
"The Man Who Killed Don Quixote": Der mit den Windmühlen
Terry Gilliam im Interview "Es ist die Technologie, die uns auseinandertreibt"
Am Ende kriegte Terry Gilliam sogar einen kleinen Schlaganfall. Fast 25 Jahre hat er an "The Man Who Killed Don Quixote" (Kinostart: 27. September) gearbeitet, immer wieder aufgehalten und verzögert durch Unglücke und bizarre Zufälle, bis irgendwann genug Stoff für einen eigenen Film über das Scheitern des Projekts zusammengekommen war ("Lost in La Mancha"). Im Mai gab das Festival von Cannes dann bekannt, Gilliams Film als Weltpremiere zu zeigen. Prompt setzte Produzent Paulo Branco zu einer neuen Runde im Rechtstreit an, der den Film zusätzlich seit Jahren begleitet - und Gilliam erlitt besagten Schlaganfall. Der Premiere in Cannes stand dann doch nichts im Weg, und der 77-jährige Gilliam präsentierte sich zum Interview in bester gesundheitlicher Verfassung.
SPIEGEL ONLINE: Herr Gilliam, so viel wurde schon gesagt und geschrieben über all das Schlechte, was Ihnen mit "The Man Who Killed Don Quixote" passiert ist. Was war denn das Schönste?
Gilliam: Dass ich den Film in Cannes zeigen kann. Es war großartig zu sehen, wie sehr das Festival für den Film gekämpft hat und sich dabei nicht von all dem Negativen, das ihn umgibt, hat beeinflussen lassen. Und dann der französische Verleih, der gesagt hat: scheiß auf den ganzen Rechtekram, wir werden alles tun, damit der Film ins Kino kommt! Die Welt ist von Angst beherrscht - nicht nur, was diesen Film betrifft, sondern generell. Und mich interessieren nur Leute, die sich davon nicht beirren lassen, die frei im Denken sind und mutig und etwas Positives schaffen wollen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie deshalb die tragischen Seiten von Don Quixotes Geschichte klein gehalten und die komischen betont - weil es Ihnen um das Positive ging?
Gilliam: Was soll denn tragisch an Don Quijote sein? Dass er stirbt? Das ist doch der komischste Moment überhaupt! Das ist das Tolle an dem Film - er deckt eigentlich alle Aspekte des Lebens ab. Das Leben, den Tod, Freude, Trauer. Wenn ich mich überhaupt auf ein Thema dieses Films festlegen müsste, dann wäre es der Zauber des Lebens und der Fantasie. Eigentlich übersteigt der Zauber des Lebens schon die Fantasie der meisten Menschen. Die denken, dass Marvel-Filme fantasievoll wären. Das hat aber nichts mit Fantasie zu tun - das ist nur Fantasy.

"The Man Who Killed Don Quixote": Der mit den Windmühlen
SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie denn gegen Fantasy? Viele Ihrer eigenen Filme, "Time Bandits" oder "Das Kabinett des Doktor Parnassus" zum Beispiel, kann man zu dem Genre zählen.
Gilliam: Ich mag die Realität. Oder besser gesagt: den Kampf zwischen Realität und Fantasie. Wie hoch die Fantasie fliegen kann, und wie sehr die Schwerkraft sie wieder auf den Boden holt. Wenn du aus drei Metern oder mehr hinfällst, tust du dir weh. Ich hasse Filme, bei denen sich Leute von Gebäude zu Gebäude schwingen, abstürzen und sich dabei nur ein paar blaue Flecken holen. Als wenn nichts wirklich zählt! Aber das Leben ist nun einmal aufregend, gefährlich, schmerzhaft - wie wir damit umgehen, interessiert mich.
SPIEGEL ONLINE: Womit Sie auch schon Ihren Film zusammengefasst haben - Don Quixote: ein Mensch, der aus echter Not heraus doch gegen Windmühlen kämpft.
Gilliam: Stimmt. Du brauchst einfach die tatsächliche Verfasstheit der Welt und ihren Schmerz, um zu fassen zu kriegen, was Quixote antreibt. Bei ihm dreht sich alles ums andauernde Scheitern, aber auch um seine Weigerung, sich vom Scheitern abschrecken zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Was wiederum sehr stark nach der Entstehungsgeschichte des Films und den unzähligen Rückschlägen klingt, die Sie erleiden mussten. Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass der Film auch Ihre Geschichte erzählt?
Gilliam: Während ich an etwas arbeite, wird mir eigentlich nie etwas bewusst. Da bin ich einfach zu beschäftigt, um Abstand zu gewinnen und abstrakt über etwas nachzudenken. Erst wenn wir uns - wie jetzt - zusammensetzen und darüber reden, werden mir bestimmte Dinge klar. Und auch jetzt bin ich vor allem froh darüber, dass ich den Film endlich zu Ende drehen konnte. Worum es in ihm genau geht, kann ich auch jetzt nicht wirklich sagen.

Der aalglatte Werberegisseur Toby (Adam Driver) kehrt nach zehn Jahren in das Dorf in La Mancha zurück, in dem er einst seinen Debütfilm drehte. Dort stellt er fest, dass der Film die Bewohner zu falschen Hoffnungen über ihr weiteres Leben verführte - allen voran der alte Schuhmacher (Jonathan Pryce, Foto), der sich für den legendären Romanhelden Don Quixote hält. Schon bald zieht er Toby in seine Fantasien mit hinein, und gemeinsam springen sie zwischen den Zeiten und Erzählebenen, bis nicht nur den beiden der Schädel brummt. "The Man Who Killed Don Quixote" ist überbordender Quatsch, der immer wieder den Faden verliert. Gleichzeitig merkt man dem Film an, wie viel Spaß Gilliam bei der Inszenierung hatte und das wirkt so ansteckend, dass man ihm allen Humbug verzeiht. (hpi) Ab 27. September in den Kinos. Länge: 132 Minuten
SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie irgendwann das Gefühl, dass Ihnen der Film entgleitet?
Gilliam: Ja, aber darin sehe ich nichts Negatives. Wenn mir der Film zu entgleiten drohte, sind andere mit besseren Ideen eingesprungen. Ich bin schon ein Kontrollfreak, aber ein sehr begrenzter - oder womöglich auch nur ein fauler. Ich habe in jedem Fall klare Vorstellungen von einer Szene, aber wenn jemand eine bessere Idee hat: super! Ich kann der Idee des Autorenfilms deshalb auch gar nichts abgewinnen. "Ein Film von Terry Gilliam" - als hätte ich alles allein gemacht! Filme sind immer eine kollektive Kraftanstrengung. Ich bin nur der Glückspilz, der das letzte Wort hat. Deshalb übernehme ich auch die Verantwortung für das Endprodukt.
SPIEGEL ONLINE: In den 25 Jahren, in denen Sie an "Don Quixote" gearbeitet haben, hat sich die Filmindustrie massiv verändert, nicht zuletzt durch die Digitalisierung. Was waren für Sie die größten Einschnitte?
Gilliam: Ehrlich gesagt habe ich mich um die Entwicklung der Filmbranche gar nicht so sehr geschert. Die Welt verändert sich nie so sehr, wie es die Menschen glauben. Aber natürlich haben Streamingdienste wie Netflix, Amazon oder Hulu einen Wandel eingeläutet, und ich frage mich, wie lang das noch weitergehen soll. Netflix gibt so viel Geld aus! Und die machen immer weiter, obwohl sie dabei Geld verlieren. Erst wenn ein Abo 20 Dollar kostet, würden sie aus den roten Zahlen kommen. Auch wenn ich kein großer Fan bin, würde ich ehrlicherweise auch ihr Geld nehmen, denn ich nehme, was ich kriegen kann. Trotzdem mache ich meine Filme für die große Leinwand.
SPIEGEL ONLINE: Dort werden sie nur immer seltener geguckt.
Gilliam: Ich weiß, dass immer mehr Leute Filme und Serien Zuhause schauen. Mir ist die große Kinoerfahrung dennoch lieber. Zuhause zu sitzen und Tag für Tag zu streamen, ganz für sich allein - das ist einfach nicht gut für die Gesellschaft und die Zivilisation. Das Gleiche gilt für soziale Medien. Die nutze ich auch, auch ich sitze zu Hause an meinem Computer und rede mit niemandem. Die Leute haben aufgehört, miteinander zu reden! Ich habe erst letztens was auf Facebook gepostet und dann die Nichtunterhaltung verfolgt, die sich daraus ergeben hat: "Fuck it!", "Fuck you!" - nur so Zeug kam dabei heraus. Alles ist entweder schwarz oder weiß, und das ist nicht gesund. Vielleicht werden wir diese Entwicklung nicht aufhalten können, vielleicht wird die Welt immer so sein.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es aus Ihrer Sicht nichts, was wir dagegen tun könnten?
Gilliam: Keine Ahnung. Ob das ganze vielleicht implodiert? Systeme machen das mitunter. Aufs Kino heruntergebrochen gibt es jedenfalls tolle Initiativen. Secret Cinema zum Beispiel, die Filmvorführungen mit Performances verbinden und eigene Sets aufbauen. Da steht die gemeinschaftliche Erfahrung im Mittelpunkt - wir Menschen sind einfach soziale Tiere, es ist die Technologie, die uns auseinandertreibt.
Im Video: Der Trailer zu "The Man Who Killed Don Quijote"