Streit um "300" Der verletzte Stolz der Iraner
Der Westen atmet auf, weil Iran die 15 britischen Soldaten freigelassen hat. Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks versuchen, aus den Vorgängen um ihre Verhaftung zu lesen, ob Ahmadinedschad oder seine Gegner im Teheraner Machtgeflecht gerade die besseren Karten haben. Deutsche Konservative sehen nun sogar bessere Chancen für die Atomverhandlungen mit Iran.
Die Iraner hat in den letzten zwei Wochen außer den Neujahrsfeierlichkeiten allerdings nur ein Thema bewegt: "Sissad", das iranische Wort für 300. Dahinter verbirgt sich die in jeder Hinsicht gewaltige Verfilmung eines Kult-Comics, geschrieben und gezeichnet von der Szene-Legende Frank Miller. Die Geschichte um die Thermopylen-Schlacht zwischen Spartanern und Persern ist der bisher meist gesehene und kontroverseste Film des Jahres. Amerikanische Konservative kritisieren, als Parabel auf den Irak-Krieg verherrliche der Film den Widerstand gegen die USA, Liberale halten den Film für einen Irak-Krieg-Durchhaltestreifen.
In Deutschland stoßen sich viele an der vermeintlich faschistoiden Ästhetik des Films. Man kann den Film auch als nationalistische Kritik (Sparta) gegen den globalisierten Multikulturalismus (Perser-Armee) verstehen. Die Iraner fühlen sich durch die Darstellung der Perser schlicht verunglimpft.
Verschwörungstheorien haben derzeit Hochkonjunktur in Teheran: Mal haben Islamisten den Film finanziert, um der alten persischen Kultur endgültig den Garaus zu machen. Mal waren es die Juden, um Iran zu provozieren, mal die US-Regierung, um einen Krieg gegen Iran für die amerikanische Öffentlichkeit akzeptabel zu machen. Letztere Theorie ist derzeit am weitesten verbreitet. Sie wird von Diplomaten genauso erzählt wie von Dissidenten. Die Islamische Republik hat gegen "300" offiziell bei der Unesco Protest eingelegt.
Spannend dabei ist die einzigartige Allianz zwischen iranischen Exil-Nationalisten und Ahmadinedschad-Anhängern. In vielen Internet-Foren fordern zurzeit Iran-stämmige aus Europa die Teheraner Regierung auf, eine Großdemonstration gegen den Film zu organisieren. Und führende Offiziere der Revolutionswächter entrüsten sich darüber, dass Xerxes I., der Perser-König, in "300" "schwul und dekadent" sei. Dies sei eine besonders perfide und gezielte Entehrung iranischer Traditionen.
Ausgerechnet diejenigen also, die sich bis heute damit brüsten, die "2500 Jahre alte Tyrannei der Perser-Könige" beendet zu haben, versteigen sich nun in die große Verteidigung der antiken iranischen Monarchie.
Was steckt hinter dieser Empörung? Was bewegt Iraner, mehr oder minder seriöse Websites wie "Die Wahrheit über Xerxes", "The truth behind 300" oder "Project 300" zu starten? Was bringt 45.000 Menschen dazu, einen Protestbrief an die Produktionsfirma Warner Bros. zu unterschreiben? Da sind zum einen die historischen Schwarz-Weiß-Verdrehungen zu Ungunsten der Perser. Sie sind im Film saturiert, dekadent und blutrünstig. Xerxes I. feiert Orgien, intrigiert, hält sich für Gott und ist - das verwirrt die meisten Kritiker - schwarz. Er ist groß, geschminkt, mit obskurem Schmuck behängt und passt überhaupt nicht in die Naturburschenwelt der Spartaner. Die Perserarmee agiert strategisch dumm, bedient sich feiger Mittel wie Pfeilen und Magie, beherbergt Monster als Elite-Einheit und kommt nur durch Verrat zum Erfolg. Die Spartaner dagegen strotzen vor Tapferkeit, sehen gut aus, haben Humor und sind schlicht Helden.
Bei genauer Betrachtung hat dieses Bild natürlich Risse. Die krankhafte Suche der Spartaner nach Ruhm im Tode macht sie zu antiken Selbstmordattentätern. Sie proklamieren den Titel "Hoffnung der Welt auf Vernunft" für sich und verspotten gleichzeitig die Athener Philosophen als verweichlichte Pädophile. Euthanasie ist bei den Spartanern Ehrensache, das Töten von Diplomaten bedeutet Sieg, das Massakrieren von Kriegsversehrten ist ihre Pflicht. Was allerdings in Millers Buch noch durch Entschleunigung und schlichte Absätze historistische Entfremdungseffekte auslöst, bewirkt in Snyders atemlos hektischem Film die komplette Freiheit von Ironie. Visuell und cineastisch hält sich Snyder eng an Millers Vorgabe, dramaturgisch überzieht er allerdings maßlos.
Diese erzählerische Distanzlosigkeit zu den zweifelhaften Werten Spartas macht es der wunden iranischen Seele quasi unmöglich, diesen Film mit Distanz anzuschauen. Die meisten Iraner schwärmen heute noch vom Glanz des persischen Weltreichs zu einer Zeit, als Mitteleuropa in der Finsternis der Vorzivilisation verweilte. Jahrhunderte lang hat der Stolz so manchen mit Verblendung versehen, anderen aber Selbstbewusstsein gegeben. Nur: Wo ist es hin, dieses Selbstbewusstsein? Wie wenig Selbstvertrauen haben die Iraner, wenn sie sich von einem Hollywood-Schinken so in Aufruhr setzen lassen?
Es ist bitter, dass gerade diejenigen, die seit Jahrhunderten geübt darin sind, Kunst unter Bedingungen der Zensur erblühen zu lassen, so wenig Souveränität zeigen, so wenig Selbstvertrauen, so wenig Selbstbewusstsein im Umgang mit einem Film. Es ist zu befürchten, dass die tiefe Sehnsucht der Iraner nach internationaler Anerkennung in der aktuellen politischen Situation weiter unerfüllt bleiben wird. Auch dies führt zu einer Flucht zum Glanz der Antike.
Und dieser Glanz wird in "300" eben beschmutzt. "Wir können nicht hinnehmen, dass Perser in Ihrem Film pauschal als monströse Bestien dargestellt werden und so der nationale Stolz von Millionen Persern verletzt wird", schreiben die Initiatoren der Petition an Warner Bros. "Pride hurts" sagt der Mafia-Boss Marsellus Wallace in Tarantinos "Pulp Fiction". Je kleiner das Selbstbewusstsein, desto größer der Schmerz.