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AFFÄREN / ORTON Kiste des Vergnügens

aus DER SPIEGEL 40/1967

Es war das erste Pop-Begräbnis. Eine Beatles-Platte erscholl im Londoner Golders-Green-Krematorium, der Dramatiker Harold Pinter verlas Poesie, und der Schauspieler Donald Pleasence -- Schurke Blofeld im Bond-Film »Man lebt nur zweimal« -- deklamierte eine selbstverfaßte Ode:

»Nicht im Namen irgendeines Gottes«, skandierte Pleasence, habe man sich hier versammelt, sondern »im Namen dessen, den wir an den Sarg verloren haben -- an die Kiste, die ihm ein ständiges Vergnügen war«.

Die Trauergemeinde nahm Abschied vom englischen Dramatiker Joe Orton, 34, in dessen Erfolgs-Stück »Loot« ("Beute") ein Sarg die größte Rolle spielt und der unter Hammerschlägen seines Freundes Kenneth Halliwell, 41, verschieden war.

Anschließend untersuchte ein Londoner Richter den blutigen Abgang des bös-brillanten Stückeschreibers -- vier Wochen lang. Nun liegt das Ergebnis vor.

Orton war unter den Hammer seines Freundes gekommen, weil der Lebensbund der beiden Männer sich zu lösen drohte.

Die beiden waren sich vor zehn Jahren in einem Londoner Dramatiker-Seminar begegnet. Sie teilten ein Zimmer, reisten zusammen, und 1962 gingen sie auch gemeinsam ins Gefängnis: Sie hatten Bilder dicker, nackter Damen in Frauenromane einer Leihbibliothek geklebt.

Im Kerker hob vor Orton die »alte Dirne Gesellschaft ihre Röcke, und der Gestank war ziemlich häßlich«. Mit dem Kriminellen-Milieu noch vor Augen schrieb der Entlassene sein erstes Stück, »Seid nett zu Mr. Sloane«, in dem ein Strichjunge einen Greis tottritt und mit dessen Sohn und Tochter einen Verkehr-Verein gründet.

Der schwarz-witzige Erstling hob den stets Scheuen prompt auf die Höhen des Erfolgs. Dort wandelte er fortan -- ohne Halliwell. Denn trotz Haschisch-Verzehr konnte Halliwell, der malte, schrieb und zum Selbstmord neigte, mit seinem Freund nicht gleichziehen.

Ortons Zweitling, »Beute«, war wieder erfolgreich und von ebenso sinistrer Komik. Trotz der einfließenden Tantiemen blieben die beiden im Londoner Arme-Leute-Viertel Islington, wo sie ein mit Magazin-Bildern und einem großen Holzkreuz dekoriertes Zimmer bewohnten; zur Hamburger »Beute«-Premiere kam der sonst sehr salopp gekleidete Dramatiker im schmucken Cordsamt-Anzug seines Freundes,

Halliwell war zu Hause geblieben, und das blieb er meist, als Orton mehr und mehr ins Party-Karussell der Theater-Society geriet. Allein reiste Orton auch im vergangenen Monat nach Leicester, um seinen Vater, einen fast blinden Gärtner, zu besuchen.

Als Orton zurückkam, so rekonstruierte der Untersuchungsrichter, wartete Halliwell, bis der Freund eingeschlafen war. Dann schlug er ihn wenigstens neunmal mit einem Hammer auf den Kopf, nahm eine »enorme Überdosis« Schlafmittel ein und legte sich nackt zum Sterben an die Seite des gemordeten Freundes.

Orton hinterläßt -- so schätzen Freunde -- rund 1,5 Millionen Mark; ein Erbe dafür ist allerdings nicht leicht zu finden. Orton und Halliwell hatten sich gegenseitig alles vermacht -- an Halliwells Familie kann der Nachlaß jedoch nicht fallen, weil nach englischem Recht ein Mörder von seinem Verbrechen nicht profitieren darf.

Orton wurde getrennt von seinem Freund begraben, und in der Krematoriums-Kapelle sangen die Beatles sein Lieblingslied: »A Day In The Life« von der »Sergeant Peppers Lonely Hearts Club Band«-Platte. Es handelt von einem »glücklichen Mann«, der »ganz groß herauskam« -- bei einem Unfall wurde ihm »das Gehirn zerschmettert.

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