Verbotener DDR-Film Gekicher aus dem Giftschrank

Den fand Honecker gar nicht witzig: Mehr als 40 Jahre lag der vom DDR-Regime verbotene Film "Hände hoch oder ich schieße" in den Archiven vergraben. Jetzt ist die subversive Kriminalkomödie erstmals im Kino zu sehen - und unterhält mit ironischer Systemkritik.
Von Thomas Winkler

Als Erich Honecker im Dezember des Jahres 1965 ans Podium trat, begann die neue Eiszeit. "Unsere DDR ist ein sauberer Staat", sprach Honecker, der nicht einmal sechs Jahre später zum alleinigen starken Mann der DDR werden sollte, in seiner Rede bei diesem elften Plenum des Zentralkomitees der SED, "in ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte."

Es war der Beginn neuer Repressionen in der DDR. Die Reformen der frühen Sechziger, so zart sie gewesen sein mögen, eine vorsichtige Liberalisierung der Kunst: vorbei. Kritik, auch konstruktive, war nicht mehr erwünscht im real existierenden Sozialismus. Die Folge: Bücher wurden verboten, genauso wie Theaterstücke und Filme, vor allem Filme. Filme, die daraufhin ein Vierteljahrhundert im Giftschrank verbrachten. Und heute doch zu Klassikern geworden sind: Allen voran "Spur der Steine" mit Manfred Krug, eine recht offen kritische Auseinandersetzung mit dem DDR-(Wirtschafts-)System.

"Hände hoch oder ich schieße" dagegen ist eine Kriminalkomödie. Vielleicht wurde der Film deshalb nicht recht ernst genommen, als nach der Wende die Tresore geöffnet und all die verbotenen Schätze gehoben wurden. Stattdessen lagerten die 570 Dosen mit dem Filmmaterial von "Hände hoch oder ich schieße" rund zwei weitere Jahrzehnte im Bundesfilmarchiv, bevor es doch zur Rekonstruktion und jetzt endlich zur Aufführung kommt.

Natürlich: "Hände hoch oder ich schieße", in den Jahren 1965 und 1966 unter der Regie von Hans-Joachim Kasprzik entstanden, setzt sich lange nicht so ausdrücklich mit den damaligen Zuständen in der DDR auseinander wie prominentere Werke. Aber doch: Die Geschichte eines unterbeschäftigten Kriminalisten und eines entführten Denkmals birgt, so leicht und humorvoll sie erzählt sein mag, erstaunlich viel gesellschaftlichen und sogar politischen Sprengstoff.

Affront gegen die herrschende Ideologie

Die komödiantische Grundkonstellation ist übersichtlich: Ein junger Kriminalleutnant, Holms mit Namen, soll im beschaulichen Wolkenheim die Einhaltung von Recht und Ordnung überwachen. Die aber sind, dem Sozialismus sei Dank, bereits felsenfest installiert: Mit der Armut ist im Arbeiter- und Bauernstaat - so die real existierende Logik - auch die Straftat verschwunden. Selbst das abhanden gekommene Kaninchen, dem Holms auf die Spur geschickt wird, entpuppt sich nur als entlaufen.

Kein Wunder, dass der Kriminalist sich da verwegene Verfolgungsjagden durch die verwinkelten Gässchen seines Einsatzgebietes ersehnt - und einen Auftrag von Scotland Yard, in dessen Verlauf er die Dorfschöne zu retten vermag. Diesen Tagträumereien setzt erst Herr Pinkas ein Ende: Der ist nicht nur ein Trinkbruder von Holms, sondern auch ehemaliger und längst geläuterter Berufsverbrecher. Nun ruft er die Kollegen von einst zusammen, um die auf dem Marktplatz stehende Statue des Grafen Nepomuk zu entführen. Endlich kann Holms zeigen, was er gelernt hat.

Was folgt sind Slapstick, Klamauk und ein, mit dem Abstand der Jahrzehnte, bisweilen etwas müde wirkender Witz. Eins aber ist erstaunlich gut erhalten: Die den gesamten Film durchziehende Ironie. Schon die Idee, auf der das Drehbuch von Regisseur Kasprzik und Rudi Strahl beruht, dass die sozialistische Ordnung vor allem Langeweile produziert, ist ein kaum verborgener Affront gegen die herrschende Ideologie.

Schon der Name des öden Städtchens lässt sich verstehen als Anspielung auf die Parteiführung, die in Wolkenkuckucksheim den Kontakt zur Bevölkerung verloren hat. Auch in Dialogen und vom Off-Erzähler werden immer wieder die Lebensumstände in der DDR kommentiert und die Sprache der Ideologie karikiert: Da wird der Kriminalist zum "Dialektiker" und die Ex-Verbrecher wähnen sich "auf dem Boden der sozialistischen Moral". Um die zu stützen, verschmähen sie später sogar die harten US-Dollars, die ein amerikanischer Tourist für das entführte Denkmal bietet - als hätte die DDR kein Devisen-Problem gekannt und keine Mangelwirtschaft.

Solche Szenen stießen den Zensoren damals sauer auf und führten zu allerhand Schnitten, die den Film aber nicht retten konnten. Auch nach den Änderungen würde der Film, so stellte ein gewisser Dr. Franz Jahrow von der Abteilung Filmproduktion der Hauptverwaltung Film nach einer Abnahme-Vorführung fest, immer noch "in grotesker Form gesellschaftliche Erfolge unserer Republik" abwerten. Am 27. September 1966 wird "Hände hoch oder ich schieße" endgültig verboten, ohne je öffentlich gezeigt worden zu sein - im Gegensatz zu "Spur der Steine", der ein halbes Jahr zuvor erst nach wenigen Tagen aus den Kinos verschwand.

Danach schmorten beide Filme friedlich nebeneinander im Giftschrank. Bis die Wende kam und beide eine sehr unterschiedliche Karriere einschlugen. "Spur der Steine" wurde wiederentdeckt und ein großer, wenn auch verspäteter Triumph, kommerziell wie künstlerisch. Der kleine Bruder "Hände hoch oder ich schieße" aber blieb vergessen.

Bis jetzt. Im vergangenen Jahr wurde der Film rekonstruiert, wenn auch ohne die geschnittenen Szenen, die nicht wieder aufgefunden werden konnten. Zu entdecken ist zwar kein Meisterwerk, aber eine feine, bisweilen heute noch sehr amüsante Auseinandersetzung mit der DDR-Wirklichkeit. Ein Zeitdokument, das mit den Mitteln der Komödie allerhand zu erzählen vermag über die Kluft zwischen Anspruch und Realität im Arbeiter- und Bauernstaat.

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