ASTRONOMIE/ RÄTSELSTERNE Kleine grüne Männer
Dreimal kurz, lautet die Botschaft aus dem All. Und mit maschinengleicher Präzision wieder und wieder kommt das Funkzeichen: dreimal kurz.
Den kosmischen Code, empfangen aus der Nordregion des Mitternachtshimmels, haben die Astronomen bislang nicht zu entschlüsseln vermocht. Die rätselvoll unirdische Kunde bestürzt sie fast, wie einst den Babylonier-König Belsazar die unheilvolle Flammenschrift des Menetekel upharsin -- gezählt, gewogen und zu leicht befunden scheint nun auch des Menschen Wissenschaft vom Universum.
Seit empfangsstarke Radioteleskope und weitblickende Raumsonden in den letzten Jahren mehr und mehr Kunde von Rätselsternen und merkwürdigen Strahlungsquellen im Weltall einfangen, können die Sternforscher nur mehr mit Spekulationen die Welt erklären (SPIEGEL 9/1968). In den vergangenen Wochen aber häuften sich die Beobachtungen ungewöhnlicher Himmelserscheinungen derart, daß nun das seriöse American Institute of Physics in New York schon fragte: »Gibt es ein Gespenst im Kosmos?«
Nur halb im Spaß hatte das britische Forscher-Team, das jüngst das geheimnisvolle Morsen im Weltraum belauschte, die Quellen dieser Strahlung als »LGM« bezeichnet: als »Little Green Men« kleine grüne Männer. Denn die unirdischen Impulse klingen wie Roboter-Sprache oder Informationen von übermächtigen Intelligenzen.
Exakt alle 1,3372795 Sekunden kehrt das bislang am häufigsen abgehörte Dreimalkurz-Signal wieder, so genau wie ds Zeitzeichen einer irdischen Quarzkristall- oder Atomuhr. Nach jeweils einer Minute verstummt die Strahlung aus der Himmelsregion zwischen den sichtbaren Sternen Wega im Sternbild Leier und Alair im Adler für etwa drei Minuten, bis die astronomischen Antennen von neuem den Tripel-Impuls einfangen.
Wärend der Minuten-Sendezeit wechselt, wie LGM-Astronom Dr. Anthony Hewish und seine Mitarbeiter vom Radio-Observatorium der Universität Cambridge berichten, die Stärke der einzelnen Funktöne, wie wenn dadurch eine Nachricht in einzelnen Buchstaben übermittelt würde.
Aber ob sie von den Todeszuckunggen eines ausglühenden Sterns, dem Aufflackern einer gewaltigen neuen Sonne oder den Tagesmeldungen einer außerirdischen Super-Zivilisation künden, ist auf Erden bislang nicht auszudeuten. »Jedermann«, so umschrieb Dr. Frank Drake, Direktor des Radio-Observatoriums auf Puerto Ri-
* Im Radio-Observatorium Cambridge.
co, die Hilflosigkeit der Wissenschaftler, »zuckt mit den Schultern.«
Dabei liegt die kosmische Signalstation -- nach Astronomen-Maßstäben -- gleich um die Ecke. Die Impulse, so haben Hewish und seine Mitarbeiter Sir Martin Ryle und Judy A. Bailey inzwischen aus der Art der Funkzeichen geschlossen, entströmen einer Strahlungsquelle von weniger als 5000 Kilometer Durchmesser, die nur etwa 100 bis 200 Lichtjahre entfernt ist und in demselben Spiral-Arm der Milchstraße liegt wie die Erde.
Überdies entdeckten die Cambridge-Astronomen an dieser Stelle des Firmaments ein äußerst schwach bläulich schimmerndes Objekt. Wenn aber dieser Stern die rätselhafte Funkbake wäre, müßte er -- wie Ryle und Bailey errechneten -- die Impulse mit der hunderttausendfachen Energie der stärksten vordem beobachteten Strahlungsquellen aussenden, der sogenannten Quasars.
»Die Messungen«. so kommentierte die britische Wissenschaftszeitschrift »New Scientist« den Fund des Hewish-Teams, »deuten auf einen Weißen Zwerg oder einen Neutronenstern.« Als Weiße Zwerge bezeichnen Astrophysiker Sonnen von unvorstellbarer Dichte -- und sie bezweifeln kaum mehr, daß es sie gibt. Ein Kubikzentimeter Materie eines solchen Himmelskörpers wiegt vermutlich einige tausend Tonnen -- als wäre ein Güterzug in einen Fingerhut gepreßt. In Neutronensternen, deren Existenz bisher nur vermutet wird, sollen die Atomteilchen noch enger zusammengepfercht sein.
Die Anzeichen dafür, daß verhältnismäßig nahe der Erde derartige geballte Ladungen ihr unverständliches Wesen treiben, beschäftigt die Astronomen längst nicht mehr als nur abseitiges Spezial-Phänomen. Vielmehr hegen sie den Verdacht, daß die rhythmischen Funkzeichen der LGM -- im ernsthaften Wissenschaftler-Disput »Pulsars« genannt- nur ein neuerlicher Hinweis auf die Unzulänglichkeit des bislang gültigen Weltbildes sind.
Denn ebensowenig wie die himmlischen Morse-Meldungen lassen sich etliche andere Beobachtungen der jüngsten Zeit mit den Hypothesen der modernen Astrophysik erklären.
So mußte jüngst ein Forscher-Team vom Observatorium auf dem kalifornischen Meunt Palomar den ohnehin verblüffenden Quasars geradezu absurd anmutende Eigenschaften attestieren.
Diese Objekte, SO schließen Mount-Palomar-Astronom Alan Sandage und seine Mitarbeiter aus der Art ihrer Strahlung, sind von Spuren eines Gases umgeben -- das es nach überkommenem Wissen gar nicht geben kann. Alle Versuche, die Befunde der Fern-Analyse dieses Gases in das System der nach jetziger Erkenntnis vorstellbaren Stoff-Welt einzuordnen, schlugen fehl. Nebenher berechneten die Wissenschaftler neuerlich das Ausmaß der Materie-Verdichtung in den Quasars. Ergebnis: etwa so, als wäre eine Eisenkugel vom Durchmesser des gesamten Sonnensystems zu einem Staubkörnchen geschrumpft.
Daß die Geschichte des Kosmos möglicherweise neu geschrieben werden muß, meint eine andere Wissenschaftlergruppe. Die bislang bevorzugte Hypothese der Weltentstehung -- ein Urblitz, aus dem das Universum sich entfaltete -- hatte vor einiger Zeit durch eine seltsame Beobachtung Auftrieb erhalten: Eine im Kosmos allgegenwärtige sogenannte Hintergrund-Strahlung ("Drei-Grad-Kelvin-Wärmestrahlung") wurde gleichsam als Nachglanz dieses Urblitzes gedeutet.
Nun aber entdeckten der Astronom Frank Low und seine Mitarbeiter an der Universität von Arizona neue kosmische Strahlenquellen: ferne Galaxien, deren Energieausstoß so gewaltig ist, daß er sehr wohl diese Allgegenwart geringfügiger Wärmestrahlung erklären könnte -- zum Schaden der Urblitztheorie.
Eine kosmische Fata Morgana schließlich wähnte eine dritte Gruppe amerikanischer Sternforscher zu erkennen, als sie die immer geheimnisvollere Vielfalt der Erscheinungen analysierte. Das ganze Universum, so die These von Dr. Vahé Petrosian und Dr. Edwin Salpeter, jüngst vorgetragen im »Astrophysical journal«, wirke wie eine überdimensionale optische Linse, Der Kosmos -- laut Albert Einstein ein in sich gekrümmter Baum -- bündele die Strahlung von Quasars und lasse dadurch an bestimmten Stellen des Weltalls geisterhafte Abbilder von Original-Quasars erscheinen.
Es war ein Aufbruch, der schon bis an die Grenzen und zum Urbeginn der Welt zu führen schien, als die Forscher in den letzten zwei Jahrzehnten mit ihren arenaweiten astronomischen Antennen den Zustrom neuer, bis dahin nie wahrgenommener kosmischer Signale auffingen -- mit einem technischen und finanziellen Aufwand, wie er in der Wissenschaft vom Universum nie zuvor hatte getrieben werden können.
Schon glaubten einige Himmelsforscher, so der Norweger Jan-Erik Solheim, mit Hilfe der neuen Apparaturen den ganzen Weltkreis ausforschen zu können. Solheims Idee: Wenn die Radiosignale von Quasars, wie sich vermuten läßt, durch den gekrümmten Raum auf einer Bogenbahn die Erde erreichen, so müßten die zur genau entgegengesetzten Seite ausgesandten Quasarwellen ebenfalls zur Erde dringen -- gleichsam vom anderen Ende der Unendlichkeit her. Der kosmische Kreis, meinte der norwegische Wissenschaftler, wäre geschlossen; und an den Strahlen, die das ganze All durchmessen hätten, könnte die Beschaffenheit weit entfernter Weltraum-Gegenden abgelesen werden.
Aber je weiter die Sternenforscher mit ihrem Handwerkszeug zu immer ferneren Grenzen des Universums vorstießen, um so verwirrender und undeutlicher wurde, was sie sahen. Kleinlaut, von Zweifel und Unsicherheit geplagt wie nie vorher, fragen sich Astronomen und Astrophysiker auf Kongressen und in Journalen, ob ihre Instrumente Wahrheit melden -- oder nur Himmelsspuk.
Der Blick durch die Riesenteleskope, der von kosmischen Zusammenbrüchen und vielleicht von außerirdischen Intelligenzen kündete, brachte vorerst die Gebäude irdischer Intelligenz zum Einsturz.
»Das Weltbild der modernen Kosmologie«, umschrieb das britische Wissenschaftsblatt »New Scientist« die gegenwärtige Situation der Astronomie, »ist erst einmal zusammengebrochen.«
* Zwei nahe beieinanderliegende Strahlungsquellen unterschiedlicher Intensität.