Neuer Film mit Willem Dafoe Den inneren Dämonen ausgeliefert

Willem Dafoe als Abel Ferraras Alter Ego in "Tommaso und der Tanz der Geister"
Foto:Neue Visionen
Eigentlich funktioniert die Alltagskommunikation ganz gut. In einem Gemüseladen in seiner Wahlheimat Rom kann der amerikanische Filmregisseur Tommaso (Willem Dafoe) erfolgreich in der Landessprache seine Bestellungen aufgeben und sogar mit ein paar persönlichen Worten anreichern.
Aber dennoch bleibt der Rhythmus dieser Interaktion ein holpriger: Pausen sind um ein paar Augenblicke zu lang, das scheinbar vertraute Lächeln ein wenig zu breit, eine Nebenbemerkung etwas zu betont beiläufig. Die oberflächliche Lockerheit kann ein Gefühl der Distanz und der Unsicherheit nicht gänzlich vertreiben: Obwohl Tommaso eigentlich festen Boden unter den Füßen hat, scheint er doch unkontrolliert dahinzuschwimmen.
Die Titelfigur von Abel Ferraras "Tommaso und der Tanz der Geister" ist stets von Panik ergriffen, selbst kleine Konflikte scheinen Tommaso in seinen Grundfesten zu erschüttern - und doch weiß er die ganze Zeit, dass eigentlich alles in Ordnung ist, dass sein Leben in stabilen Bahnen läuft und es keinen wirklichen Grund für die Angst und den mit ihr einhergehenden Jähzorn gibt.

"Tommaso und der Tanz der Geister"
In dieser Zerrissenheit ist Tommaso eine typische Ferrara-Figur: Immer wieder (am bekanntesten wohl in "Bad Lieutenant" mit Harvey Keitel) kreisen Ferraras Filme um einsame Männer, die ihren inneren Dämonen einerseits hilflos ausgeliefert sind, diese Dämonen aber andererseits auch lieb gewonnen haben – weshalb sie sich ihren Zwängen oft willig, gar lustvoll unterwerfen.
Das Ringen mit Dämonen, die man selbst heraufbeschworen hat, nimmt in "Tommaso" seinen Ausgang von Motiven und Situationen aus Ferraras eigenem Leben. Tommaso hat wie Ferrara seinen Lebensmittelpunkt von Amerika nach Rom verlegt, muss sich in der Beziehung zu einer jüngeren Partnerin zurechtfinden und ist in späten Jahren noch einmal Vater geworden.
Doch der Eindruck des Autobiografischen entspringt nicht nur dem Wissen um diese Überschneidungen von Regisseur und Hauptfigur. Er entsteht auch ganz unmittelbar aus der offenen Struktur und dem lockeren Rhythmus des Films. "Tommaso" ist ein Geflecht aus kleinen Alltagsdramen, die nicht zu einer einheitlichen Erzählung zusammengefügt werden, sondern stets ihre Eigenständigkeit bewahren. Es ist eben kein ausgeformtes Schicksal, sondern ein Leben, das hier in all seiner Unbestimmtheit erforscht wird.
USA 2019
Originaltitel: "Tommaso"
Regie und Drehbuch: Abel Ferrara
Darstellende: Cristina Chiriac, Willem Dafoe, Anna Ferrara, Stella Mastrantonio
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Länge: 115 Minuten
Freigegeben: ab 12 Jahren
Start: 13. Februar 2020
Tommaso bemüht sich um Momente der Nähe zu seiner Familie und hält sie doch instinktiv auf Distanz – ein ewiges Hin und Her, das eine Art von schmerzvollem Gleichgewicht darstellt. Nebenbei arbeitet er an einem Filmprojekt, das aber nicht recht voranzukommen scheint: Es ist stets dieselbe Szene, die Tommaso in seinem Kopf durchspielt (eine Szene, die Ferraras neustem Film "Siberia" entnommen zu sein scheint, der Ende Februar bei der Berlinale Premiere feiern wird).
Diese Endlosschleifen, die Tommasos Realität bestimmen, werden nur durchbrochen von erotischen Wunsch- und katholischen Angstträumen: Unvermittelt setzt sich dann eine nackte junge Frau an Tommasos Cafétisch oder er selbst wird in einem dunklen Korridor von einem Pontius Pilatus-ähnlichen Beamten verhört.
Das zwanghafte Kreisen um ein einzelnes Ich verleiht Ferraras Film etwas Hermetisches, aber gerade in dieser Konzentration liegt auch seine faszinierende Kraft. Nicht umsonst zeigt der Film immer wieder die Treffen einer lokalen Gruppe der Anonymen Alkoholiker, bei denen Tommaso ausführlich (und mitreißend) von seinen früheren Kämpfen mit Abhängigkeit und Exzess erzählt. Selbstdarstellung und Selbsttherapie fallen hier in eins: Man muss sich sein eigenes Selbst starr vor Augen halten, um es – vielleicht, irgendwann – zu überwinden.
"Tommaso und der Tanz der Geister" ist auf ganz ähnliche Art eine intensive Selbstbefragung, die nicht darauf beharrt, Antworten oder gar Lösungen zu finden. Der Film ist Ausdruck einer tiefen Hoffnung: dass man die Widersprüche des eigenen Lebens nur unablässig hin und her wenden muss, um sie beherrsch- oder zumindest behandelbar erscheinen zu lassen.