Neuer Wenders-Film Dieser Mann gehört geohrfeigt
Andreas Dresen hat einen Techno-Film gedreht, Werner Herzog einen Historienschinken, Sebastian Schipper die technische Meisterleistung des Festivals vollbracht. Und Wim Wenders? Überrascht auf der Berlinale ebenfalls - indem er mit "Every Thing Will Be Fine" eine Charakterstudie vorlegt, die visuelle Opulenz und Pathos ungewohnt ökonomisch und stimmig einzusetzen weiß.
Das ist umso erfreulicher, weil wir mitten in den inoffiziellen Wenders-Festspielen stecken: Wenders wird in diesem Jahr mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet, außerdem ist ihm die Hommage gewidmet. Um einen weiteren Preis sollte sein erster Spielfilm seit "Palermo Shooting" von 2008 nicht buhlen, deshalb läuft "Every Thing Will Be Fine" außer Konkurrenz.

"Every Thing Will Be Fine": Wendepunkte eines Lebens
Einen guten Hinweis auf die Qualitäten des Films bietet bereits die Schreibweise des Titels. "Everything" hat eine Leerstelle verpasst bekommen, zwischen den Worten ist plötzlich unerwarteter Raum.
Ähnlich episodisch ist auch der Film gegliedert. Über zwölf Jahre verteilt begegnen wir dem kanadischen Schriftsteller Tomas Eldan ( James Franco) insgesamt viermal. Am Anfang steht die Krise: Tomas kommt mit seinem neuen Roman nicht voran. Außerdem überlegt er, sich von seiner Freundin Sara (Rachel McAdams) zu trennen. Während er im Auto durch den schneeumstürmten Winter von Québec fährt, ruft sie ihn auf dem Handy an. Verärgert drückt er ihren Anruf weg, achtet kurz nicht auf die Straße - und fährt unvermittelt ein Kind zu Tode.
In den folgenden drei Episoden werden der Unfall und seine Folgen für Tomas sowie Kate, die Mutter des Jungen (gespielt von Charlotte Gainsbourg), immer wieder in den Fokus genommen. Dabei stehen jedoch nicht Fragen nach Schuld, angemessener Trauer und Vergebung im Vordergrund. Vielmehr erkundet das kluge Drehbuch von Bjørn Olaf Johannessen, wie Wendepunkte im Leben funktionieren.
Der Stoiker wird herausgefordert
Bei Tomas markiert der Unfall einen solchen Wendepunkt, genauso sind es aber auch die Begegnungen mit den Frauen in seinem Leben. Im Gegensatz zu Christian Bales Lebemann aus "Knight of Cups" sind dies wirklich bedeutsame Begegnungen für Tomas, denn die Frauen - außer Gainsbourg und McAdams ist auch noch Marie-Josée Croze in einer tragenden Rolle zu sehen - fordern den Stoiker selbstbewusst heraus. Sie fragen, ob es überhaupt etwas gibt, das ihn im Innersten berührt, und wenn sie mit einer Entschuldigung nicht zufrieden sind, setzt es nicht nur eine, sondern zwei Ohrfeigen - was ihm offenbar guttut.
James Franco, der in vielen seiner Filme seltsam unbeteiligt wirkt - womöglich, weil er in Gedanken schon bei seinem nächsten Film/Buch/Kunstprojekt ist -, wird hier perfekt von Wenders eingesetzt. Nicht nur entwickelt er in den entscheidenden Momenten eine Präsenz, wie man sie ihm nach seiner Nullnummer in Herzogs "Queen of the Desert" nicht mehr zugetraut hätte. Sein gefälliges Äußeres und sein grenzwertig routinierter Charme sind zudem essenzieller Bestandteil seiner Figur. Man versteht sofort, was andere Menschen zu Tomas hinzieht - und warum sie so oft von ihm enttäuscht sind.
Für Tomas' Abgekapseltsein findet Wenders in der 3D-Technik außerdem eine Darstellungsweise, die die Figurenzeichnung nicht wesentlich prägt, sie aber schön unterstreicht. Benoît Debies ("Spring Breakers") Kameraführung hebt die Distanz zwischen Mensch und Umgebung markant hervor; die Räume, die die Figuren durchschreiten müssen, um sich zu begegnen, werden unmittelbar spürbar.
Auch auf die Optik bezogen passt der zerstückelte Filmtitel also ganz wunderbar. Nur ob er auch inhaltlich zutrifft und alles tatsächlich gut wird, das sei hier nicht verraten.
"Every Thing Will Be Fine" kommt am 2. April in die Kinos.