US-Schauspieler Thompson Der Plot seines Lebens
In Deutschland würde man das die Ochsentour nennen. Wer in der Politik etwas werden will, muss in eine Partei eintreten, ganz unten, und wie in Superzeitlupe bewegt er sich durch Ortsvereine, Kreisverbände, Bezirksdelegiertenkonferenzen, den Gremiendschungel eben. Und wenn man wissen möchte, wie einer es nach oben geschafft hat und was er politisch denkt, dann ist das eine sehr zähe und langweilige Recherche. Man muss endlose Papiere studieren und eintönige Sonntagsreden nachlesen, bis man irgendwann darüber einschläft.
In den Vereinigten Staaten ist das zum Glück ganz anders. Wer wissen will, was einen Mann zum Präsidentschaftskandidaten qualifiziert, der kann sich einfach an die Kinobesuche der letzten fünfzehn Jahre erinnern und seine Erinnerungen bei Bedarf auffrischen, indem er eine Videothek aufsucht oder sich vor den Fernseher setzt das ist demokratisch, transparent und meist auch unterhaltsam. Es funktioniert zwar nicht bei jedem Kandidaten, aber seit Ronald Reagan ist bekannt, dass schauspielerische Fähigkeiten für die Rolle des Präsidenten nicht bloß hilfreich, sondern unerlässlich sind. Was zugleich erklärt, warum der Schauspieler Fred Thompson im Moment gute Aussichten hat, das Feld der republikanischen Präsidentschaftskandidaten aufzumischen.
Denn wir kennen ihn alle, aus der Fernsehserie "Law and Order", die bei uns auch unter dem Titel "Die Aufrechten Aus den Akten der Straße" lief. Und er kennt Washington nicht nur aus der Zeit zwischen 1994 und 2002, als er Senator für den Bundesstaat Tennessee war. Er hat sich als Autoritätsperson und Amtsinhaber qualifiziert durch die verschiedensten Kinorollen. Außer einem Blogger und einer Madame sei er in Washington schon so ziemlich alles gewesen, schrieb das Magazin "Time" maliziös.
Der 64-Jährige hat seit längerem eine Schattenkampagne geführt, er sondiert derzeit das Terrain und die finanziellen Ressourcen, um womöglich am Nationalfeiertag, am 4. Juli, seine Kandidatur für die Republikaner bekanntzugeben. Aber war nicht die gesamte Karriere von Fred Dalton Thompson im Grunde eine Schattenkampagne? Sein Leben scheint einem Drehbuch zu folgen, das keinen sogenannten Script Doctor mehr benötigt, sondern als Lehrmaterial für Drehbuchseminare dienen könnte: Alles wirkt realistisch und doch voller Wendungen, die man nicht mehr als die üblichen Wechselfälle des Lebens bezeichnen kann es sind typische Plot Points. Der Sohn eines Gebrauchtwagenhändlers musste als 17-Jähriger die schwangere Freundin heiraten, er galt als faul, um schließlich doch durchzustarten in eine Anwalts-, Politiker- und Schauspielerkarriere, und er besiegte vor knapp drei Jahren seinen Lymphdrüsenkrebs.
Seit einigen Jahren amtiert er nun bereits als Bezirksstaatsanwalt in New York, er heißt dort Arthur Branch, trägt die amerikanische Fahne als Anstecknadel am Revers und ermutigt zögerliche Assistenten in "Law and Order", ruhig auf Todesstrafe zu plädieren. "Es geht nicht nur um dich, Jack", sagt er dann, "es geht um das Gesetz." Er wurde gewählt als Nachfolger einer liberalen Juraprofessorin, die mehrfach mit aggressiven Strafverfolgern aneinandergeriet. Er ist respekteinflößend, wenn er mit Tränensäcken, großem Körpervolumen und dünnem Haarkranz hinterm Schreibtisch sitzt, und wenn er seine 1,98 Meter aufrichtet und mit Bassstimme im Südstaatendialekt spricht, wagt ihm kaum einer zu widersprechen.
Fahne am Revers
Auch das Weiße Haus ist ihm vertraut. Als Stabschef macht er in "In the Line of Fire" (1993) keine schlechte Figur, und das ist, wenn das Leben des Präsidenten auf dem Spiel steht, keine Selbstverständlichkeit. Harry Sargent, so nennt er sich hier, gerät auch mit dem Agenten Horrigan (Clint Eastwood) aneinander. "Das kommt Ihnen wohl wie ein großer Witz vor, Horrigan?", raunzt er ihn an, und als Horrigan zurückbellt: "Nein, du bist hier der Witz, Harry, du hast keine Ahnung, was wir tun", da zeigt Harry, wer hier das Sagen hat: "Wenn du mich noch mal Harry nennst, kannst du Fälscher in Alaska verhaften."
Vor den Großen dieser Welt hat auch er keine Angst
Wie Bush senior war Thompson auch schon Chef der CIA, in Roger Donaldsons Thriller "No Way Out" (1987), und beweist dabei die entsprechenden Führungsqualitäten. Er erläutert einem Untergebenen, dass ein Verdächtiger homosexuell sei, und als er darauf nur ein "verdammt" zu hören bekommt, entgegnet er knapp: "Er auch, wenn man dem Alten Testament glaubt."
Vor den Großen dieser Welt hat er ebenfalls keine Angst. Als Betreiber einer Rennstrecke staucht er Tom Cruise in "Tage des Donners" (1990) mächtig zusammen. Und in "Die Hard 2" (1990) trägt er zwar den etwas seltsamen Namen Trudeau, doch als Chef des Flughafentowers nimmt er Bruce Willis so hart ran, wie der es braucht. Dass er in "White Sands" (1992) einen Waffenhändler spielte, war ihm wohl schon damals nicht geheuer, weshalb er im Abspann lieber nicht auftauchte. Auch sein FBI-Agent in "Babys Day Out" (1994) blieb blass Thompson ist, bei aller Jovialität, kein Mann für Komödien. Das sieht man auch in "Racing Stripes" (2005), wo er einem Pferd seine Stimme leiht; immerhin beweist er da kompromisslose Härte, wenn er ein Zebra abkanzelt: "Du bist kein Rennpferd! Du bist ein Mittagessen für Löwen, mehr nicht!"
Auch militärische Erfahrung ist für den Job im Weißen Haus immer nützlich. Als Konteradmiral in "Jagd auf Roter Oktober" (1990) erteilt Thompson einem CIA-Mann (Alec Baldwin) eine Lektion: "Was ist sein Plan?", fragt er ihn. "Sein Plan?", fragt der Mann ahnungslos und muss sich anhören: "Russen gehen nicht mal kacken ohne einen Plan, mein Sohn!" Sogar als Präsident hat er schon zwei Testläufe absolviert. In dem propagandistischen Kleinthriller "Last Best Chance" (2005) bekam er es mit Nuklear-Terroristen zu tun, und 2007 hat er als Ulysses S. Grant amtiert, in dem historischen Film "Bury My Heart at Wounded Knee", der vom letzten Kampf der Sioux erzählt.
Auf den ersten Blick wirkt Fred Thompson also vielleicht nicht klassisch präsidial, er ist eher ein Mann der Exekutive als ein Repräsentant; aber er packt die Dinge an, redet Klartext und hat meist eingängige Dialoge. Das sieht man schon an der Schnittstelle seiner Karriere, als er am 16. Juli 1973 im Watergate-Ausschuss die berühmte Frage stellte: "Mr. Butterfield, ist Ihnen etwas bekannt über die Installation von Abhöranlagen im Oval Office?" Ein Jahr später war Nixon erledigt, und der junge Mann mit dem zurückweichenden Haaransatz, der den Republikanern als juristischer Berater gedient hatte, war bekannt, weil Millionen vor dem Fernsehschirm zugesehen hatten. Als er dann 1977 als Anwalt in Tennessee den Fall Marie Ragghianti übernahm, die den Gouverneur wegen Korruption kritisiert hatte und entlassen worden war, da machte er seine Sache so gut, dass Roger Donaldson ihn gleich für die Verfilmung der Geschichte verpflichtete. Für "Marie" (1985) fand der Regisseur einfach keinen besseren Hauptdarsteller als Thompson selbst.
Weißes Haus im Blick
Im Gegensatz zu Reagan, dessen Bild viele seiner Anhänger auf ihn projizieren (zum Beispiel auf der Website www.anotherronaldreagan.com muss Thompson auch nicht verwelkten Ruhm wiederbeleben; er ist ja noch im Geschäft, und er hat seine politische Erfahrung längst als Schauspieler kapitalisiert. Wenn man den Umfragen glaubt, sind seine Chancen auch ohne erklärte Kandidatur vielversprechend. Er kann bei Bedarf den barschen, bisweilen sehr rüden Ton durchaus modulieren, wenn er, wie auf Youtube zu sehen, vor Geschäftsleuten in Kalifornien redet. Und wenn aus seiner Senatorenzeit auch keine nennenswerten politischen Leistungen überliefert sind, so ist bei ihm doch immer Verlass auf den konservativen Dreiklang von Steuersenkung, weniger Regierung und starker Landesverteidigung; markige Sprüche zu Abtreibung, Homoehe und Erderwärmung gibt es gratis, und sie klingen, als habe ein pointensicherer Drehbuchautor sie geschrieben: "Einige Leute glauben, unser Planet habe Fieber", legt Thompson los, schwadroniert dann ein wenig über die Erwärmung von Jupiter und Mars, um zu resümieren, dass einige Leute "sich fragen, ob Mars und Jupiter, die das Kyoto-Protokoll nicht unterschrieben haben, von Außerirdischen mit Geländewagen bewohnt werden, die ständig ihre Klimaanlage auf Hochtouren laufen lassen".
Deshalb wird es vielen nicht schwerfallen zu sagen: "Im with Fred", wie seine Website heißt, und da sich ohnehin nur schwer sagen lässt, was denn nun Inszenierung ist in der Politik und was die sogenannte Realität, trifft Thompson mit seinen Sätzen den Nerv der potentiellen Wähler. Er habe sich nach zwei Jahren in Washington "nach dem Realismus und der Ernsthaftigkeit Hollywoods gesehnt", hat er in Kalifornien gesagt. Natürlich kann er den Satz an der Ostküste auch umdrehen und sich über Hollywoods oberflächlichen Glamour mokieren. Einer Kandidatur steht nach diesem Durchgang durch sein Lebenswerk also nichts im Wege. Den Produzenten von "Law and Order" hat Fred Dalton Thompson schon gebeten, ihn aus seinem Vertrag zu entlassen. Und nur böse Menschen behaupten, das habe damit zu tun, dass die Serie bei NBC kurz vorm Exitus stehe. Peter Körte
Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung aus der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" übernommen.