer mit smarten Werbeclips und visuell brillanten Musikvideos (u.a. "Karma Police" von Radiohead) fürs Kino empfohlen und Anfang der Nullerjahre mit den so unterschiedlichen wie einzigartigen Filmen "Sexy Beast" und "Birth" das damals gegebene Versprechen auf eine neue, aufregende Erzählstimme eingelöst.
Dass er für seinen dritten Film fast ein Jahrzehnt benötigen würde, schien undenkbar, doch die Adaption von Michel Fabers Roman "Under the Skin" (auf deutsch: "Die Weltenwanderin") stellte sich nach und nach als fast unbewältigbare Aufgabe heraus. Immer wieder experimentierten Glazer und sein Co-Autor Walter Campbell mit neuen Zugriffen auf die Geschichte. Zwíschenzeitlich sollten zwei Außerirdische, die sich als schottisches Bauernpaar ausgeben, im Mittelpunkt stehen, Brad Pitt war schon für die männliche Hauptrolle gewonnen.
Doch erst als Glazer erkannte, dass er seinen Film allein aus der Perspektive eines weiblichen Aliens erzählen wollte, fügte sich alles zusammen. Von den hundert fertigen Drehbuchseiten strichen Glazer und Campbell die 60 Seiten, in denen die Frauenfigur nicht vorkam. "Es war, als hätten wir aus einer großen, extravaganten Rockband PJ Harvey gemacht", beschrieb Glazer den Prozess im Interview mit dem "Guardian".
Befremdet vom Kleinbürgerlichen
Glazers musikalische Sensibilität ist "Under the Skin" anzuhören: Mit Mica Levi (von Micachu and the Shapes) hat eine Musikerin den Soundtrack komponiert, die wie Glazer keinen Sinn für Abgenutztes hat und lieber ihre eigenen Instrumente erfindet. Wenn ein unbestimmbares, hoch frequentes Zirpen einsetzt und eine Szene aus dem Nichts mit Spannung auflädt, dann ist das die akkustische Entsprechung zu Glazers visuellem Ansatz, so konzentriert wie assoziativ offen zu erzählen.
Die unbestreitbaren Qualitäten des Films lenken jedoch leicht davon ab, dass "Under the Skin" nicht rundum stimmig ist. Der Blick, den Glazer über Schottland und seine Menschen streifen lässt, ist überraschend konventionell. So baut er nicht nur stark auf Johanssons Status als herkömmliches Sexsymbol. Aus der Perspektive ihrer Figur teilt sich auch die Menschheit reibungslos in Männer und Frauen auf, die allein durch heterosexuelle Gelüste zueinander finden.
Auch der Ausschnitt der gezeigten Lebenswelten ist erstaunlich eng. Gerade die Bilder aus Glasgow beschränken sich auf die unansehnlichen Ecken der Innenstadt und das ärmere East End. So fügen sich die Bewohner der Stadt zu einer Masse aus anonymen Shoppern, grölenden Celtic-Fans und prekär Beschäftigten, die am Wochenende gern ausgelassen feiern, zusammen, und man bekommt den unguten Eindruck, dass Glazer hier ein Unbehagen mit kleinbürgerlichen bzw. proletarischen Lebenswelten voraussetzt und instrumentalisieren will.
"Wieso können wir uns heute eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus?", hat der britische Autor Mark Fisher als Frage seinen Überlegungen zur Krise des Kapitalismus vorangestellt. Ein ähnliches Paradox wirft Jonathan Glazer auf. Wie kann er sich einerseits absolut schlüssig eine außerirdische Lebensform vorstellen, aber andererseits keine Menschheit, die sich nicht nach Geschlecht und Klasse aufteilt?
Als "Under the Skin" nach zehn Jahren schließlich fertig war und 2013 auf den Herbstfestivals lief, wurde er wie alle wirklich risikofreudigen Filme begrüßt: mit einer Mischung aus Jubel und Buhrufen. Verschreckt von solchen Reaktionen hat sich der finanzschwache Senator-Verleih entschlossen, den Film in Deutschland nur auf DVD und Blu-ray zu veröffentlichen. Allein dem lautstarken Protest von Filmliebhabern, die den Film auf Festivals vorab sehen konnten, ist es zu verdanken, dass "Under the Skin" seit dieser Woche auch in ausgewählten Programmkinos zu sehen ist. (Einen Überblick über die Kinos gibt es hier .) Diese Gelegenheit sollte man keinesfalls verpassen.
"Under the Skin" erscheint am 10. Oktober auf DVD und Blu-ray