Verschollene "Metropolis"-Szenen Utopia wird restauriert

Es ist eine Sensation, die 80 Jahre auf sich warten ließ: In einem Museum in Buenos Aires wurden verloren geglaubte Szenen von Fritz Langs "Metropolis" entdeckt. Filmhistoriker David Kleingers über einen Utopieklassiker, der bald wieder in seiner Urfassung zu sehen sein könnte.

80 Jahre lang galten sie als verschollen: Szenen aus Fritz Langs berühmtem Stummfilm "Metropolis" sind in Argentinien wieder aufgetaucht, berichtet das "Zeit-Magazin Leben" in seiner am heutigen Donnerstag veröffentlichten Ausgabe. Dem Blatt zufolge entdeckte die Chefin des Filmmuseums in Buenos Aires, Paula Félix-Didier, in ihrem Haus die Urfassung des Films, nachdem sie Berichten über die ungewöhnliche Länge des Werks auf den Grund gegangen war. Sie reiste mit einer Kopie des Films nach Berlin und führte sie Experten vor, die sich schnell sicher waren, dass es sich bei Félix-Didiers Fund um die ursprüngliche, verloren geglaubte Langfassung des Films handelte.

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Filmklassiker "Metropolis": Die Stadt der verlorenen Bilder

Foto: DDP/ Redaktion Zeitmagazin Leben

Laut den Expertenurteilen, die das "Zeit-Magazin Leben"  zitiert, bereichert das 16-Millimeter-Negativ aus Argentinien das ebenso faszinierende und polarisierende Werk aus dem Jahr 1927 um Facetten, die bisher nur erahnt werden konnten. Dieser wahrhaft kinoreife Fund könnte tatsächlich den Beginn eines neuen Kapitels in der wechselvollen Historie des wohl berühmtesten deutschen Spielfilms markieren, der als kapitaler Kassenflop begann und heute als ikonenhafter Klassiker gilt.

Da zwar nahezu jeder einige stilprägende Motive aus Langs Film kennt, aber nicht zwangsläufig die zugrundeliegende Erzählung, sei kurz der Plot von "Metropolis" umrissen: Die Stadt der Zukunft wird von Joh Fredersen beherrscht, der mit den anderen Mitgliedern der Oberschicht hoch über Metropolis residiert, während unter der Erde das Heer der Arbeiter knechtet. Die Klassenverhältnisse geraten ins Wanken, als sich Fredersens Sohn Freder (Gustav Fröhlich) in die Arbeiterführerin Maria (Brigitte Helm) verliebt. Gleichzeitig erschafft der Erfinder Rotwang einen stählernen Roboter, dem er das Aussehen Marias verleiht. Die falsche Maria wiegelt die Arbeiter auf, die ihre Maschinen verlassen und damit die Überflutung der Stadt auslösen. Erst durch Freders und Marias Einsatz kann Metropolis gerettet und die Versöhnung von Arbeit und Kapital herbeigeführt werden.

Kontrovers und stilbildend

"Das wunderbarste Bilderbuch, das je geschaffen wurde" nannte Luis Buñuel den in Schwarzweiß gedrehten Science-Fiction-Prototypen, dessen futuristischer Look und unverwechselbares Design später wie vielleicht kein zweiter Film die Popkultur inspirierte. Für die Spielhandlung dieser mit bis dahin nie gekannten Produktionsaufwand realisierten Zukunftsvision hatte er indes nur Häme übrig: "Wer den Film als diskreten Geschichtenerzähler betrachtet, erlebt bei 'Metropolis' eine herbe Enttäuschung. Was uns hier erzählt wird, ist trivial, schwülstig, pedantisch, von einem übermächtigen Romantizismus."

Buñuels ambivalentes Verdikt ist nur eines von etlichen prominenten Urteilen, die im Laufe der Jahrzehnte über den Film gefällt wurden. In seiner berühmten Studie "From Caligari to Hitler" kritisierte Siegfried Kracauer das "Ornament der Masse" in Langs opulenter Inszenierung von Komparsenheeren als Indiz einer totalitären Weltsicht. Auch die naive Verbrüderung von Arbeiterschaft und Herrschenden am Ende des bildgewaltigen Untergangsszenarios wurde oft als protofaschistische Apologie des Führerprinzips verstanden, eine Einschätzung, die nicht zuletzt durch das Wissen um die Hitler-Sympathien der Drehbuchautorin Thea von Harbou genährt wurde.

Einen Überblick über diese und andere Aspekte der kontroversen Rezeptionsgeschichte bietet der Text "Zurück in die Zukunft: Fritz Langs 'Metropolis' im Wandel der Zeit"  auf filmportal.de , der Internet-Plattform des Deutschen Filminstituts DIF. Fast alle retrospektiven Gedanken zu dem kinematografischen Mammutprojekt, mit dem die Ufa damals unter der Leitung des legendären Produzenten Erich Pommer Hollywood heimleuchten wollte, mussten allerdings mit einer grundlegenden Einschränkung niedergeschrieben werden: Sie bezogen sich nicht auf das Original der Uraufführung, sondern auf die radikal gekürzten Fassungen, die kurz nach der enttäuschenden Premiere in Umlauf gebracht wurden. Fast ein Viertel des Films ging durch diese wirtschaftlich motivierten Eingriffe verloren, die nachfolgende Generationen von Archivaren und Filmhistorikern zu einer akribischen Spurensuche motivierten.

Überraschender Aufschluss über die Motivation der Figuren

In den achtziger Jahren zeichnete Enno Patalas als Leiter des Filmmuseums München für die erste umfassende Rekonstruktion von "Metropolis" verantwortlich. 2001 folgte dann eine digitale Restaurierung, die Martin Koerber im Auftrag der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden durchführte. Diese bis jetzt maßgebliche Version basierte auf der Fassung des Filmmuseums München und der im Bundesarchiv-Filmarchiv verwahrten Materialien.

Patalas und Koerber gehörten folgerichtig zu den berufenen Experten, denen Paula Félix-Didier, Direktorin des Museo del Cine, ihren Fund zur Beurteilung präsentierte. Wie die Autorin Karen Naundorf im "Zeit Magazin" berichtet, nahm die Irrfahrt des sagenhaften Negativs seinen Anfang im Jahr 1928, als eine Langfassung des Films nach Argentinien gelangte und später in die Privatsammlung eines Filmkritikers überging.

Etliche Jahrzehnte und abenteuerliche Umwege später wurde diese Fassung nun gesichtet. Auch wenn das Material selbst in einem beklagenswerten Zustand ist, so bieten die neu entdeckten Szenen den ersten Stellungnahmen deutscher Filmhistoriker zufolge – darunter Dr. Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek – überraschenden Aufschluss über die Motivation der Figuren und verhelfen "Metropolis" zu jenem stimmigen Erzählrhythmus, dessen Fehlen oft bemängelt wurde. So gewinnen etwa die zu Statisten zusammengekürzten Figuren des Schmalen und des Josaphat ihr ursprüngliches Format zurück, und das dramaturgische Ur-Konzept, das vorher nur mühsam anhand von Textquellen und Fotos rekonstruiert werden konnte, entfaltet sich nun erstmals seit 1927 wieder im bewegten Bild.

Der daraus resultierenden Herausforderung sind sich die Archive und Filminstitute durchaus bewusst: "In Fortsetzung der Restaurierung von 2001 würde die Murnau-Stiftung sehr gern gemeinsam mit den damaligen Partnern und dem Museo del Cine in Buenos Aires eine vollständige Version erstellen und der Öffentlichkeit zugänglich machen", so Helmut Poßmann, Vorstand der Murnau-Stiftung. Auch der Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung, Eberhard Junkersdorf, sieht die historische Chance: "Durch diesen sensationellen Fund wird die Murnau-Stiftung in die Lage versetzt, den Film weitestgehend wiederherzustellen. Damit könnte endlich das Ziel erreicht werden, dem Meisterwerk Fritz Langs so nahe wie nie zuvor zu kommen und es der Welt zu präsentieren."

Man darf also gespannt sein, gilt es doch, Filmgeschichte neu zu sehen und zu schreiben. Nur eines scheint jetzt schon gewiss: Die Zukunft der Leinwandutopie "Metropolis" ist längst noch nicht vorbei.

David Kleingers ist Redaktionsleiter von filmportal.de  , der Website des Deutschen Filminstituts DIF

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