
"Cloud Atlas": In der Unendlichkeit des Lebens
"Wetten, dass..?"-Gast Tom Hanks "Hey, es war trotzdem ein Spaß!"
SPIEGEL ONLINE: Mr. Hanks, wie war Ihr Samstagabend?
Hanks: Lassen Sie es mich in einem Satz zusammenfassen: Irgendwann stand ich mit einer lustigen Katzenmütze auf dem Kopf herum und sah zu, wie der Moderator (Markus Lanz - d. Red.) in einem Sack um mich herum durch den Saal hüpft. Zwischendurch sagte der Übersetzer in meinem Ohr wörtlich nur noch "bla bla bla". Er hatte aufgegeben, mir erklären zu wollen, welcher berühmte deutsche Komiker gerade welchen anderen berühmten deutschen Komiker imitiert. "Das müssen Sie jetzt nicht wissen", meinte er total trocken. Ich glaube, bis auf den Jojo-Typen wollte keiner drei, vier, fünf Stunden dabei sein. Oder wie lange dauerte das am Ende alles? Aber hey, es war trotzdem ein Spaß. Und im amerikanischen Fernsehen haben wir sicher schon dümmere Sachen gezeigt. Immerhin hat Deutschland beides: "Lola rennt" auf der einen und "Wetten, dass..?" auf der anderen Seite des kulturellen Spektrums.
SPIEGEL ONLINE: Mit "Lola rennt"-Regisseur Tom Tykwer haben Sie ja gerade "Cloud Atlas" gedreht - in Babelsberg. Was bleibt Ihnen sonst von Deutschland in Erinnerung?
Hanks: Ich habe Berlin als energetischste Metropole erlebt, in der ich je gearbeitet habe. Sicher: Ein komplizierter Ort, um dessen Vergangenheit und Zukunft es dauernd Kontroversen zu geben scheint. Aber die Stadt lädt mit ihrer spürbaren Spannung auch sehr dazu ein, in ihren Straßen auf Expedition zu gehen. Ich war ständig unterwegs, meist zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Versuchen Sie das mal in Los Angeles, wo ich sonst wohne!
SPIEGEL ONLINE: Planen Sie eigentlich noch, das Leben des US-Teenager-Idols Dean Reed zu verfilmen, der als Schauspieler und Sänger irre populär war - und Mitte der Siebziger in die DDR zog?
Hanks: Leider hat sich dieses window of opportunity geschlossen. Deans Tochter Ramona verhandelt inzwischen mit anderen Interessenten. Doch meine Faszination für bestimmte Aspekte deutscher Geschichte ist ungebrochen. Mit meiner Produktionsfirma arbeite ich an einigen Ideen, bei denen Berlin im Zentrum steht und die hoffentlich bald zur Vollendung kommen.

"Wetten, Dass..?": Tom Hanks über deutsches "Hochqualitätsfernsehen"
SPIEGEL ONLINE: Reden Sie von "In the Garden of Beasts"? In dem Film von "The Artist"-Regisseur Michel Hazanavicius sollen Sie Amerikas ersten Botschafter in Hitler-Deutschland spielen.
Hanks: Vielleicht? Außerdem schaue ich mich - wie bei "Band of Brothers" - auch als Produzent nach möglichen Fernsehstoffen um. Doch wie Sie am Reed-Film sehen: So lange man nicht wirklich am Set steht, hat man nichts als Luftschlösser. Wie auch immer: Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, nach Berlin zurückzukehren - notfalls halt auch nur, um mit lauter neuen Freunden herumzuhängen.
SPIEGEL ONLINE: In "Cloud Atlas", bei dem ja zusätzlich zu Tykwer die Wachowski-Geschwister Andy und Lana Regie geführt haben, spielen Sie allein sechs Rollen, es gibt mehrere Zeitebenen. Wussten Sie eigentlich immer, was Sie gerade zu tun haben?
Hanks: Ich hätte mich über Verwirrung nicht gewundert, doch tatsächlich war alles sorgsam geplant. Schon wenn ich morgens um 5:45 Uhr in der Maske saß, funktionierte das Uhrwerk präzise. Wir Schauspieler wurden abgeschirmt von all der Hysterie, die eine Produktion dieses Ausmaßes einfach begleiten muss. Ich spürte nie irgendwelchen Druck, sondern wurde zum Spielen ermuntert - ob mit Andy und Lana in der Zukunft oder anderntags mit Tom im Jahre 1974.
SPIEGEL ONLINE: Sie spielen zum Beispiel auch einen Gangster mit Cockney-Akzent, der jemanden vom Hochhausdach schmeißt. Wo verläuft die Grenze zum Gimmick?
Hanks: Es hätte vielleicht wie ein schauspielerischer Egotrip gewirkt, wenn ich mich allein durch lauter Figuren gespielt hätte. Doch das ganze Ensemble wechselte ja die Geschlechter, die Hautfarben, das Alter. Es gab Drehtage, an denen ich Kollegen wie Ben Wishaw oder Jim Broadbent schlicht nicht erkannte. Die angesprochene Figur habe ich übrigens dreieinhalb Jahre vorbereitet. Um sie dann an zwei Tagen zu spielen.
SPIEGEL ONLINE: Neigen Sie zur obsessiven Vorbereitung?
Hanks: Das ist nicht obsessiv, eher Freude am Handwerk. Wenn es gutläuft, dann ist Schauspielerei keine Arbeit mehr, sie wird reines Verhalten. Alles fließt zusammen: Make-up, Kostüme, Dialekt, Kulisse. Statt durch einen emotionalen Prozess zu einer Figur zu finden, stimmen die Bilder im eigenen Kopf mit der Szene überein.
SPIEGEL ONLINE: Wie verlaufen eigentlich Entscheidungsprozesse mit drei Regisseuren am Set? Demokratisch? Oder gibt's Krach wie in einer Band?
Hanks: Nein, eher wie bei einem Orchesterensemble, das wunderbar harmoniert! Aber im Ernst: Wann immer die drei sich gegenseitig an den Sets besuchten, haben sie eigentlich nur in Ruhe die Köpfe zusammengesteckt, um sich über gelungene Szenen zu freuen - oder weitere zu planen. Ich dachte auch: Droht das nicht auch chaotisch werden? Aber es war erstaunlich zu erleben, wie sie eine Vision miteinander teilten und die Sätze der anderen beendeten.
SPIEGEL ONLINE: Kann zu viel Harmonie am Set nicht auch die kreative Spannung bedrohen?
Hanks: Wir haben keine Bäume zusammen umarmt, ich kann Sie beruhigen. Aber es ist ein Mythos, dass gute Kunst nur durch Reibung entsteht und der lauteste Regisseur stets Recht hat. Es geht auch mit Liebe für ein gemeinsames Ziel. Und sollten sich Andy, Lana und Tom je an die Gurgel gegangen sein, dann muss es an einem Strand in Costa Rica gewesen sein, als sie am Drehbuch saßen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eigentlich den US-Präsidentschaftswahlkampf verfolgt? Wie beurteilen Sie als Mann vom Fach die Darstellungen der Kandidaten?
Hanks: Zum Glück hatte ich zu viel zu tun, um vor dem Fernseher zu sitzen, und bin froh, wenn die Show endlich vorbei ist.
SPIEGEL ONLINE: Beunruhigt es Sie als Unterstützer der Demokraten nicht, wenn etwa das hart erkämpfte Recht auf Abtreibung plötzlich wieder auf dem Spiel steht?
Hanks: Natürlich. Doch dagegen gibt es gute Argumente, die x-fach von den richtigen Leuten vorgebracht wurden. Ich weigere mich, von der Hysterie des Wahlkampfs ergriffen zu werden, die auch die Medien aller politischen Lager befeuern. Konflikt verkauft sich leider immer besser als vernünftiger Diskurs. Dabei stehen wir in Amerika als Gesellschaft vor einer Schlüsselfrage für unsere Zukunft: Soll bei uns wirklich jeder für sich allein kämpfen - oder finden wir zurück zum großen Ganzen einer Gemeinschaft, in der sich die Leute wieder gegenseitig unterstützen?