Blockbuster-Regisseurin Patty Jenkins "Wonder Woman muss genauso breitenwirksam sein wie Superman"

Superregisseurin trifft Superheldin: Patty Jenkins spricht über ihren Kassenhit "Wonder Woman", Hollywoods Frauenfeindlichkeit und Großproduzenten von gestern.
Blockbuster-Regisseurin Patty Jenkins: "Wonder Woman muss genauso breitenwirksam sein wie Superman"

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Jordan Strauss/ AP

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Patty Jenkins, 45, hatte erst zwei Kurzfilme gedreht, als ihr Kinodebüt "Monster" (2003) direkt mit einem Oscar für die Hauptdarstellerin Charlize Theron ausgezeichnet wurde. Danach arbeitete Jenkins vor allem fürs Fernsehen ("Arrested Development", "Entourage", "Five"), bevor sie als erste Frau bei einer großen Superhelden-Comicverfilmung Regie führte. Der US-Start von "Wonder Woman" war der kommerziell erfolgreichste, den ein von einer Frau inszenierter Film bis dato geschafft hat.

SPIEGEL ONLINE: Ms. Jenkins, Sie sind die erste Frau, die einen Blockbuster der Budget-Größenordnung von "Wonder Woman" inszeniert hat. Und Ihre Protagonistin ist die erste Superheldin der aktuellen Comicfilmära, die ihren eigenen Film bekommen hat. Wie fühlen Sie sich?

Jenkins: Ich bin jetzt in dieser seltsamen Position, alle wollen mit mir darüber sprechen - und ich nehme die Verantwortung sehr ernst. Besonders gerne, weil ich selten mit solcher Begeisterung an einem Projekt gearbeitet habe wie an "Wonder Woman".

SPIEGEL ONLINE: Sie hatten sich ja schon vor Jahren darum bemüht, den Stoff zu verfilmen.

Jenkins: Genau. Deswegen wurde ich ja für die Fortsetzung von "Thor" engagiert, bevor ich aus dem Projekt wieder ausstieg. Dass sich meine Leidenschaft für diese Art von Filmen nun ausgerechnet in "Wonder Woman" ausleben darf, ist für mich die beste aller möglichen Wendungen.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie den Eindruck, Sie haben den Job auch deshalb bekommen, weil Sie eine Frau sind?

Jenkins: Puh, das müssen Sie die Verantwortlichen bei DC Comics und Warner Bros. fragen. Ich würde sagen, in diesem Fall war ich eine naheliegende Wahl. Zumindest unter den Filmemachern, die noch nie einen Film dieser Größenordnung inszeniert haben. Weil jeder in der Branche um meine Leidenschaft für "Wonder Woman" wusste. Weil ich schon erste Erfahrungen mit der Comic-Adaptions-Maschinerie gesammelt hatte. Und natürlich auch deshalb, weil ich eine Frau war - woran einige der Beteiligten durchaus dezidiertes Interesse hatten.

SPIEGEL ONLINE: Klingt so, als hätten Sie den Job ruckzuck in der Tasche gehabt.

Jenkins: Das täuscht. Zwar gab es keinen krassen Konkurrenzkampf mit fünf Kollegen und Kolleginnen in der engeren Auswahl. Aber ich fühlte mich ans Dating erinnert. Bevor ich mich auf etwas Festes einließ, wollte ich meiner Sache wirklich sicher sein, und der Gegenseite ging es genauso. Das zog sich über ein paar Jahre hin, und es gab auch eine Phase, in der es so aussah, als kämen wir nicht zusammen.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Jenkins: Weil den Produzenten zeitweise eine Geschichte vorschwebte, mit der ich mich nicht anfreunden konnte. Da hätte ich mich ausgeklinkt. Zu meiner Freude entschied man sich dann aber doch für den von mir bevorzugten Erzählansatz. War das Liebeswerben beider Seiten also doch erfolgreich!

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"Wonder Woman": Super, diese Heldin

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SPIEGEL ONLINE: Wie würden Sie Ihren Erzählansatz denn beschreiben? Hatten Sie eine spezielle Agenda, gerade weil Wonder Woman die erste weibliche Superheldin der Gegenwart mit eigenem Film ist?

Jenkins: Ja, von einer Agenda würde ich schon sprechen. Aber vielleicht in einem anderen Sinn als Sie jetzt denken. Mir fiel in vielen Gesprächen auf, wie sehr sich die Leute daran aufhängen, dass Wonder Woman eine Frau ist. Mir ist schon klar, dass das etwas Besonderes ist in diesem Genre. Aber mir ging es von Anfang an darum, ihr Geschlecht in den Hintergrund treten zu lassen. Weder sollte sie eine dezidiert weibliche Heldin sein noch eine Heldin speziell für Frauen. Sondern ein Superheld wie alle anderen auch, genauso breitenwirksam wie Superman.

SPIEGEL ONLINE: Im Idealfall sollte das Geschlecht auch in Ihrem Beruf in den Hintergrund treten, doch sieht die Realität anders aus. Erinnern Sie sich, wann Ihnen zum ersten Mal bewusst wurde, dass es in der Filmbranche eine gläserne Decke gibt?

Jenkins: Bevor ich mit "Monster" meinen ersten Film in die Kinos gebracht hatte, war mir kaum aufgefallen, dass ich als Frau anders behandelt werde. Danach allerdings war es sehr schnell sehr offensichtlich. Die Jobs, die man mir plötzlich antrug und vor allem die Art und Weise, wie man sie mir antrug, machten mir klar, dass ich nicht einfach von Beruf Regisseur war, sondern immer Regisseurin sein würde.

"Wonder Woman"

SPIEGEL ONLINE: Was bot man Ihnen denn an? "Frauenfilme"?

Jenkins: Zur Ehrenrettung Hollywoods muss ich sagen, dass die Angebote aus unterschiedlichen Genres kamen. Aber egal, mit wem ich sprach: Es war immer Thema, dass ich eine Frau bin. Zugleich - und das war für mich eine bedauerliche Erkenntnis - wurde deutlich, dass keines der Projekte in irgendeiner Form meine Perspektive oder meinen Erfahrungshorizont gespiegelt hätte. Fast alles stammte aus der gleichen, männlich dominierten Maschinerie.

SPIEGEL ONLINE: Dass Sie nach Ihrem Debüt - immerhin Oscar-prämiert! - 14 Jahre lang keinen Kinofilm inszeniert haben, lag also auch daran, dass Sie eine Frau sind?

Jenkins: Schon - aber deswegen, weil ich mich entschloss, ein Kind zu bekommen. Und als mein Sohn auf der Welt war, wurde mir klar, dass ich keinen Film würde inszenieren können, wenn ich ihn nicht für lange Zeit alleine lassen wollte. Also habe ich lieber fürs Fernsehen gedreht, das war weniger zeitaufwändig.

SPIEGEL ONLINE: Hollywood muss also dringend überlegen, wie sich Beruf und Familie besser vereinbaren lassen?

Jenkins: Unbedingt, aber nicht nur für Frauen. Filmemachen ähnelt heute immer mehr dem Führen eines Großbetriebs, das hat diesen Job für alle unglaublich brutal gemacht. Das sollte sich für Männer wie für Frauen verändern. Denn das Privatleben leidet unter dem, was heute von Filmemachern verlangt wird.

SPIEGEL ONLINE: Damit ist es aber nicht getan. Produzenten-Schwergewicht Lorenzo di Bonaventura sagte kürzlich, es gäbe halt kaum qualifizierte Filmemacherinnen für Blockbuster-Produktionen. Diese frauenfeindliche Mentalität hält sich offenbar hartnäckig in Hollywood.

Jenkins: Solche Aussagen sind zum Totlachen. Nach dieser Logik kämen für Superhelden-Filme mit 150 und mehr Millionen Dollar Budget ja nur etablierte Regisseure wie Spielberg oder Zemeckis in Frage. Aber es werden immer wieder Kollegen engagiert, die lediglich kleine Indies gedreht haben. Oder sogar gleich mit einer Großproduktion ihr Debüt geben. Bei Männern gehen die Produzenten solche Risiken ständig ein. Aber ich als Frau muss mich trotz 17 Jahren Berufserfahrung in jedem zweiten Interview fragen lassen, wie ich denn ein Projekt von diesen Dimensionen gewuppt hätte.

SPIEGEL ONLINE: Was machen Sie dafür als Ursache aus? Bloße Ignoranz oder tiefsitzende Misogynie?

Jenkins: Schwer zu sagen. Aber man spürt schon den Willen zur Veränderung. So lange, wie es dauerte, dass ich einen Film wie "Wonder Woman" inszenieren durfte, so schnell folgen mir demnächst einige andere Frauen mit vergleichbaren Projekten. Obendrein hilft hoffentlich der Erfolg unseres Films zusätzlich. Es ist unübersehbar, dass nicht bloß junge weiße Männer Kinotickets kaufen. Wenn Hollywood daraus endlich Konsequenzen zieht und mehr Projekte von und für Frauen entwickelt werden, müssen wir hoffentlich Gespräche wie dieses in einigen Jahren nicht mehr führen.

"Wonder Woman" - Trailer ansehen:

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