Film über Papst Benedikt Die religiöse Ordnung als absolute Wahrheit
Was waren das für Zeiten, als der Katholizismus noch für Reformen stand. Als hinter den Mauern des Vatikans Fanfaren des Aufbruchs ertönten und Papst Johannes XXIII. die Losung ausgab: "Macht die Fenster der Kirche weit auf!" Das war vor knapp 60 Jahren, in Rom begann das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965). Auf der Agenda standen die Erneuerung kirchlicher Lehren und die Annäherung der Bischöfe an die Moderne.
Auch ein aufstrebender Theologe aus Deutschland war damals dabei, der enthusiastisch für die Abschaffung der lateinischen Messe kämpfte, für eine Kirche, die sich der Welt öffnen sollte. Sein Name: Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. In dem Film "Verteidiger des Glaubens" beschreibt Regisseur Christoph Röhl, wie Ratzinger vom reformwilligen Erneuerer zu einem Kirchenoberhaupt wurde, das verbissen an den monarchischen Machtstrukturen des Vatikans festhielt.
Um das Jahr 1968 vollzog sich seine Veränderung
Eindrückliche Archivaufnahmen aus den Sechzigerjahren verdeutlichen, wie die gesellschaftlichen Umbrüche Ratzingers Aufbruchstimmung ein Ende setzten. Aus seiner Sicht war es zwar okay, wenn sich die Kirche der Welt zuwandte - aber doch bitte in Maßen. Die Emanzipation der Frau? Sexuelle Revolution? Ein säkularer Modernismus? Das ging dem bayerischen Theologieprofessor viel zu weit, denn aus seiner Sicht rüttelte es an den Grundfesten des Katholizismus.
Um das Jahr 1968 herum vollzog sich dann auch die Wandlung vom alten zum neuen Ratzinger, der sich fortan im Freund-Feind-Denken verstrickte. Von einer "immer schärfer werdenden Kritik an der modernen Welt" spricht Wolfgang Beinert, langjähriger Vertrauter Ratzingers und einer der Zeitzeugen, die Röhl für seinen Film interviewt hat.
Dem Regisseur gelingt es, die Weltabwendung Ratzingers, der 1977 zum Erzbischof von München und Freising ernannt wurde, spannend in Szene zu setzen. Es ist der Werdegang eines Mannes mit der festen Auffassung, nur die religiöse Ordnung gelte als absolute Wahrheit. Und genau diese Überzeugung war letztlich eine wichtige Voraussetzung für Ratzingers nächsten Job.

Szene aus "Verteidiger des Glaubens": Eine "starke Freund-Feind-Kennung"
Foto: Real FictionIm Frühjahr 1982 wechselte er als Präfekt der Glaubenskongregation nach Rom. Nun war es Ratzinger, der maßgeblich mitbestimmte, was in der Kirche als richtig oder falsch galt. In den Achtzigerjahren bekämpfte er die Befreiungstheologie in Südamerika, die unter anderem für demokratischere innerkirchliche Strukturen stand. Zahlreichen kritischen Geistern wurde die Lehrerlaubnis entzogen.
"Verteidiger des Glaubens"
D 2018
Regie und Drehbuch: Christoph Röhl
Produktion: Flare Film GmbH
Verleih: RealFiction
Länge: 95 Minuten
Start: 31. Oktober 2019
Durch sein Wirken als oberster Glaubenshüter unter Papst Johannes Paul II. trug Ratzinger zur konservativen Verkrustung der Kirche bei. In Röhls Film kommen Gesprächspartner zu Wort, die von einem regelrechten System der Kontrolle sprechen. Von einem dichten Netz aus Spitzeln ist die Rede, über das kleinste Verstöße gegen die katholische Glaubenslehre aus den Kirchenprovinzen direkt nach Rom gemeldet worden seien.
Es ist auch die Zeit, in der konservative kirchliche Organisationen wie die "Legionäre Christi" in der Kurie immer größeren Einfluss gewannen. Als deren allmächtiger Leiter Marcial Maciel, ein Priester aus Mexiko, Ende der Neunzigerjahre von acht Männern des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, leitete Ratzinger eine erste vertrauliche Untersuchung ein.
"This is unerhört"
Im selben Jahr wollte der US-Reporter Brian Ross den Präfekten der Glaubenskongregation auf offener Straße zum Fall Maciel befragen. Doch Ratzinger blockt das Gespräch ab, seine Miene versteinert und er haut dem Journalisten sogar leicht auf die Hand: "This is unerhört", sagt er. Es ist eine der eindrücklichsten Szenen in Röhls Film. Sie wirft ein bezeichnendes Licht auf Ratzingers Abwehrhaltung gegen die Öffentlichkeit.
Ab 2005 blieb ihm als Papst dann aber gar nichts anderes übrig, als sich der Thematik Missbrauch in der Kirche öffentlich zu stellen. Weltweit wurden zahllose Fälle von sexuellen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche bekannt. Zunehmend wurde klar, dass vor allem das autoritäre System der Kirche diese Taten ermöglichte, jener Klerikalismus, den auch Ratzinger seit Jahrzehnten verfochten hatte.
Im Laufe seines Pontifikats wirkte der Papst zunehmend überfordert und der Welt entrückt. 2013 trat er schließlich zurück. "Ich glaube, dass sein Scheitern auch das Scheitern einer Ära ist", sagt Klaus Mertes, der 2010 die Missbrauchsaffäre in Deutschland publik machte, gegen Ende von Röhls Film. Es sei der letzte vergebliche Versuch der Kirche gewesen, über eine "starke Freund-Feind-Kennung Identität zu retten".