Tragikomödie "The Sessions" Hier wird entjungfert

Tragikomödie "The Sessions": Hier wird entjungfert
Foto: 20th Century FoxMit seinen 38 Jahren steht Mark O'Brien nicht in der Blüte seines Lebens, er liegt. Und das die meiste Zeit des Tages in einer eisernen Lunge. Als er klein war, hatte er Kinderlähmung, seitdem ist er vom Hals abwärts gelähmt. Er hat Schwierigkeiten zu atmen, deswegen darf er dieses riesige, sargähnliche Ding in seiner Wohnung nur für ein paar Stunden täglich verlassen, aber er versucht, sich davon nicht die Stimmung verderben zu lassen. Er hat einen Abschluss an der Berkeley-Uni gemacht, er arbeitet als Journalist und Schriftsteller (er tippt mit einem Stab im Mund), und gelegentlich lässt er sich in die Kirche rollen, denn an Gott schätzt er vor allem dessen bösen Sinn für Humor.
Alles gar nicht so schlecht, findet er, doch er merkt, dass er vielleicht nicht mehr unendlich viel Zeit hat, und eine Sache möchte er gern noch erleben, bevor er abtreten muss: mit einer Frau schlafen. Technisch sollte das möglich sein, das verraten ihm ständige, frustrierende Erektionen. Praktisch ist die Sache schwieriger. Eiserne Lungen sind nicht sexy, und das eine Mal, als er einer Frau seine Liebe erklärt hat - einer jungen Pflegerin -, hat die den Kontakt abgebrochen. An Prostituierte hat er auch gedacht, aber die machen ihm Angst.

Tragikomödie "The Sessions": Entjungferung leicht gemacht
Doch es gibt eine andere Lösung. Sie heißt Cheryl und arbeitet als Sexsurrogat, was bedeutet, dass sie zwar Sex gegen Bezahlung anbietet, dies aber nur zum therapeutischen Zweck. Man kann sich streiten, ob das so weit von normaler Prostitution entfernt ist, aber für Mark ist es weit genug. In sechs Sitzungen soll sie ihn für den Beischlaf fit machen und ihn letztlich auch mit ihm vollziehen. Klingt für Mark nach einem fairen Deal. Sein netter Lieblingspriester ist erst weniger begeistert von der Idee, aber Mark zwingt ihn mehr oder weniger dazu, ihm alle moralischen Bedenken auszureden.
Tragikomödie ohne Tragik
Und so ist Ben Lewins "The Sessions - Wenn Worte berühren", erzählt nach einer wahren Geschichte, auch kein Film über ein schweres moralisches Dilemma, sondern ein konsequent gutgelauntes Plädoyer für mehr Lebensfreude. Alle hier nehmen es leicht. Mark seine Krankheit, Cheryl ihren Beruf und der Priester religiöse Dogmen. "The Sessions" ist eine Tragikomödie, die mit Tragik nicht viel zu tun haben will und sich so ganz auf die Komödie und Herzenswärme konzentriert. Und witzig und berührend sind sie, die Szenen, in denen Mark dem Priester mitten in der Kirche von seinen sexuellen Fortschritten berichtet, oder Cheryl seine frühzeitigen, aber voluminösen Ejakulationen lobt oder ihm andere Behinderte Tipps mit ihren eigenen ausschweifenden Sexgeschichten geben. Sie wären allerdings auch witzig und berührend genug, wenn einen der Soundtrack nicht dauernd überdeutlich darauf hinweisen würde, dass gerade etwas witzig oder berührend ist.
Dass die viele positive Energie nicht irgendwann zu nervig wird, liegt vor allem an den hinreißenden Schauspielern. John Hawkes (Oscar-Nominierung für "Winter's Bone") hat als Mark nur Worte und Blicke zur Verfügung und schafft es auch ohne angestrengtes Grimassieren, die großen Gefühle zu vermitteln. Helen Hunt (Oscar für "Besser geht's nicht") geht so unbefangen mit Cheryls Sexualität um, dass sie keine große Sache aus ihren diversen Nacktszenen macht. Und William H. Macy (Oscar-Nominierung für "Fargo"), der den Priester spielt, ist eben William H. Macy, und der ist immer gut.
"The Sessions" ist bereits der zweite Film über Mark O'Brien. Der erste, "Breathing Lessons" von Jessica Yu, gewann 1997 den Oscar für den besten kurzen Dokumentarfilm, zwei Jahre vor O'Brians Tod. Er zeigt einen Mann, der sich ganz und gar der Lust am Leben verschrieben hat. "The Sessions" dürfte damit ganz in seinem Sinne gewesen sein.
The Sessions. Start: 3.1. Regie: Ben Lewin. Mit John Hawkes, Helen Hunt, William H. Macy.