Schwulen-Biopic "Tom of Finland" Geil geht anders

Schnauzbärtige Männer mit schwellenden Schwänzen: Mit solchen Zeichnungen wurde Tom of Finland bekannt. Die Filmbiografie macht aus dem Undergroundkünstler einen Nationalhelden. Und ausgerechnet Sex fehlt.
Schwulen-Biopic "Tom of Finland": Geil geht anders

Schwulen-Biopic "Tom of Finland": Geil geht anders

Foto: MFA

"Schwänze wie Baseball-Schläger, Ärsche wie Bowlingkugeln!" So versuchte ein Journalist Anfang der 1990er einmal, seinen Lesern die pornografischen Männerzeichnungen von Tom of Finland zu erklären, auf denen dauergeile schnauzbärtige Super-Männer ihresgleichen klarmachten.

Es dauerte allerdings nur noch wenige Jahre, bis der Taschen-Verlag das erste Coffeetable-Book mit Tom-Zeichnungen herausgab. Und wie das so ist mit schwuler Underground-Kunst, die in die Popkultur Eingang findet, bleiben am Ende auch die nationalen Umarmungen nicht aus: Finland ist heute stolz auf Touko Laaksonen, dem Mann hinter dem Pseudonym.

Oscar-Rennen um den besten fremdsprachigen Film

Tom-of-Finland-Zeichnungen prägten schon finnische Briefmarken, und nun, im hundertsten Jahr der finnischen Unabhängigkeit, wirbt das Kulturministerium mit der "Tom of Finland Experience" und hat ein Bio-Pic über Laaksonen initiiert, das sie aktuell auch ins Oscar-Rennen um den besten fremdsprachigen Film schickt.

Um das nochmal klarzustellen: wir reden hier über Bilder von hypermaskulinen, gerne auch uniformierten, Männern mit überdimensionalen primären und sekundären Geschlechtsorganen, welche sich überdeutlich in viel zu enger Kleidung abzeichnen.

Laaksonen, ein Werbegrafiker, hatte diese unter schwierigen Bedingungen (Homosexualität war in Finnland bis 1971 illegal) erst für die eigene Schublade, später für das fragile Netzwerk Gleichgesinnter im Nachkriegs-Helsinki produziert, bevor US-amerikanische Pornoproduzenten auf die drastischen Zeichnungen aufmerksam wurden und in ihnen prototypisches Bildmaterial für die neue stolze schwule Männlichkeit der Gay Liberation ausmachten. Ein "Vorkämpfer für Freiheit und Akzeptanz", so ist nun die offizielle finnische Lesart der Verdienste Laaksonens. Und so wird aus dem schwulen Pornografen ein Nationalheld. Und "Tom of Finland" zeigt, wie es dazu kam.

Nachts cruist er mit Hut und Trenchcoat

Pekka Strang spielt den Künstler als widerspenstigen, charmant kauzigen Aufrechten, der nach dem Zweiten Weltkrieg ins miefige Helsinki zurückkehrt, sein Schwulsein dort verheimlichen und seine erotischen Zeichnungen verstecken muss. In seiner Werbeagentur hat er Erfolg, er drapiert Hetero-Paare so für die Kamera, dass man ihnen den Sex der letzten Nacht ansieht. Nachts cruist er mit Hut und Trenchcoat unter den Augen der Sittenpolizei im Stadtpark. Ein tristes, unterdrücktes Leben - und die Regie hat dafür die übliche braune Farbpalette des Period-Pic-Qualitätskinos im Angebot: gelbes Licht, dunkle Zimmer, neblige Straßen, und niemals scheint die Sonne.

Kein Wunder, dass man sich eine knalligere bessere Welt zeichnet. Laaksonens Skizzen kommen hin und wieder ins Bild, ohne dass sie einen genauen Blick wert scheinen. Darauf sind keine griechischen Statuen und auch keine zarten Jünglingskörper zu sehen, sondern erigierte, schwellende, comichafte überzeichnete Superhelden, unzweideutig, in your face, ein Bruch mit der bisherigen homoerotischen Bildtradition.

Fotostrecke

"Tom of Finland": Pornograf als Nationalheld

Foto: MFA

Dass die unwahrscheinlichen Körperformen der Tom-Figuren später tatsächlich Männer dazu brachten, ihren Körper nach diesem Vorbild zu modellieren, führt zur schönsten Pointe des Films. Laaksonen wird in die USA eingeladen, wo seine Zeichnungen in Bodybuilding-Magazinen erscheinen, und der Film springt endlich aus dem sepiabraunen Helsinki ins sonnige Kalifornien, wo Laaksonen auf Hunderte von schwulen Jungs trifft, die so aussehen wie von ihm gezeichnet.

Seine privaten Obsessionen sind zu Anleitungen zum schwulen Selbstbewusstsein geworden und schaffen es bis in die Garderoben von Village People und Freddie Mercury. Sie überleben auch Aids, trotz der damit einher gehenden neuen Diskriminierung von schwulem Sex, und sind bis heute präsent. Soweit, so Heldenerzählung. Aber erwartet man nicht von einem Film, bei dem "Tom of Finland" draufsteht, etwas Aufregenderes, Unverschämteres?

Gleichwertigkeit von phallischer und analer Lust

Es gibt keinen Sex in diesem Film. Das ist ungefähr so merkwürdig wie ein Franz-Marc-Biopic ohne Stiere oder ein Yves-Klein-Biopic ohne Blau. Der Film erzählt uns ganz klassisch von Laaksonens quasi-eheähnlicher Beziehung zu einem Tänzer.

Die ziemlich spezifische Sexyness seiner Zeichnungen besteht aber gerade nicht in der schwulen Variation bürgerlicher Rollen und Geschlechterbilder, sondern in der Gleichwertigkeit von phallischer und analer Lust (wer hier wen fickt, entscheidet sich nach Lust und Laune) und in der grellen Überbetonung von Maskulinität, die - Achtung Genderforschung! - ziemlich deutlich auf die Performativität von Geschlechterrollen überhaupt verweist.

Tom-Männer sind männliche Drag-Kings. Eine Ahnung davon vermittelt der Film nur, wenn er die Konfrontation Laaksonens mit einem schikanierenden deutschen Polizisten mit Bildern kombiniert, in denen der Zeichner gerade eine erigierte männliche Brustwarze schraffiert - hier wird der geschlossene soldatische Körper auf subversive Weise zur erogenen Zone.


"Tom of Finland"
Finnland, Dänemark, Deutschland, Schweden, USA 2017
Regie: Dome Karukoski
Drehbuch: Aleksi Bardy
Darsteller: Pekka Strang, Lauri Tilkanen, Jessica Grabowsky, Taisto Oksanen, Seumas Sargent, Jakob Oftebro, Niklas Hogner
Produktion:
Helsinki-filmi, Anagram Vast, Fridthjof Film, Neutrinos Productions
Verleih: MFA
Länge: 115 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Start: 5. Oktober 2017


Laaksonens besonderen Fetisch für Nazi-Soldaten und die entsprechenden Symbole verschweigt uns der Film, wohl, weil er ihn durch eingestreute Kriegserinnerungen als Nationalhelden zeigen will, der seine verängstigten Soldaten mit dem Anstimmen eines finnischen Volkslieds für das nächste Gefecht einschwört. Den Kampf gegen Diskriminierung mit dem Kampf für das Vaterland gleichzusetzen, ist völlig absurd.

Wie witzig die Idee auch sein mag, dass Finnland seine Unabhängigkeitsfeiern mit Bildern von Schwänzen und Ärschen bebildert: der Sprengkraft der Kunst von Tom of Finland wird dabei kräftig der Zahn gezogen.

"Tom of Finland" mag hübsch aussehen - geil ist er nicht.


Im Video: Der Trailer zu "Tom of Finland"

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren