Filmporträt von Suzi Quatro "Meine Haltung war immer: Hier bin ich"

Suzi Quatro bei der Oldie Night in Hamburg
Foto:Public Address Presseagentur/ PublicAd
In den Sechzigern sieht ein Teenager einen Beatles-Auftritt im Fernsehen. Er ist hin und weg, schart die Geschwister und einige Nachbar-Teens um sich, organisiert eine Bassgitarre, stöpselt sie ein - et voilà.
Das Besondere an dieser klassischen Bandgründungslegende ist, dass es sich um weibliche Teenager handelt. Den großen Fender Precision Bass ihres Vaters hängte sich die kleine, 14-jährige Suzi Quatro um den Hals, ihre Schwester Patti spielte Gitarre, später kam eine weitere Schwester dazu. "The Pleasure Seekers" hieß Quatros erste Band.
In Details wie diesen zeigt sich der Verdienst von Liam Firmagers "Suzi Q" über die aus Detroit stammende Rockmusikerin: Der Dokumentarfilm füllt weibliche Leerstellen in der Musikgeschichte auf. Denn er präsentiert nicht nur Quatros recht kurzlebige Familienband, deren energetische, von Quatro gesungene Single "What a Way to Die" mit der Zeile "Well I may not live past twenty-one / But WOO! / What a way to die!" 1966 durchaus das Zeug zu einer frühen Live-Fast-Die-Young-Hymne gehabt hätte.

"Suzi Q"
Firmagers Hommage lässt auch andere Künstlerinnen zu Wort kommen: Donita Sparks von L7 erklärt Quatro zu einer ihrer Haupteinflüsse; die The-Runaways-Mitglieder Lita Ford und Cherry Currie sowie Debbie Harry und Tina Weymouth von den Talking Heads schwärmen von der Frau, die am 3. Juni 70 Jahre alt geworden ist.
Um die wahrscheinlich bekannteste Rockgitarristin Joan Jett komponiert Firmager das hübscheste Döneken: Jett habe einst ein Suzi-Quatro-Poster aus Rodney Bingenheimers legendärem Sunset-Stripklub "English Disco" gestohlen. Das Poster stammte aus der deutschen "Bravo", die Quatro regelmäßig auf dem Titel hatte. Jett, auf den Diebstahl angesprochen, knurrt im Film heiser, sie sei sich keiner Schuld bewusst. Aber der Regisseur unterlegt die Aussage mit einem Privatfoto. Darauf sitzt Jett in den Siebzigern in ihrem Zimmer, über ihr hängt das inkriminierte Poster. Auf dem trägt Suzi einen schwarzen Lederbikini zu Lederstiefeln.
Mit einer konventionellen Struktur aus wohlwollenden O-Tönen, Originalbildern und Filmausschnitten rekonstruiert "Suzi Q" zudem zart eine persönliche Tragik: Dass die jüngste der Quatro-Schwestern vom Musikproduzenten Micki Most aus dem Familienverband herausgelotst und im Alter von 21 Jahren nach London verfrachtet wurde, um dort ihre zunächst stockende Solokarriere zu verfolgen - das scheint die Restfamilie ihr bis heute nicht verziehen zu haben. Noch immer ist bei den Schwestern Bitterkeit wahrzunehmen.
Zwischen Schuldbewusstsein und Trotz
Und auch Suzi selbst, die im Film mit ungebremster Energie ihr Leben kommentiert, laviert zwischen Schuldbewusstsein und Trotz, zwischen Showmanship-typischem Narzissmus und echter Verletztheit: Können ihr die Schwestern den Erfolg nicht endlich gönnen? Schließlich habe sie es dennoch nicht einfach gehabt.
Denn auch das dokumentiert der Film: Nach einigen Musikerwechseln hatte der fähige, aber kontrollsüchtige Produzent Most Quatro eine funktionierende Band zur Seite gestellt, mit der sich ihr vom Glam beeinflusster, simpler Rocksound hitverdächtig umsetzen ließ. Doch nach "Top of the Pops"-Auftritten im Signature-Leder-Jumpsuit (Suzis Idee), nach Gold-Hits wie "Can the Can" und "48 Crash" begannen vorgeblich männliche Journalisten, die Musikerin herunterzuschreiben: Sie sei ein Fake, ausgedacht und produziert von Männern, rein auf Kommerz ausgerichtet.
Suzis Wunsch, auf der Bühne zu stehen, egal womit, schien ihr angesichts der vielen kreativen Konkurrenten um die Ohren zu fliegen: Auch anderen Rockstars ging es um Selbstdarstellung – aber vielleicht noch ein bisschen mehr um die Musik. Quatros letztes Label löste sich auf, und ihr Ziel, als erfolgreicher Rockstar in ihr Heimatland zurückzukehren, rückte in weite Ferne.
Dass sie als Seriengast "Leather Tuscadero" (!) in der populären US-Sitcom "Happy Days" dann plötzlich doch das Publikum um den Finger wickelte, zeigt Firmager genauso wie Quatros vielen nicht geläufige berufliche Entwicklung in den Achtzigern und Neunzigern: Sie begann, Gedichte zu schreiben, wandte sich dem Musical zu und spielte in einigen großen Produktionen. Dass sie 1986 ausgerechnet in der Londoner Produktion von "Annie Get Your Gun" die Titelrolle sang, passt wie die Faust aufs Auge.
Australien 2019
Buch und Regie: Liam Firmager
Verleih: Arsenal
Länge: 98 Minuten
Freigegeben: ab 0 Jahre
Start: 4. Juni 2020
"Ich hatte noch nie eine Frau mit einem Instrument in einer Band gesehen und merkte plötzlich, dass das geht", erinnert sich Tina Weymouth im Film an die Aha-Erkenntnis, dass weibliche Bandmitglieder mehr beitragen dürfen als Gesang. Quatro selbst hat sich nie als Feministin eingestuft, "I don't do gender", sagt sie in einem Interview, "ich bin keine Frauenbewegungs-Anhängerin, meine Haltung war immer: Hier bin ich".
Nicht mal Erlebnisse wie ein Besuch in einer britischen Talkshow in den Siebzigern haben diese Attitüde geändert. Damals, so dokumentiert Firmager, bittet Moderator Russell Harty sie, sich umzudrehen, um "einen Blick auf den Hintern des Jahres werfen zu dürfen". "Ach so, na gut", antwortet Suzi ergeben und zeigt brav ihre Kehrseite. Sie bekommt vor laufender Fernsehkamera einen Klaps, und das Publikum lacht.