Nordkorea-Satire "The Interview" Narziss mit Nuklearkomplex

Nordkorea-Satire "The Interview": Narziss mit Nuklearkomplex
Foto: Columbia PicturesKaum zu glauben, aber es ist erst etwas mehr als vier Wochen her, da war "The Interview" ein weltweit diskutiertes Politikum. Dass die Komödie über zwei US-Fernsehmacher, die für ein TV-Gespräch mit Diktator Kim Jong Un nach Nordkorea reisen, schon im Vorfeld offizielle und gewohnt schrille Proteste aus Pjöngjang zeitigen würde, überraschte zunächst nicht wirklich.
Doch als dann im Dezember Anschlagsdrohungen und ein beispielloser Hackerangriff auf den Verleih Sony kurzfristig den US-Kinostart verhinderten, war eine neue Qualität der Eskalation erreicht. Wohl nicht zuletzt wegen des fremdgesteuerten Leaks brisanter Interna kündigte Sony an, "The Interview" komplett zurückzuziehen. Diese fatale Entscheidung zur Selbstzensur kippte postwendend aufgrund der öffentlichen Empörung in den USA, in deren Zuge sich auch das Weiße Haus für einen Vertrieb des Films aussprach.
Mit der folgenden Uraufführung auf kommerziellen Videoplattformen und in unabhängigen Kinos konnte zumindest ein noch weiter reichender Präzedenzfall vermieden werden. Der wirtschaftliche Schaden und der Imageverlust aber bleiben, ebenso wie die Sorge, dass die Filmindustrie - wie auch andere Medienzweige - unter dem Eindruck einer möglichen Erpressbarkeit potenziell kontroverse Inhalte künftig gar nicht erst produzieren.

"The Interview": Heul doch, Kim!
Die Debatte um kriminell erzwungene Einschränkungen in der freien Meinungsäußerung wurde seitdem durch die verheerenden Attentate in Frankreich überlagert. Angesichts der Gewalttaten von Paris wirkt der Aufruhr um "The Interview" wie eine Fußnote. Daran ändert auch nichts, dass Nordkorea erst gerade wieder reflexartig die Berlinale vor einer - ohnehin nicht vorgesehenen - Vorführung im Festivalprogramm warnte.
Kim Jong Un, ein glühender Boulevard-Fan
Einen deutschen Kinostart scheinen die erneuten Drohungen jedenfalls nicht zu gefährden. Daher kann das Publikum nun selbst entscheiden, ob es diesen Film sehen will. Denn seine Veröffentlichung vorbehaltlos gutzuheißen, bedeutet in einer freien Gesellschaft ja glücklicherweise nicht, ihn auch gut finden zu müssen.
Was uns endlich zum eigentlichen Film bringt: Die knallige Kolportage von Seth Rogen und Evan Goldberg ist nicht nur laut, vulgär und voll dreister Vereinfachungen, in ihren besseren Momenten ist sie eben auch eine Pöbelei in Richtung eines totalitären Systems, das seine Macht zuvorderst auf Abschottung und menschenverachtende Abschreckungspolitik nach innen wie außen gründet.
Nun bot Nordkoreas Herrschaftsapparat mitsamt seiner martialischen Rhetorik schon häufig Anlass für Spott, weshalb "The Interview" keine satirische Pionierarbeit leistet. Was beeindruckt, ist die respektlose Vehemenz des Films.
Viel Plot braucht er nicht: Dave Skylark (James Franco) ist telegener Moderator eines sensationssüchtigen Talkshowformats, das erfolgreich prominente Entblößungen unter dem Niveau-Radar präsentiert. Produzent Aaron (Seth Rogen) träumt jedoch von journalistischer Anerkennung, und die verspricht ein unerwartetes Interviewangebot. Denn während Nordkorea dem Rest der Welt mit Atomschlägen droht, werden Dave und Aaron zu einem TV-Gespräch mit Kim Jong Un eingeladen, der glühender Fan ihrer Boulevardsendung ist.
Bunte Cocktails für den Diktator
Die Vorfreude auf den Scoop währt aber nicht lang, da nun die CIA in Gestalt von Agentin Lacey (Lizzy Caplan) auf den Plan tritt. Ehe sie sich versehen, werden Dave und Aaron vom Geheimdienst als Attentäter rekrutiert, die dem Diktator unbemerkt eine tödliche Giftdosis verabreichen sollen.
James Franco und Seth Rogen, seit ihren gemeinsamen Anfängen in der TV-Serie "Freaks and Geeks" ein eingespieltes Duo, setzen hier mit brachialen und bisweilen blutigen Scherzen fort, was sie bereits in den grotesken Gewaltpossen "Pineapple Express" und "This Is the End" erprobt haben. Eine eigene Qualität entwickelt "The Interview" dann aber doch im Aufeinandertreffen der Amerikaner mit dem fiktionalisierten Kim Jong Un.
Unmöglich zu sagen, ob Schauspieler Randall Park in der Rolle einem Vorbild nahekommt - denn wer kennt den nordkoreanischen Diktator schon wirklich? Aber zweifellos funktioniert seine Interpretation Kims als ebenso linkisches wie geltungssüchtiges Mannkind mit monströsem Vaterkomplex, das entgegen offizieller Propaganda gerne bunte Cocktails trinkt und Katy Perrys Song "Firework" liebt.
Es ist der subversive Kniff von "The Interview", diesen unserem Verständnis ohnehin so entrückten Antagonisten nicht weiter zu dämonisieren, sondern ihn im Gegenteil bis aufs Profanste zu vermenschlichen. Dave bekommt jedenfalls Skrupel hinsichtlich des Mordkomplotts, glaubt er doch plötzlich, in Kim einen missverstandenen Kumpel im Geiste gefunden zu haben.
Alles steuert auf ein überproportioniertes celebrity deathmatch zwischen ungleichen Narzissten zu, in dem es vor nuklearer Drohkulisse darum geht, ob ein geläutertes Ego über amoralischen Größenwahn triumphieren kann. "The Interview" beantwortet diese Frage in einem drastischen Finale mit märchenhafter Einfachheit. Die Prämisse des Films ist kühn, seine Ausführung spätpubertär und das Ergebnis nicht immer stimmig. Aber er liegt nicht falsch.
Die einen betreiben Illusionsbildung zur Unterdrückung, die anderen zur Unterhaltung. Das sollte man nie vergessen. Und darum steht es im Konflikt zwischen Pjöngjang und Hollywood auch zu Recht 0:1.