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"Klassentreffen 1.0": Affen unter sich

Foto: Warner Bros.

Vergurkter Til-Schweiger-Film "Klassentreffen 1.0" Das ist kein Scherz

Wenn Hämorrhoiden als vierter Hauptdarsteller gelistet werden sollten: Der neue Til Schweiger ist so tumb und selbstverliebt - da kapituliert selbst unsere Trash-affine Autorin Anja Rützel.

Vielleicht brauchen wir mehr Hoden in Großaufnahme, zu lila-adrigen Plumpbirnen angeschwollen. Mehr Dialoge über Kotkonsistenz, mehr Witze über schlaffe Penisse. Eventuell sollten wir uns öfter anschauen, wie dicke Menschen in Zeitlupe in überladene Sahnetortenbüffets stürzen, uns mehr "Ich bin vom TÜV und will deine Hupen testen"-Anmachsprüche anhören, mehr Close-ups vom kotzenden Ralf Moeller betrachten.

Vielleicht müssen wir einfach mal wieder richtig quietschen vor irgendwie ja dann doch immer auch ein bisschen wohligem Ekel - und uns, wenn die Verhältnisse es immer schwerer machen, über sie nachzudenken, erholungsweise zumindest für ein kleines Kinoweilchen auf ganz einfach zu kapierende Körperlichkeit besinnen.

Vielleicht ist "Klassentreffen 1.0 - Die unglaubliche Reise der Silberrücken" genau der Blick auf die Welt, den wir gerade dringend brauchen.

Wahrscheinlich aber nicht.

Til Schweiger hat einen Film über alternde Männer gemacht. Nils, Andreas und Thomas, genannt Thommy, reisen zu ihrem 30. Klassentreffen - mit einem kleinen Zeitpuffer, um es endlich mal wieder richtig krachen zu lassen. "Klassentreffen 1.0" ist die Adaption des dänischen "Klassefesten", ein universelles Thema, bei dem der halbe Kinosaal in schmerzlicher Selbsterkenntnis wund aufseufzt: Das Leiden an der schwindenden Kraft, dem versehentlich schon halb weggelebten Leben, man kennt das ja leider nur zu gut. Die schweigerisierte Umsetzung ist einem dann glücklicherweise aber doch völlig fremd.

Darüber lachen Menschen über zehn Jahre?

Man muss seine Filme nicht mögen, um an Til Schweiger doch eine Sache zu bewundern: seine Chuzpe. Diese Selbstverständlichkeit, mit der Schweiger einen Film über drei Männer produziert - einer mit Haarausfall und schlimmsten Hämorrhoiden, einer ein von der Frau verlassener, pornosüchtiger Erdmännchentyp und einer gefeierter DJ, dessen einziges Problem im Leben ist, dass er einfach zu gut bei Frauen ankommt und ihn alle sofort flachlegen wollen - die Selbstverständlichkeit also, mit der Til Schweiger sich natürlich in der Rolle des sexy DJ besetzt. Der einzigen Figur, die auch mit Ende 40 noch jugendlich ist, sehr reich obendrein, und die beiden vollverbuschten Freunde kompetent bei der Intimrasur anleiten kann.

Die mit den Dellen und die vom Leben gebeutelten: Das sind in der Schweigerwelt immer die anderen. Kurz hält man das in den ersten Minuten für grandiose Selbstironie, so überzogen ist diese Diskrepanz. Doch als Schweigers DJ Thommy schon in seiner zweiten Szene sehr ernsthaft in einer aseptisch-gymnastisch wirkenden Sexszene herumturnt, merkt man: Das ist kein Scherz.

In den folgenden zwei Stunden hält der Film dafür vieles für witzig, das schlicht bestürzend ist. Schwul sein zum Beispiel, ein echter Lachgarant!


"Klassentreffen 1.0 - Die unglaubliche Reise der Silberrücken"
Deutschland 2018
Regie: Til Schweiger
Drehbuch: Til Schweiger, Lo Malinke
Darsteller: Til Schweiger, Samuel Finzi, Milan Peschel
Verleih: Warner Bros International
Länge: 127 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Start: 20. September 2018


"Wenn du bei den Mädchen landen willst, solltest du vielleicht mal deinen Look entschwulisieren", rät Nils, der Hämorrhoidengeplagte, seinem Teenager-Sohn. Seinem Urologen macht es natürlich Spaß, in fremden Aftern herumzukramen. Groß ist das Hallo, als Nils seine Hoden beim Saunagang in der Sitzbank einklemmt und die anderen die prominent inszenierten Genitalteile mit Gleitgel salben müssen. Und wenn sich die junge Bäckereiverkäuferin bückt, muss man selbstverständlich ihren Minirock-Hintern mit einer ausgiebigen Kamerafahrt visuell betatschen. "Das sind wirklich 1A knackfrische Brötchen", schnarrt DJ Thommy.

In vielen Szenen fühlt man sich, als säße man in einem schlecht gealterten Film aus einer Zeit, in der es noch kein Bewusstsein für das Giftlachen über derlei Herabwürdigungshumor hatte. Bizarr antiquiert wirken auch die dummfrechen Produktplatzierungen für Automarke, Elektromarkt, Whisky, Kosmetik. Viele Klischees und Knallchargen wie die verwöhnten Mädchen, die Minihunde mit sich herumschleppen, wirken schal und längst abgelaufen. Ralf Moeller darf in einer Szene budspencerhaft ein Auto zerlegen (ernsthaft, darüber lachen Menschen über zehn Jahren?) und mit "Hasta la vista, Baby" den "Terminator" zitieren - cleverer werden die Witzchen hier nicht.

Echt der Geilste

Nach einer Stunde Kalauerschulung hat man sich schon so weit eingefühlt in diese Flachdenke, dass man die Pointen schmerzhaft vorausahnen kann. Wenn sich die Protagonisten nacheinander Gute Nacht sagen - Gute Nacht, Nils! Gute Nacht, Andreas! - weiß jeder, was gleich kommt. "Gute Nacht, John-Boy", sagt der Schweiger-Thommy. Und was antwortet Andreas in aufrichtiger Bewunderung? "Thommy, du bist echt der Geilste."

Die natürlich auch in diesem Film unvermeidliche Schweigertochter (dieses Mal: Lilli als moralische Instanz, die die Altherren bei ihrem Gaudiwochenende überwacht) nimmt man als quasi gottgegeben hin, zumal sie tatsächlich nicht weiter stört. Samuel Finzi und Milan Peschel glänzen derweil als die beiden altersmüden Thommy-Freunde Andreas und Nils, aber letztlich haben sie keine Geschichten, nur Symptome. Was hat ihn so wütend gemacht, warum ist seine Frau gegangen? So viel gäbe es zu erzählen, doch Schwunddialoge und vor allem der katastrophal verhetzte Schnitt (auch Schweiger!) machen jeden Ansatz von Tiefe sofort zunichte.

Am Ende reißt "Klassentreffen 1.0" auch die kleinsten Erbauungsmomente wieder mit dem Arsch ein - respektive mit den klaffend auseinandergezogenen nackten Hinterbacken, mit denen Nils der Festgesellschaft zum schauerlichen Ende schließlich von der Bühne herab seine Hämorrhoiden präsentiert, die so viele Auftritte im Film haben, dass sie eigentlich als vierter Hauptdarsteller gelistet werden sollten. Nach zwei Stunden, in denen kein billiger Witz liegen gelassen wurde, bleibt am Ende als größte Enttäuschung eigentlich nur, dass sich niemand auch noch saftig in die Hosen gemacht hat. Vielleicht ja dann in einem der nächsten Teile:

"Klassentreffen 1.0" sollen im Herbst 2019 und 2020 zwei weitere Kapitel folgen.

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