Tragikomödie "Sing Street" Last night a Kajalstrich saved my life

Tragikomödie "Sing Street": Last night a Kajalstrich saved my life
Foto: StudiocanalDer Dekan der christlichen Jungenschule "Synge Street" in Dublin ist entsetzt, als er einen Blick auf den Schulhof wirft: Die Augen eines seiner Schäfchen sind mit blauem Kajalstrich umflort, in seine Stirn fallen blondgefärbte Ponyfransen. Der 15-jährige Conor (Ferdia Walsh-Peelo) geht gerade durch eine heftige New-Romantic-Phase. Denn es ist 1985, Duran Duran sind die heißesten Musiker der Welt, und Conor hat soeben hoffentlich ebenfalls den Grundstein zur Popkarriere gelegt.
Der jüngste Sohn eines den Misserfolg mit Whisky wegspülenden Architekten entdeckt in "Sing Street" den lebensrettenden Moment in der Musik: In der ersten Einstellung der Tragikomödie von John Carney ("Once", "Can a Song Save Your Life?") versucht Conor, das Streiten seiner Eltern als Inspiration für einen Song zu nehmen. "Hau doch ab, blöde Schlampe" sinniert er zu ein paar geschrammelten Gitarrenakkorden, während der Haussegen von schief auf schiefer gekloppt wird.
Dass Conor poptechnisch bald darauf Nägel mit Köpfen macht und sich damit auch endlich seinen Platz in der Hackordnung der verhassten neuen Schule sichert, wird in klassischer Erzählweise durch seine erste Liebe motiviert. Denn eines Tages sieht Conor SIE, Raphina (Lucy Boynton), eine Mischung aus Boy George und Brooke Shields, und will ihr Herz auf die älteste aller Touren erobern: Sie soll in seinem Musikvideo mitspielen.

"Sing Street": Mit Rüschenbluse und Ponyfransen
Also braucht er eine Band. Conor heuert ein paar weitere vermeintliche Schul-Loser an und schaut sich musikalische und Style-Ideen bei seinen Lieblingsgruppen ab. Währenddessen geht die Ehe seiner Eltern weiter in die Brüche, sein geliebter, antriebsloser Bruder Brendan (Jack Reynor) will aus der Kiffer-Sackgasse heraus und Conor muss sich entscheiden, ob er lieber nach The Cure, Spandau Ballet oder Elvis Costello klingen will. Und ob er in Zukunft vielleicht reif für das Festland ist.
Regisseur Carney weiß, wie man musikalisch manipuliert. Schon in dem mit einem Musik-Oscar prämierten "Once", der 2007 erfolgreich beim Sundance-Festival lief und danach auch international Schnulzenherzen höher schlagen ließ, ging es um die verbindende Kraft der Töne: Wenn man nur genug Herz hineinlegt, so die blumige Botschaft, wird man irgendwann erhört - auch in der Liebe. Ähnlich simpel war die Grundstruktur von "Can a Song Save Your Life?", den Carney 2014 in New York spielen ließ: Abgehalfterter Produzent mit dem Herzen am rechten Fleck macht unbekannte, talentierte Folkie-Braut zum Star.
Eine einzige Indie-Gitarrenpop-Sauce
Für "Sing Street" hat Carney nun in seiner eigenen Vergangenheit gestöbert. Er ist Jahrgang 1972 und hat das Dublin der Achtziger miterlebt, in dem - wie überall in Europa und den USA - die Frisuren sich genderunabhängig höher türmten, Schulterpolster die Hühnerbrüste verbreiterten und "Top of the Pops" knallbunte Musikvideos in trostlos verrauchte Wohnzimmer schleuderte. Dementsprechende Bilder hat er für seinen Film gefunden.
Aber es sind derer zu viele: So laut schreien Deko und Kostüme "80s!!!!", so extrem sind die unvorteilhaften Bleached-Jeans-Overalls, die Netzstrumpfhosen und Hüte in Szene gesetzt, dass es statt authentisch eher nostalgisch wirkt - gleich einem TV-Sketch, der die Achtziger parodiert. Auch musikalisch ist der Musikliebhaber über das Ziel hinausgeschossen: Bereits nach einer ersten, situationskomischen Probe mit seiner neuen Band ist der Klang der kleinen Jungen perfekt - die fünf Teens spielen fortan sauberen, radiotauglichen, makellos ausgesteuerten und fehlerlos dargebotenen Achtziger-Sound, für den sich nicht mal ihre großen Vorbilder schämen müssten. Und der irgendwann gar, ähnlich wie in Carneys vorherigen Musikfilmen, zu einer einzigen Indie-Gitarrenpop-Sauce morpht.
Anstatt eine mögliche interne Banddynamik zwischen dem moppeligen Bassisten, dem schwarzen Keyboarder, dem Allroundtalent und dem zweiten Gitarristen zu flechten oder auch die äußeren Zustände in diesem politisch brisanten irischen Jahrzehnt zu berücksichtigen, bleibt Carneys Geschichte dabei süßlich und eindimensional.
Ab und an schafft er es zwar, in kleinen Szenen die Leidenschaft seiner Protagonisten (und aller Achtzigerkinder) und den Zahn der Zeit liebevoll abzubilden - wenn etwa ein hausgemachter Videodreh zu einem neuen Song der Band mit albernen und typischen Videoclip-Accessoires wie leeren Bilderrahmen aufgepeppt werden soll. Zudem wirft er immer wieder emotionale Motive wie Handgranaten in die Story, die diese dann (viel zu kurz) erschüttern: Ein Lehrer misshandelt einen Schüler, ein Mädchen deutet Missbrauch an, ein brutaler Mitschüler offenbart, dass er auch nur das Opfer einer brutalen Erziehung ist.
Doch insgesamt bleiben seine Protagonisten trotz ihrer leuchtenden New-Wave-Schminke blass. Und auch ihr Beziehungsgeflecht steckt in Klischees, die damals bereits altbacken waren: Talentierter Junge liebt hübsches Mädchen, er beeindruckt, sie lächelt, und beide flüchten zusammen gen Sonnenuntergang. Eigentlich ist das eher Fünfziger.
Im Video: Der Trailer zu "Sing Street"
Irland, Großbritannien, USA 2016
Buch und Regie: John Carney
Darsteller: Ferdia Walsh-Peelo, Lucy Boynton, Aidan Gillen, Maria Doyle Kennedy, Jack Reynor, Kelly Thornton, Mark McKenna
Produktion: FilmNation Entertainment, Cosmos Films, Likely story, PalmStar Media
Verleih: StudioCanal Deutschland
Länge: 106 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Start: 26. Mai 2016