Zum Tode Robert Altmans Meister Unbequem
"Dieser Film wurde nicht von Fox veröffentlicht, er ist entkommen!", scherzte Robert Altman 1970 nach der Premiere seines Films "M*A*S*H*", einer bitterbösen Satire über das US-Militär, die bis heute zu den erfolgreichsten Filmen des Regisseurs zählt. Dieses kurze Zitat sagt vielleicht schon fast alles über einen der ungewöhnlichsten und begabtesten Filmemacher aus, die Amerika hervorgebracht hat. Denn wie kein anderer seiner Zeitgenossen hat es Altman Zeit seiner Karriere geschafft, dem Studio-System von Hollywood ein Schnippchen zu schlagen. Wer vom Rebellengeist des amerikanischen Independent-Kinos spricht, der erzählt meistens von Robert Altman.
Dabei fing die Karriere des 1925 in Kansas City, Missouri geborenen Sohn eines Versicherungsvertreters recht harmlos und bieder an. Nach einigen mehr oder minder erfolgreichen Experimenten und Kurzfilmen wurde Altman 1957 von Warner Brothers für die Regie der Dokumentation "The James Dean Story" verpflichtet. Das unspektakuläre - und wenig erfolgreiche - Werk war dennoch seine Eintrittskarte für Hollywood. Allerdings musste er sich zunächst mit der kleinen Mattscheibe zufrieden geben. Alfred Hitchcock wurde auf den jungen Regisseur aufmerksam und ließ ihn die TV-Reihe "Alfred Hitchcock presents" drehen. Bis in die späten Sechziger hinein blieb Altman dem Fernsehen treu und drehte unter anderem viele Episoden der Western-Serie "Bonanza". Zusammen mit Ray Wagner gründete er die noch heute aktive Produktionsfirma Lions Gate Films.
Mut und Zeitgeist
Was den Wandel Altmans vom funktionierenden Rädchen im Hollywood-System zum Rebellen gegen Studio-Konvention und Genre-Regeln werden ließ, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Es heißt, Altman, der im Zweiten Weltkrieg als Bomberpilot im Einsatz war, sei Mitte der Sechziger durch eine Reise in den Vietnamkrieg radikalisiert worden, wo er angeblich US-Streitkräfte filmen sollte. Belegt ist diese Episode nicht, aber sie passt zu der Abrechnung mit Militär und Krieg, die "M*A*S*H*" ab 1970 zum weltweiten Erfolg werden ließ.
Der Zeitgeist spielte eine große Rolle, als das ironische Ensemble-Spiel über ein chaotisches Feldlazarett in die Kinos kam. Publikumsrenner wie "Easy Rider" und "Bonnie and Clyde" hatten das Tor für junge, unangepasste Filmemacher in der Traumfabrik weit aufgestoßen. Mutige Studiobosse wie Robert Evans bei Paramount machten sich stark für die Rebellen des New Hollywood: Peter Bogdanovich, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola - und Robert Altman. Das Publikum, desillusioniert von Vietnamkrieg und Watergate-Skandal, radikalisiert durch die Flower-Power-Bewegung und die starke europäische Kinosprache der auteurs Godard, Truffaut und Renoir, erteilte der heilen Welt Hollywoods immer öfter eine Absage und favorisierte stattdessen den harten, realistischen Stil amerikanischer Autorenfilme.
Es war das ideale Biotop für Altman, der sich, wiewohl mit 45 Jahren kein junger Rebell mehr, mit neugefundender Stimme gegen althergebrachte Regeln und Genre-Grenzen polemisierte. Seine Siebziger-Jahre-Filme gelten nicht umsonst bis heute als Kernwerk Altmans: "M*A*S*H*" dekonstruierte kongenial das Kriegsfilm-Genre, mit "McCabe & Mrs. Miller" stürzte Altman ("Ich hasse Western") die Pferdeoper vom Heldensockel, "The Long Goodbye" räumte gründlich mit dem Film noir auf, und "Nashville" (1975) demontierte die amerikanische Musikindustrie. Auch das Spielerdrama "California Split" und das Hochzeitsdebakel "A Wedding" von 1978 sind scharfe, sarkastische Entzauberungen amerikanischer Mythen. Altman galt als furioser und furchterregender Filmemacher: Den Schauspieler Warren Beatty, Anfang der Siebziger Hollywoods größter Star, reizte er beim Dreh von "McCabe & Mrs. Miller" (1971) sogar so nachhaltig, dass Beatty sagte: "Hätte ich den Film selbst produziert, hätte ich ihn umgebracht!".
Außenseiter aus Prinzip
Zu jener Zeit teilte vielleicht so mancher derartige Mordgelüste, doch Altman war bei den Kritikern beliebt, und die Box-Office-Ergebnisse spielten damals eine kleinere Rolle als heute. Tatsächlich war kaum ein Altman-Film, abgesehen von "M*A*S*H*" und später "Short Cuts" ein kommerzieller Erfolg. Als Ende der Siebziger die Blockbuster-Ära mit "Star Wars" und anderen Event-Movies begann, wurde die mangelnde Kunst-Toleranz der Studiobosse auch Altman zum Verhängnis. Mit dem grandios missratenen Musical "Popeye" (1980) verabschiedete er sich in eine längere Leinwand-Abstinenz. Hollywood verstieß die Rebellen und versank noch tiefer als zuvor in Action-Bombast und geistlosem Klamauk. Effekte zählten wieder mehr als ungewöhnliche Erzählstränge und Drehbücher, die das wahre Leben spiegelten.
Viele von Altmans damaligen Weggefährten, so sie denn nicht gestorben sind, haben sich im Laufe der Achtziger und Neunziger Jahre mit Hollywood arrangiert: Martin Scorsese und Francis Ford Coppola sind genauso unter den Arrivierten wie Jack Nicholson und William Friedkin. Nur Altman blieb - vielleicht aus Prinzip - außen vor und erlebte erst mit Filmen wie "The Player" und "Short Cuts" in den Neunzigern neue Wertschätzung. Sein Markenzeichen, das größtenteils improvisierte Spiel eines bis zu 35 Schauspieler umfassenden Ensembles über ein generelles Gesellschafts-Motiv, hatte er da bereits perfektioniert.
Der Götzenbildersturm ging weiter
Über Hollywood sagte Altman einmal: "Wir haben nichts gegeneinander: Die verkaufen Schuhe und ich mache Handschuhe." Der Götzenbildersturm ging also weiter: Filmindustrie ("The Player"), Modeindustrie ("Pret-à-porter"), Showbiz ("The Company") oder am Ende sogar englischer Landadel ("Gosford Park", 2002) - bis zuletzt entwarf Altman die großen Tableaus, auf denen sich Menschliches und Allzumenschliches von allen Seiten und Abseiten bestaunen ließ. Der Blick auf das große Ganze der großen humanen Tragödie war Altman stets wichtiger als das intime Personendrama. Dass seine Filme trotz unorthodoxer Dialogführung, gewagter Kameraperspektiven und zuweilen unübersichtlicher Personalstärke eine zwingende Intensität verströmten, macht ihn zum großen Künstler und einem der wenigen Filmemacher, auf die das Etikett "gesellschaftskritisch" tatsächlich passt. Beim Zerstören der alten Genres hat Altman dem Kino eine neue Kategorie - das Ensemble- und Episodendrama - hinzugefügt und nachfolgenden jungen Filmemachern ein Vokabular gegeben, mit dem sie sich gegen den Mainstream abgrenzen können.
Robert Altman hat viel ausprobiert in seinem Leben, vielleicht befähigte ihn diese Neugier und Experimentierfreude noch bis ins hohe Alter, Filme zu drehen. Eine Tätowiermaschine für Haustiere soll er einmal erfunden haben. In den Achtigern betätigte er sich als Theater-Autor und -Regisseur sowie erneut als TV-Produzent. Zuletzt brachte er mit "A Prairie Home Companion" eine rührende Hommage auf eine amerikanische Radioshow auf die Leinwand, die auf der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb lief und von der Kritik gefeiert wurde. Im März versuchte sich Altman noch einmal als Theaterregisseur, landete aber mit der Inszenierung von Arthur Millers Drama "Ressurection Blues" einen glatten Misserfolg.
Zuvor hatte Hollywoods ungeliebter Sohn - nach fünfmaliger Nominierung als bester Regisseur - einen späten Dank der Filmindustrie erhalten: den Ehrenoscar für das Lebenswerk.
Eigentlich eine willkommene Gelegenheit für den großen Unbequemen des US-Kinos, einmal richtig abzurechnen, dachte man. Doch Altman, sein Leben lang eher Lakoniker als Choleriker, begnügte sich mit einer subtilen Einsicht: "Ich könnte mir keinen besseren Preis vorstellen - besser für mein ganzes Werk als nur für einige wenige Dinge." Außenseiter, Ausnahmetalent, Altmeister - ans Aufhören hat Robert Altman trotz glücklich überstandener Herztransplantation nie gedacht. "Ruhestand? Sie reden vom Tod, oder?" ist eines seiner vielen, scharfzüngigen und schnippischen Bonmots. Aber auch: "Filmemachen gibt einem die Gelegenheit, viele Lebenszeiten zu erleben". Ein kleiner Trost dafür, dass Robert Altman heute im Alter von 81 Jahren gestorben ist.