Störtebeker-Klamauk "12 Meter ohne Kopf" Pirat, Patient, Punkrocker

Störtebeker-Klamauk "12 Meter ohne Kopf": Pirat, Patient, Punkrocker
Foto: Warner Bros.Nein, Gewalt ist natürlich keine Lösung. Aber erzähl das mal einem Haufen von Jungmännern, die von Hormonschüben, Zukunftsängsten und Verhaltensauffälligkeiten geprägt sind.
Kein Wunder, dass sich die Mannschaft Klaus Störtebekers (Ronald Zehrfeld) vom Chef abwendet. Wo früher die Faust als Argument galt, da fängt der Piratenkapitän auf einmal das Diskutieren an, und statt den reichen Säcken von Hamburg das Leben zur Hölle zu machen, nervt er die eigenen Leute mit brutalem Befindlichkeitsterror.
Noch schlimmer: Immer wenn es ans Entern feindlicher Koggen geht, verkrümelt sich der Anführer zum Kotzen unter Deck. Keine Frage, dem Kläuschen geht es nicht gut. Aber so eine Kaperfahrt ist nun mal keine Männergruppentherapie. Ach, dabei hat Störtebeker doch früher immer am lautesten den Polit-Slogan "Fickt die Hanse!" geschrien.
Der Pirat als Punkrocker, der Pirat als Patient - Filmemacher Sven Taddicken ("Emmas Glück") hat sich mit seinem Tragiklamauk "12 Meter ohne Kopf" an eine betont freie und betont zeitaktuelle Ausschmückung des Freibeutermythos um Klaus Störtebeker gemacht. Gleich zu Anfang erschallt "I Fought The Law", das Gesetzlosenlamento der Punkband The Clash.
Damit ist natürlich auch bei aller guten Laune des Films die fatale Richtung der Geschichte vorgegeben, denn wie heißt es in dem Clash-Song: "Ich bekämpfte das Gesetz - und das Gesetz gewann."

Und so endet eben auch diese eigenwillige Störtebeker-Interpretation am Hamburger Grasbrook, wo Anfang des 15. Jahrhunderts die hanseatischen Pfeffersäcke gefangene Freibeuter zu enthaupten pflegten. Andererseits: Wer da genau 1401 einen Kopf kürzer gemacht wurde, lässt sich heute eigentlich gar nicht mehr so genau rekonstruieren; waren halt wahnsinnig viele.
Vielleicht wurde Störtebeker ja gar nicht exekutiert
Genau hier liegt auch ein Teil des Problems, wenn es darum geht, sich heutzutage ein Bild von der Legende Störtebeker zu machen: Im Museum für Hamburgische Geschichte steht zum Beispiel ein Konterfei mit krausem Haar und aufgerissenen Glasaugen herum, das dem Totenschädel des enthaupteten Störtebeker nachempfunden sein soll und jahrelang die Vorstellung vom Antlitz des Piraten prägte. Vor kurzem gestand man allerdings ein, dass um die historische Sammelhinrichtungsstelle am Grasbrook so viele Gebeine von Exekutierten rummoderten, dass der Kopf auch gut von jemand anderem stammen könnte. Und wer weiß: Vielleicht ist Störtebeker selbst ja gar nicht exekutiert worden.
Die Macher von "12 Meter ohne Kopf" (Buch: Matthias Pacht) nehmen nun dieses Wissensvakuum zum Anlass, den Stoff als quietschmodernes Sinnsucher-Stück auszuformulieren. Denn die zentrale Frage für den zweifelnden Haudrauf lautet hier: Wo bitte schön bleibt beim Kampf gegen die Spießer der Hanse das eigene Glück?
Auf diese Weise wird "12 Meter ohne Kopf" zu einer (nicht allzu didaktischen) Parabel über Verbürgerlichung und Radikalisierung, durchgespielt an Störtebeker und seinem Kumpel Gödeke Michels (Matthias Schweighöfer). Der eine will den Fuß vom Pedal nehmen, der andere noch mal richtig Gas geben. Während nämlich Klaus sich in eine alleinerziehende Mutter verliebt und von einer Patchworkfamilie und einem Häuschen auf dem Land träumt, verliert Gödeke seine Flamme ausgerechnet an einen biederen Handelsvertreter. Da wird der Kampf gegen das Schweinesystem zum persönlichen Rachefeldzug.
Taddicken bekommt die Kurve nicht
Inszenierte der ARD-Zweiteiler "Störtebeker" die Freibeuterbiographie vor drei Jahren noch als verkniffenes Heldendrama mit Stadttheater-Flair, werden bei Taddicken nun fröhlich alle Genres miteinander gemixt. Irgendwo zwischen Kapitalismuskritik und Kinderfasching, zwischen Punkpredigt und Prügelklamotte, zwischen Therapie-Talk und Anarcho-Action verliert sich allerdings über Strecken die Erzähllinie. Der Filmemacher kriegt einfach nicht die Kurve vom Komischen ins Tragische. Nein, als modernes Bildnis des Mannes zwischen Widerstand und Familienwunsch taugt der Film beim besten Willen nicht.
Man muss sich "12 Meter ohne Kopf" wahrscheinlich anschauen, wie man einen Track der norddeutschen Krawall-Rapper Deichkind anhört - dessen Mitglied Sascha Reimann alias Ferris MC hier übrigens seine wunderschön windschiefe Visage als Steuermann in die Kamera hält: Bitte keinen Sinn in den norddeutschen Nonsens bringen! Gut ins Slogan-Repertoire der Flachland-Superstars Deichkind würde jedenfalls auch der im Film immer wieder skandierte Schlachtruf passen: "Freiheit für Friesland!"