"The Black Dahlia" Dressman und Angorahascherl
Wer in der legendären Skandalchronik "Hollywood Babylon" von Kenneth Anger blättert, der sieht die Schatten, welche am Rand des Rampenlichts auf die Filmmetropole gefallen sind. Neben dem tragischen Absturz von Stars wie Roscoe "Fatty" Arbuckle oder Frances Farmer ist eines der dunkelsten Kapitel in Angers Annalen das bis heute andauernde Rätsel um den Mord an der erfolglosen Schauspielaspirantin und Gelegenheitsprostituierten Elizabeth Short.
Am 15. Januar 1947 wurde die 22-Jährige tot und verstümmelt in Los Angeles aufgefunden. Der Fundort der Leiche war ein grausam inszeniertes Grand Guignol, die schon fast gewaltpornografischen Polizeifotos des zerteilten Frauenkörpers gerieten zur bitterbösen Inversion lüsterner Pin-up-Ästhetik. In der sensationsheischenden Berichterstattung wurde aus dem Opfer Elizabeth Short die mysteriöse "Schwarze Dahlie" - das Leid der jungen Frau musste ihrer düsteren Legende weichen. Die kündete von den tiefsten Abgründen der Glitzerstadt und bietet bis heute Anlass für zahlreiche mehr oder minder spekulative Interpretationen des brutalen Verbrechens.
Die bekannteste ist zweifellos James Ellroys ebenso pessimistischer wie faszinierender Kriminalroman "The Black Dahlia", der dem Regisseur Brian De Palma nun als Vorlage für einen fast gänzlich dem Realitätsbegriff enthobenen Film dient: Während Ellroy den Fall Elizabeth Short in einen brachial-genialischen Prosabrocken aus bluttriefendem Sittengemälde, naturalistischem Polizistenporträt und eindringlichem Psychogramm verwandelte, führt in De Palmas starbesetztem Neo-Film-noir jede Spur geradewegs zurück in die Illusionsmaschinerie des Kinos.
Ganz in diesem Sinne genießen auch die beiden ehemaligen Preisboxer und jetzigen Detectives Dwight "Bucky" Bleichert (Josh Hartnett) und Leland "Lee" Blanchard (Aaron Eckhart) in ihrem Revier den Status von Filmstars. Publicityträchtige Festnahmen sind die Spezialität der politisch protegierten Vorzeigebeamten, deren Privatleben im Freundschaftsdreieck mit Blanchards Freundin Kay (Scarlett Johansson) stattfindet.
Doch der Mord an Elizabeth Short (Mia Kirshner) wirft das Polizistengespann aus der Bahn, zumal für Blanchard der Fall zur Obsession wird. Während sein Partner amphetamingeschwängert auf dem Nervendrahtseil spaziert, beginnt der heimlich in Kay verliebte Bleichert eine Affäre mit der enigmatischen Millionärstochter Madeleine Linscott (Hilary Swank). Die teilt wiederum eine kompromittierende Vergangenheit mit der Toten - es braucht beileibe keinen guten Detektiv, um die katastrophalen Konsequenzen für alle Beteiligten abzusehen.
"Nothing stays buried forever", dräut es prophetisch in einer Dialogzeile: Nichts bleibt für immer begraben. Und so exhumiert der Thriller denn auch nahezu die gesamte Geschichte des Noir-Genres. Die daraus resultierende dramaturgische Konfusion würde Plotverächter Raymond Chandler zur Ehre gereichen, herrscht doch meist ein heilloses Chaos. Da hilft auch nicht Josh Hartnetts Erzählstimme aus dem Off, die zwar markig Schlussfolgerungen behauptet, aber keineswegs belegen kann.
Dafür liefert der versierte Formalist und berüchtigte Epigone De Palma ein prallgefülltes Hollywoodbild voller prächtiger Dekors, lässt Kugeln, Zähne und quietschrotes Kunstblut frei flottieren und schert sich ansonsten herzlich wenig um historische Akkuratesse.
Nun lässt sich ausgiebig streiten über Brian De Palmas notorisches Wildern in der Filmgeschichte: Allein seine knalligen Hitchcock-Klone "Dressed to Kill" (1980) und "Body Double" (1984), in denen er "Psycho" (1960) und "Fenster zum Hof" (1954) ebenso verarbeitet wie "Vertigo" (1958), gelten dem einen als inspirierte Hommage, dem anderen als dummdreister Bilderraub. Nicht minder umstritten ist De Palmas Verbeugung oder doch eher filmhistorische Kopfnuss in Richtung von Antonioni, dessen Klassiker "Blow Up" (1966) er mit "Blow Out" (1981) recycelte.
Nachdem er zuletzt für den unsäglichen Reißer "Femme Fatale" (2002) eine bräsige Altherrenfantasie zum postmodernen Vexierspiel aufpustete, räubert De Palma in "Black Dahlia" zumindest wieder mit Stil. Dass er für die entscheidende Fährte im Fall Short sogar Paul Lenis "The Man Who Laughs" aus dem Jahr 1927 bemüht, ist ihm dabei als besonders geschmackssichere Geste inmitten eines gewalttätigen Spektakels anzurechnen. Der denkwürdige Leinwandauftritt von Conrad Veidt hilft den cinephilen Schnüfflern auf die Sprünge, auch wenn niemand ernsthaft glauben mag, dass sich extraharte Ermittler im Jahr 1947 in ihrer Freizeit mit stummen Victor-Hugo-Verfilmungen vergnügen.
Aber Glaubwürdigkeit der Charaktere ist ohnehin kein Kriterium in "Black Dahlia", solange alle nur gut aussehen: Josh Hartnett und Aaron Eckhart als kettenrauchende Dressman-Detektive, Scarlett Johansson als sanftäugiges Angorahascherl - und Hilary Swank in einer lasziven Rita-Hayworth-Gedächtnisrolle.
Die einzige wirkliche emotionale Identifikation im oberflächenfixierten Schaulaufen findet bezeichnenderweise mit einer Figur statt, die nur posthum auftritt: Elizabeth Short, deren alte Probeaufnahmen Bleichert und Blanchard sichten. Die kanadische Schauspielerin Mia Kirshner, einst dank Atom Egoyans "Exotica" als Entdeckung gefeiert, transportiert in diesen wenigen schwarzweißen Szenen die gesamte Traurigkeit und Würde einer verlorenen Träumerin. Für das Opfer einer menschenverschlingenden Alptraumfabrik ist es Hollywoods Variante einer poetischen Gerechtigkeit: Im Licht des Projektors blüht die schwarze Dahlie ein letztes Mal auf.