Seuchen-Thriller "Contagion" Der Tod kommt mit dem Touchscreen
Als Erstes sieht man nur eine schwarze Leinwand, es erklingt ein trockenes Husten. Es ist ein Moment, wie er sich täglich wohl tausendfach in abgedunkelten Kinosälen ereignet, und gerade deshalb ist der Auftakt von "Contagion" von perfider Brillanz. Denn noch bevor das erste Bild zu sehen ist, hat Steven Soderbergh so dem Publikum die beklemmende Prämisse seines prominent besetzten Pandemie-Thrillers vergegenwärtigt: Hier, heute, immer und überall wartet die Ansteckung.
Das Gesicht zum Husten aus dem Off gehört Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow), einer Managerin, die nach einer Asien-Geschäftsreise in die USA zurückkehrt. Bei ihrer Familie in Minneapolis angekommen, hat sich Beths vermeintliche Erkältung bereits dramatisch verschlechtert. Als sie einem Schlaganfall ähnliche Symptome zeigt, bringt Ehemann Mitch ( Matt Damon) seine Frau ins Krankenhaus, wo sie kurz darauf ihrem Leiden erliegt. Nur wenig später verstirbt auch Mitchs kleiner Stiefsohn Clark, und eine Autopsie von Beths Leichnam alarmiert schließlich die Mediziner: Ein unbekanntes Virus ist offensichtlich für den Tod von Mutter und Sohn verantwortlich.
Während Mitch zwangsweise unter Quarantäne gestellt wird, versetzt der Fund des Erregers weltweit Institutionen und Individuen in Bewegung. Um den sprunghaft ansteigenden Krankheitsfällen zu begegnen, schickt die Weltgesundheitsorganisation die Epidemie-Expertin Leonora Orantes (Marion Cotillard) nach Hongkong. Dort soll sie die Schritte von Beth Emhoff nachvollziehen, um so den Ursprung des Virus zu ermitteln.
Zwischen Panik und Paranoia
In Atlanta leitet derweil Dr. Ellis Cheever (Laurence Fishburne) vom Centers for Disease Control and Prevention (CDC) Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche ein. Während Laborteams des CDC für die mögliche Entwicklung eines Impfstoffs versuchen, die Struktur des Virus zu entschlüsseln, entsendet Cheever die Ärztin Erin Mears ( Kate Winslet) nach Minneapolis, um dort die Isolierung der bereits Infizierten zu koordinieren.
Soderbergh illustriert die Gleichzeitigkeit der Ereignisse und Handlungen ohne falsche Hektik, sondern behält - wie einst im ebenfalls multiperspektivischen Drogenthriller "Traffic" (2000) - mit eleganter Effizienz die vielen Schauplätze und Protagonisten seiner Seuchenchronologie im Blick. Nüchtern zählt der Film die Tage, die seit dem Auftreten des bald als MEV-1 bekannten Virus vergehen, und beleuchtet die Kausalitäten und Mechanismen eines globalen Dramas.
Virtuos werden etwa die Übertragungswege des Erregers nachgezeichnet, der sich schon über bloßen Kontakt verbreitet. Türklinken, Wasserhähne, das Knabberschälchen auf dem Kneipentresen, oder, im Zeitalter der Tablet-Computer eine bittere Pointe, die allgegenwärtigen Touchscreens lassen das Virus mit rasender Geschwindigkeit neue Opfer finden.

Kino-Thriller "Contagion": Wettlauf mit dem Killer-Virus
Es ist ein ungleicher Wettlauf. Denn während MEV-1 ungehindert um die Welt wandert, muss das menschliche Krisenmanagement bürokratische Hürden überwinden und hat zudem mit Panik, aber auch Paranoia zu kämpfen. Angesichts der steigenden Zahl der Todesfälle droht vielerorts der Ausnahmezustand, das gesellschaftliche Leben erlahmt, und punktuell kommt es zu Übergriffen sowie Plünderungen.
Bemerkenswert ist jedoch, dass "Contagion" nicht die apokalyptische Vision eines sich letztlich zerstörenden Gemeinwesens zeichnet oder das Versagen des Staates anprangert. Im Gegenteil, trotz einzelner Fehlleistungen der Behörden und ihrer Mitarbeiter plädiert der Film für das Vertrauen in öffentliche Institutionen: Mag das Virus ihm auch zusetzen, der government body erweist sich als resistent.
Wer hat die meisten Kontakte?
Dagegen wird die Figur des einsamen und streitbaren Aufklärers, sonst zumeist ein verlässlicher Filmheld, hier überraschend ins Negative gewendet: Der ehrgeizige Web-Journalist Alan Krumwiede (Jude Law) veröffentlicht in der Krise dramatische Video-Blogs, in denen er der offiziellen Seite die Verschleierung von Tatsachen vorwirft und zugleich ein homöopathisches Präparat als wirksamen Schutz gegen das Virus anpreist.
In einer komplett vernetzten Welt folgen Erreger und virale Kommunikation demselben Schema: Wer hat die meisten Kontakte, wer verbreitet sich schneller und weiter? Krumwiedes selbstverliebte Publikationsoffensive gegen das vermeintlich inkompetente System wird indes zur Gefahr für die Öffentlichkeit, und entsprechend wenig Sympathien hat der Film für den eitlen Verschwörungstheoretiker übrig.
Mut zeigen hier vor allem die stillen und akribischen Arbeiter im Hintergrund. Etwa eine Ärztin, die sich selbst im Wissen um ihren baldigen Tod weiter um das Wohl der anderen sorgt. Oder der hartnäckige Virologe, der seine Forschung entgegen offiziellen Anweisungen fortsetzt. Und nicht zuletzt die wunderbar spröde, lakonische und zugleich aufopferungsvolle CDC-Wissenschaftlerin Dr. Ally Hextall, die einen folgenschweren Selbstversuch wagt. Gespielt wird Hextall von der großartigen Jennifer Ehle ("The King's Speech"), und obwohl ihr Auftritt nur wenige Minuten dauert, ragt sie in diesem Ensemblefilm voller bekannter Namen - und ohne Starrollen - heraus.
Pathos gibt es in diesem Film also nur in wohltuend kleiner, dafür aber wirkungsvoller Dosis. Soderberghs Ansatz lässt sich vielleicht am ehesten als empathischer Realismus beschreiben, und mit seiner schnörkellosen Inszenierung ist "Contagion" ebenso spannend wie analytisch, doch nie zynisch. Denn ein Virus mag willkürlich töten und schreckliche Verheerungen zur Folge haben. Aber solange die Menschheit dem Leid in der Welt nicht gleichgültig gegenübersteht, ist sie gegen das Allerschlimmste immun.