Klaus Jeziorkowski über Nicolas Born: »Die Welt der Maschine«
Ob alles gut ist, wenn einer tot ist? Ich bin nicht sicher, denn dann fällt er unter die Herausgeber, und die sind gnadenlos. Was der Autor zu Lebzeiten vielleicht gerne zu den Akten getan und bei sich behalten hätte, das wühlen sie hervor. Sie nerven an der Witwe herum, belämmern gutwillige Freunde des Verewigten, und auf einmal ist auf dem Grabhügel des teuren Toten ein Häuflein viel zu wenig bekannter Arbeiten zusammengetragen, das unbedingt herausgegeben werden muß. Freundespflicht nennt man dann so etwas. Bärendienst hieße es besser.
Den armen Nicolas Born hat's erwischt: Er ist unter die Editoren gefallen. Er hat Romane wie »Die Fälschung« und »Die erdabgewandte Seite der Geschichte« geschrieben, auch Gedichte, war ein Jahr lang Stadtschreiber von Bergen-Enkheim; mit 42 ist er an Lungenkrebs gestorben. Nun ist die Heiligsprechung in vollem Gange. In literarischen Konventikeln wird der Name des früh Entrückten verzückt weitergehaucht als Losungswort der Bescheidwissenden.
Wehe, wen es trifft. Seit Jahren ist bei uns zu beobachten, daß die öffentliche literarische Szene immer mehr zu einer Art Guru-Ballett verkommt. Da werden plötzlich Geheimtips in literarischen Saunen weitergeflüstert; die Verehrungsopfer heißen dann mal Sarah Kirsch, mal Günter Kunert, mal Thomas Brasch.
Wehe diesen armen Opfern, denn wenn die literarische Partygesellschaft ihr Mütchen an Verzückung gekühlt hat, dann bleibt der Totgeküßte an einer Ecke liegen, während der Zug der Verehrer weitertobt zu einem neuen Heiligen. Auch Nicolas Born hat es so getroffen, und es ist im Moment wohl gar nicht so einfach und selbstverständlich, etwas Selbstverständliches zu sagen: daß nämlich nicht alle Texte eines Autors automatisch gut oder besser werden, wenn er der irdischen Partygesellschaft den Rücken zugedreht hat.
Die Aufsätze, Kritiken und Reden Nicolas Borns hätten gnädig noch eine Weile von Nacht bedeckt bleiben sollen. Sie alle sind in der Tendenz ehrenwert und ehrenfest. »Die Welt der Maschine« -- der Titel des Bandes und des großen programmatischen Aufsatzes am Beginn zeigt die kritische Richtung. Der größte Teil der Aufsätze läuft, zum Teil mit bedenkenswerten Argumenten, gegen das an, was jetzt vielen mit Grauen klar wird, daß unsere Welt nur noch Supermaschine, Apparat, Datenverarbeiter ist und wir allmählich als gelochte Opfer durch irgendwelche Seitenschlitze ausgespuckt werden. Selbst die Verantwortlichen sind nicht mehr verantwortlich. Die Supermaschine ist zu einer Art globalem Wettergeschehen unserer Zivilisation geworden, über das kein Big Boss mehr gebietet, selbst wenn die Herren verzweifelt so tun.
Noch schlimmer die Diagnose Borns: die Maschine hat unser Bewußtsein, unsere Sprache gestürmt, und wir denken und reden weithin nur noch funktions- und sachgerecht, in jener fürchterlichen Sachorientiertheit, die Politiker, Medien und Werbung uns rund um die Uhr in den Bauch stanzen. Wir leben und lieben viereckig, weil wir dann wie Container raumsparend zu stapeln sind -- und so mehr Platz für Startbahnen geschaffen wird, um vom aktuellsten Schrecken zu reden. Bald haben wir das Format von Containern und das Hirn und die Rede von Mikroprozessoren und schnarren uns dann mit Computerstimme noch sachgerechter an, wie das jetzt schon die Frankfurter Fahrplanauskunft tut.
Das ist die Apokalypse, gegen die als schon eingetroffene Wirklichkeit Born anredet. Er verfolgt den täglichen Schrecken bis in die hintersten Winkel, bis in Bastionen, in denen ihn keiner mehr vermutet, bis in die gesellschaftskritische Literatur. In dem 1972 entstandenen Aufsatz »Ist die Literatur auf die Misere abonniert?« liest er den sogenannten »gesellschaftlich engagierten Autoren« -- »nd wer war das damals nicht? -- die Leviten: Beschreiben sie » » Alternativen, Gegenbilder? Bestehen sie auf dem » » Realitätsanspruch imaginärer Gegenwelten? Setzen sie » » wenigstens ihre ganze Phantasie ein, ein Leben ohne » » Entfremdung zu beschreiben Jeziorkowski Nicolas Born: »Die » » Welt der Maschine« Herausgegeben von Rolf Haufs 224 Seiten 24 » » Mark Rowohlt Verlag Reinbek Schriftsteller Born: Der » » Maschinensprache verfallen oder eine glückliche » » Liebesgeschichte, selbst wenn sie dabei erkennen müßten, daß » » ihre Phantasie dazu nicht ausreicht? Halten sie die » » Provokation aus, sich der Gesellschaft zu entfremden, wenn » » die zu einem einzigen Entfremdungsapparat geworden ist? Nein, » » denn sie haben sich integriert und integrieren lassen. Sie » » beschreiben die vorgefundenen Verhältnisse in der » » wahnwitzigen Hoffnung darauf, daß die Erkenntnis der Misere » die Misere »verändert«.
Und ein Stückchen weiter heißt es:
» Derart bandagierte und geschiente Autoren verzichten geradezu » » auf kritische Wirkung. Je eindeutiger sie ihre Position » » darstellen, um so resistenter wird das Publikum dagegen, denn » » es identifiziert mit Recht das literarische Produkt mit dem » » erklärten Programm des jeweiligen Autors, so wie man vom » » Milchmann nichts anderes als Milch erwartet. Die Nostalgie » » ist als Späteffekt von vornherein in dieser » Autor-Publikum-Beziehung enthalten.
» Es ist natürlich nicht unter der Würde der Literatur zu » » informieren, aber es bleibt unter ihren Möglichkeiten. » » Literatur als bloßes Transportmittel für systemimmanente » » Kritik (und zur systemimmanenten Kritik muß auch die » » revolutionäre Attitüde gerechnet werden) kann nur noch » » vordergründige Effekte hervorbringen: eine penetrante » affirmative Leier für oppositionelle Minderheiten.
» Der gesellschaftskritische Autor, gleichgültig ob er sich für » » einen Reformer oder Revolutionär hält, ist auf die Misere » » abonniert. Er kann nicht verhindern, daß er zum » » Gewohnheitskritiker wird und zum kritischen Partner der » » Macht. »
Das ist ehrenfest, und es bedeutete 1972 eine ganze Menge, sich so gegen den Strom der davonwirbelnden ideologiekritischen Autoren zu stemmen. Und doch ist hier auch schon zugleich der Klumpfuß voll entwickelt: Born selbst spricht die Sprache der großen Maschine, und es ist die komische bis verzweifelte Tragik dieser Aufsätze, daß sie nicht nur infiziert, sondern voll verseucht sind von dem, was sie als Krankheit diagnostizieren.
Nur in winzigen, versprengten Spuren und an wenigen Stellen gebietet Born sprachlich über das, was seiner Ansicht nach heilt: eine alternative, befreite Sprache, eine nicht von der Maschine deformierte menschliche Rede. Borns Kritik ist selbst Kritik vom Lochstreifen, spricht wie in den Datenspeicher getippt und liest sich wie Text auf dem Schirm der Lesegeräte, gestanzt wie der uns jetzt alltäglich verkaufte Videotext. Born sagt: »Der gesellschafts- und systemkritische Autor wird nur verstanden, wenn er sich in den vorherrschenden Schreibweisen ausdrückt und wenn er sich an dem vorgestanzten Realitätsbegriff orientiert, der für ihn selektive Wahrnehmung bedeuten muß, und zwar im Sinne des Systems, das er kritisieren will.« Und er selbst redet doch wie einer dieser Verdammten.
Was ist von solchen Bornschen Sätzen zu halten: »Aber äußerst selten gibt es in diesen Gedichten Bezüge zur aktuellen Realität. Die Erfahrungsmomente aus der Realität dienen allenfalls als Impulse, die Imaginationsschübe auslösen. Sonst ist alles auf Erfindungen angelegt, die sich mit den Realvorkommen S.162 nicht decken.« Da ist schlicht die sprachliche Apokalypse, vor der Born sich fürchtete, ein schrecklicher jüngster Tag des sprachlichen Unvermögens, das der computerisierten Rede nicht entweichen kann.
Wo wäre als Alternative die humane Rede, die Born in seinen Romanen, schon sehr viel seltener in seinen Gedichten erreichte und hier in den Aufsätzen nur noch in Maschinenprosa hilflos anruft: »Ich finde dagegen, daß der Schriftsteller seine Phantasie benutzen soll, um Träume, Visionen und Wünsche zu artikulieren, daß er eine mögliche oder sogar unmögliche Gegenrealität entwerfen soll, damit unsere einzige, die Realität transparent wird, gemessen werden kann am Besten. Das Mögliche muß sich im Trommelfeuer der Medien erst wieder einführen und revoltieren gegen das abgekartete Spiel der Fakten.«
Wo bleibt denn das neue Sprechen? Warum müssen Wünsche etc. »artikuliert« werden, warum partout muß man »Gegenrealität entwerfen«, warum, zum Teufel, muß etwas »transparent« werden, wo heute das auch der Zungenschlag von Startbahnenplanierern, Bäumefällern und konzertierten Aktionisten ist? Mensch, Born, warum? Eine unsägliche verbale Gefangenschaft schaut aus diesen Aufsätzen, was ja noch nicht das Schlimmste wäre, wenn sie eingestanden und nicht immer mit den nur geforderten »Alternativen« zugedeckt und zugetrumpft würde.
Man glaubt schon, was Born sagt: »Ich habe nie politisch sein wollen und noch viel weniger wollte ich politisch sein müssen.« Aber auch diese Weigerung wird ihm kein Rettungsanker. Denn auch das Unpolitische mißlingt ihm. Noch nie habe ich so uninspiriert über Günter Eichs »Maulwürfe« reden hören wie hier bei Born -- eine einzige Phrasenhäkelarbeit, Luftmaschen die Fülle. Notwendige Brotarbeit vielleicht, aber die muß man nicht in posthumen Bänden wie Perlen ausbieten vor uns armen Schweinen, den Lesern. Vieles hätte eben nicht rumort in den Schubladen, wenn es dringeblieben wäre.
Ein paarmal ist jene beschworene Alternative zur großen Maschine bei Born vorhanden wie fernes Wetterleuchten, noch ohne Donner, so in seiner »Rede zur Verleihung des Bremer Literaturpreises": »Meine Klage ist cmotional, und ich habe aufgehört, mich deshalb für inkompetent zu halten. Ich habe genug gesehen, gehört und gelesen, auch von sogenannten Experten. Ich weigere mich, mich Tag für Tag aufs neue, wie es heißt, 'sachkundig zu machen'.«
Und noch unübertrefflicher am Beginn der Gorleben-Rede: »Liebe Freunde, wer uns entsorgen will, den wollen wir stillegen.« Hier ist die Rede der Maschine ins Herz getroffen, so daß sie für die Dauer solcher Sätze nur noch lächerlich röchelt. So hätte ein S.163 heutiger Georgsritter mit Worten umzugehen, wenn er auf den Drachen trifft. Aber ein Georg ist eben der nicht, der wie Born nur dauernd vom vorhandenen Drachen redet oder -noch schlimmer -- selber die Sprache des Drachens spricht, ohne daß er's merkt.
Einigen dieser Aufsätze sieht man an, welche Verheerungen der Literaturbetrieb bei Born angerichtet hat, jenes Gefühlchen, dabeizusein und dazuzugehören. Da lobt man sich hin und her zwischen dem Theobaldy, dem Brinkmann, dem Born und dem Widmer und der Kirsch, und alle attestieren sich gegenseitig, wie viel sie aneinander haben, der Jürgen am Nicolas, der Nicolas am Rolf Dieter, am Urs und an der Sarah. Welch eine Kumpelei, die eben den Mangel an wirklich literarischer Gesellschaft und Kultur durch ihre Provinzialität nur sichtbarer macht. Alle diese einzelnen sind wahrscheinlich sehr viel besser als der literarische Zirkus, den sie miteinander aufführen, vor allem auch der Born.
Da hat er nun in seiner Antrittsrede vor der Mainzer Akademie gesagt: »Ich hoffe auch, daß ich niemals etwas Nützliches schreibe im Sinne einer Dienstleistung oder eines 'ökonomischen Fortschritts'.« Seine Hoffnung wurde enttäuscht; seine Tragik ist, daß er es dennoch getan hat mit diesen Aufsätzen, trotz allen geredeten Protests. Warum nur hat man ihm diese Edition angetan und uns nicht den besseren Born gelassen, den wir bislang hatten?
S.160
Beschreiben sie Alternativen, Gegenbilder? Bestehen sie auf dem
Realitätsanspruch imaginärer Gegenwelten? Setzen sie wenigstens ihre
ganze Phantasie ein, ein Leben ohne Entfremdung zu beschreiben
Jeziorkowski Nicolas Born: »Die Welt der Maschine« Herausgegeben von
Rolf Haufs 224 Seiten 24 Mark Rowohlt Verlag Reinbek Schriftsteller
Born: Der Maschinensprache verfallen oder eine glückliche
Liebesgeschichte, selbst wenn sie dabei erkennen müßten, daß ihre
Phantasie dazu nicht ausreicht? Halten sie die Provokation aus, sich
der Gesellschaft zu entfremden, wenn die zu einem einzigen
Entfremdungsapparat geworden ist? Nein, denn sie haben sich
integriert und integrieren lassen. Sie beschreiben die vorgefundenen
Verhältnisse in der wahnwitzigen Hoffnung darauf, daß die Erkenntnis
der Misere die Misere »verändert«.
Und ein Stückchen weiter heißt es:
Derart bandagierte und geschiente Autoren verzichten geradezu auf
kritische Wirkung. Je eindeutiger sie ihre Position darstellen, um
so resistenter wird das Publikum dagegen, denn es identifiziert mit
Recht das literarische Produkt mit dem erklärten Programm des
jeweiligen Autors, so wie man vom Milchmann nichts anderes als Milch
erwartet. Die Nostalgie ist als Späteffekt von vornherein in dieser
Autor-Publikum-Beziehung enthalten.
Es ist natürlich nicht unter der Würde der Literatur zu informieren,
aber es bleibt unter ihren Möglichkeiten. Literatur als bloßes
Transportmittel für systemimmanente Kritik (und zur systemimmanenten
Kritik muß auch die revolutionäre Attitüde gerechnet werden) kann
nur noch vordergründige Effekte hervorbringen: eine penetrante
affirmative Leier für oppositionelle Minderheiten.
Der gesellschaftskritische Autor, gleichgültig ob er sich für einen
Reformer oder Revolutionär hält, ist auf die Misere abonniert. Er
kann nicht verhindern, daß er zum Gewohnheitskritiker wird und zum
kritischen Partner der Macht.
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