
"Split": Die Mitbewohner in meinem Kopf
"Split" von M. Night Shyamalan Dahinter stecken immer 24 kluge Köpfe
Auch Cameos muss man können. Hitchcock konnte, lief durch 39 seiner 53 Werke (inklusive der Stummfilme) und begründete damit eine Tradition. Der Regisseur M. Night Shyamalan ist Hitchcock-Fan, er liebt das klassische US-amerikanische Suspense-Kino, und er hat in neun der zwölf Filme, die er bislang als Regisseur inszenierte, einen Cameoauftritt. In "The Visit", seinem vorletzten Horrorthriller über zwei Kinder und ihre mysteriösen Großeltern, war er allerdings nicht zu sehen.
Was der großen Gruppe von Shyamalan-Hassern nun auch nicht recht war: "Die Cameos sind nicht sein schlimmstes Problem", wird auf einer US-Kritikerseite gefachsimpelt, die Frage sei doch eher, wieso er überhaupt noch Filme machen dürfe? Vielleicht hilft "Split", Shyamalans neuer Psychothriller, in dem er wieder mitspielt (er gibt in einer - wie üblich - kurzen Sprechrolle einen Hausmeister), bei der Erklärung.
Eine Woche vor dem Filmstart von "Split" besucht Shyamalan Berlin zu Interviews im Konferenzraum eines Hotel vis-a-vis des Brandenburger Tors, das aber - wegen eines kurz vorher aufgezeichneten Fernsehgesprächs - hinter den schweren Vorhängen nicht zu sehen ist. Shyamalan zieht die Gardinen zur Seite und staunt. "Wow", ruft er, "welch ein Ausblick!"

M. Night Shyamalan
Foto: Dennis Van Tine/STAR MAX/IPx/ Star Max/IPxDass auch Billy Wilders "1,2,3" hier gedreht wurde, erfährt er - und ist entzückt: "Ich liebe Billy Wilder, ich hatte gerade eine Phase, in der ich alles nochmal geschaut habe". Ein Billy Wilder-Gespräch entwickelt sich, am liebsten, versichert er glaubhaft, würde er jetzt über Filme reden, die nicht von ihm stammen. Aber dafür reicht die Zeit nicht.
Stattdessen geht es um "Split", das "gespaltene Sein". Und damit um die "Dissoziative Identitätsstörung" (DIS) oder "Multiple Persönlichkeitsstörung" (MPS): Der 46-jährige Regisseur hat einen Film über einen Mann gemacht, in dessen Kopf mindestens 23 Persönlichkeiten hausen. Sie teilen sich abwechselnd den Körper, die Gestik, die Sprache und das Gesicht des Schauspielers James McAvoy.
Die eigentliche, ursprüngliche, mit der der Protagonist einst alleine war, ist der schüchterne Kevin, der schon lange nicht mehr bewusst handeln durfte. Die anderen "schützen" ihn davor, oder arbeiten an eigenen Agenden - sie sind unter anderem ein elfjähriges Mädchen namens Hedwig, eine kühle, böse Frau namens Patricia und ein schwuler Modedesigner namens Barry. Dennis, die gewalttätigste der Persönlichkeiten, hat drei Teenagerinnen entführt und eingesperrt.
"Split" erzählt davon, wie nur das scheinbar schwächste der Mädchen den schwer fassbaren Täter und seine "Mitbewohner" richtig zu lesen lernt: Kacey (Anya Taylor-Joy, "The Witch") entwickelt langsam eine Beziehung zu einer der Persönlichkeiten. Von außen versucht derweil Kevins misstrauische Psychologin (Betty Buckley), hinter das neueste Geheimnis ihres langjährigen Patienten zu kommen. Aber für einige der Involvierten kommt jede Hilfe zu spät. Denn es wohnt anscheinend eine 24. Persönlichkeit in Kevin, die niemand so einzuschätzen vermag.
Vorbildlich ist es, wie McAvoy seine Aufgabe fast ohne Accessoires meistert, für jede seiner inneren Figuren Charakteristika entwickelt, die sie schnell identifizierbar machen. Aber es hat auch etwas von Schauspielschule. "Ja, er braucht das Publikum, er ist theatergeschult", sagt Shyamalan, der im Sessel am Fenster sitzt, über seinen Hauptdarsteller. Und erzählt, wie er McAvoy auf einer Comic Convention zum ersten Mal begegnet ist, der Schauspieler hatte vom X-Men-Dreh noch die streichholzkurzen Haare. "Plötzlich erkannte ich, dass es kein Zufall ist, ihn jetzt zu treffen, dass er der einzig Richtige ist - und dass ich überhaupt keine Verkleidungen brauche."

"Split": Die Mitbewohner in meinem Kopf
Das sind genau die Sätze, die Regisseure gern sagen, wenn sie gegenüber der Presse über ihre Erfahrungen sprechen sollen. Doch Shyamalan, der in Indien geboren wurde, mit ein paar Wochen in die USA kam und als Hindu eine katholische Schule besuchte, scheint tatsächlich an die Vorsehung zu glauben: Es gibt keinen Film, in dem er nicht seine Faszination gegenüber dem Themenkomplex Spiritualität, Glauben und Übersinnlichkeit zum Ausdruck bringt, und der nicht gleichzeitig die Art behandelt, mit der eine definierte Gruppe - eine Familie, eine Freundesclique - damit umgeht.
Bereits in "The Sixth Sense" von 1999, seinem finanziell und - nicht zuletzt wegen der Mitarbeit von Bruce Willis und einer damals wirklich überraschenden Wendung am Ende - filmisch größten Erfolg, spielte er mit den Möglichkeiten der Wahrnehmungsmodifizierung: Wie kann man sicher sein, dass man sich in der richtigen, der einzigen Realität befindet?
Überall Außerirdische oder Monster
In dem wunderbar gedrehten, hochgradig spannenden "Signs" von 2002 überlebt ein Kind den Angriff von Außerirdischen nur, weil durch Zufall, Schicksal oder auch einen allwissenden Plan die richtigen Dinge zur richtigen Zeit am richtigen Ort liegen, um die grünen Männchen in die Flucht zu schlagen. In "The Village" von 2004 geht es um ein vom modernen Leben abgeschnittenes Dorf, das sich vor angeblich in den Wäldern lebenden Monstern schützen muss. Und "After Earth" von 2013 spielt gleich in der Zukunft im Weltraum.
Doch nach "The Village" schien Shyamalan, der vorher für die sensible, ideenreiche und intelligente Inszenierung von psychologischen Themen und Glaubensfragen gelobt wurde, nichts mehr richtig machen zu können. Seine nächsten vier Filme waren Kassenflops und ernteten den Spott der Zuschauer und Kritiker - ab 2004 wurden alle vier teilweise mehrfach für den "Golden Raspberry Award" nominiert. Das US-amerikanische Publikum schien sich regelrecht auf das Shyamalan-Dissen eingeschworen zu haben - obwohl die Geschichten nach wie vor immerhin schön gefilmt, detailliert ausgestattet und zumindest überraschend geplottet waren.
"Split"
USA 2016
Buch und Regie: M. Night Shyamalan
Darsteller: James McAvoy, Anya Taylor-Joy, Haley Lu Richardson
Produktion: Blinding Edge Pictures, Blumhouse Productions
Verleih: Universal Pictures Germany
FSK: ab 16 Jahren
Länge: 117 Minuten
Start: 26. Januar 2017
Der Grund für die Kritik könnte noch woanders liegen: Shyamalan ist ein echter Nerd, ein Fan von Unerklärlichem, Mysteriösem, der nicht von der Faszination einer Geschichte ausgeht, sondern von der Faszination an einem Thema. Während beispielsweise bei Stanley Kubrick oder Steven Spielberg, die von "2001" (1968) über "Shining" (1980) bis zu "A.I." (2001) ähnliche Themen wie Shyamalan behandelten - Traumata, Gewalt, Sci-Fi und Psychologie -, die Story stets mit mehreren Ebenen aufwartete und neben dem Plot philosophische Fragen angesprochen wurden, spinnt Shyamalan meist nur einen Handlungsstrang: Ein Problem muss gelöst werden, und es gibt nur einen Weg.
Durch sein Geschick im Inszenieren und ein Händchen für Schauspieler mag er mit seinen ersten Filmen den Eindruck erweckt haben, ein intellektueller Regisseur zu sein - doch er ist vor allem ein emotionaler. Genauso wie seine Fans. Die dementsprechend eingeschnappt reagieren, wenn - wie in "The Happening" (2008) - die Auflösung der Geschichte nicht ihren Logikvorgaben für einen anständigen Mysterythriller entspricht.
Ein Fehler in der Persönlichkeit
Bei "Split" könnte das anders werden. Der Film ist echtes Horror-Genre - inklusive typischem "final girl" und blutigen Szenen. Richtig überraschend ist er zwar nicht: Weil bereits auf dem Filmplakat der 24. Charakter angekündigt wird, gibt es für den Zuschauer in der Handlung nicht mehr viel zu entdecken.
Doch Shyamalan hat eine interessante Backstory für seine Protagonistin angelegt: "Das war ein Teil meiner Prämisse, dass der Täter sich zwei Mädchen aussucht, weil sie gesund und normal erscheinen, und zufällig ist ein drittes Mädchen dabei. Nun kommt aber heraus, dass gerade sie eine Verbindung zum Täter hat, weil sie etwas mit ihm teilt, eine Erfahrung, die sie letztlich rettet, einen Fehler in der Persönlichkeit".
Im Video: Der Trailer zu "Split"
Fehler zu haben und zu machen, also zu scheitern, das ist Shyamalans Botschaft in "Split", mache einen zu einem besseren Menschen. "Ich frage meine drei Töchter jeden Tag, was sie heute nicht geschafft haben. Und sage ihnen, wie wichtig es ist, zu scheitern, weil man sonst nicht wächst! Unsere Muskeln wachsen auch nur, wenn wir sie überanstrengen."
Er führt George Lucas' Autounfall, der ihn während der Highschool fast das Leben kostete, als Beispiel an und mutmaßt, dass diese Erfahrung den Regisseur erst zum Nachdenken über Religion geführt habe - und damit auch zur Entwicklung von "Star Wars" inklusive "Macht", in der alles und alle vereint sind.
Jene unwissenschaftliche, aber heitere Mischung aus hinduistischem Everything-is-everything-Glauben und fatalistischem Pazifismus zieht sich durch Shyamalans Werk: "Obwohl ich zuweilen ein anstrengendes Leben habe, glaube ich, dass das Universum uns wohlwollend gesonnen ist. Wir haben dennoch jede Menge eigene Kräfte - wenn wir etwas wirklich wollen, dann kriegen wir es auch, vielleicht nicht in der erwarteten Form, aber trotzdem." Insofern, so scheint es, werden ihn Kritiken nicht weiter stören, sondern nur motivieren, weiterzumachen. Bis alles - Samsara - irgendwann eh wieder von vorn beginnt.