Zur Ausgabe
Artikel 54 / 79

Klima für Dinosaurier

Was einst -- zur Zeit der Atombombenversuche -- von Laien befürchtet wurde, ist jetzt Besorgnis angesehener Klimaforscher in Ost und West: Der Mensch könnte das Weltwetter auf Dauer zum Schlechten verändern. Durch die Verbrennung immer größerer Mengen Öl und Kohle werde ein Treibhausklima geschaffen -- mit katastrophalen Folgen für alle Bewohner des Planeten.
aus DER SPIEGEL 35/1977

Das Traumwetter für den Urlaub '77 hängt immer noch beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach am Schwarzen Brett, vorhergesagt am 10. Juni, allerdings »nur für den internen Gebrauch, nicht zur Weitergabe an Funk, Fernsehen und Zeitungen

Wortlaut der Prognose: »Nach den bisherigen Anzeichen dürfte der Hochsommer 1977 zu trocken und zu warm ausfallen.«

Das Wetter-Horoskop für Insider blieb leeres Versprechen. Juli-Bilanz im Schwarzwald: vier Sonnentage, an der Nordsee waren es drei. An der Ostsee, meldete »Welt am Sonntag«, gab es »Sonne und blaues Meer nur am Kiosk« -- auf Ansichtskarten.

Mit Wolkenbrüchen im Süden und im Norden »für die Jahreszeit zu kühl« begann auch der Hochsommermonat August. Im Landkreis Garmisch-Partenkirchen wurde Katastrophenalarm gegeben -- Überschwemmung am Rathausplatz, Autobahn streckenweise unbefahrbar.

Doch das waren nur die kleineren Kapricen im Weltwetter des ersten Halbjahres 1977.

Einem der kältesten Winter an der US-Ostküste -- erfrorene Tomaten in Florida, Schneeflocken auf den Bahamas -- folgte einer der heißesten Dürre-Sommer: kein Floßfahren mehr im Grand Canyon, Wasserrationierung in Kalifornien. Und ähnliche Superlative gab es in Europa: Nach einem der kältesten Frühjahre in der Geschichte brachen die Junitemperaturen in Griechenland und der Türkei alle Rekorde -- 49 Grad im Schatten.

Nach mehreren Jahrzehnten ungewöhnlich stabiler und freundlicher Klimaverhältnisse, so konstatieren die Meteorologen einhellig, sei »der Planet Erde in eine Periode von extremen Wetterlagen eingetreten« (so der britische Klimatologe Hubert Lamb). Und nicht länger sehen die Wetterforscher darin bloß harmlose Launen der Natur.

Wie nah oder wie fern die nächste Eiszeit und wie bedeutungsvoll die Sonnenflecken für das irdische Wetter seien, darüber hatten sich Klimaforscher in der Vergangenheit gestritten.

Nun aber zeichnet sich erstmals weltweit Übereinstimmung unter den Wissenschaftlern ab: daß eine Entwicklung im Gang sei, die der Menschheit nicht erst in Jahrtausenden oder Jahrmillionen, sondern schon in absehbarer Zukunft gefährlich werden könnte -- das Klima der Erde ist im Begriff, sich zu verändern.

Diese Gefahr zeigten Wissenschaftler Ende letzten Monats auf -- Resümee einer großangelegten Studie im Auftrag der amerikanischen Akademie der Wissenschaften. Und alle Indizien deuten darauf hin, daß es vom Menschen verursachte Einflüsse sind, die das Gleichgewicht der irdischen Wetterbedingungen stören.

Schuld an der drohenden Klimaverschiebung sind die vier Milliarden Menschen, die mit Kohle, Erdgas oder Erdöl ihre Wohnstätten heizen, ihre Autos betreiben und ihre Industrieanlagen in Gang halten.

Sie alle sind dabei, den blauen Planeten schon innerhalb der nächsten Jahrzehnte in ein überdimensionales Treibhaus zu verwandeln, mit einem womöglich katastrophalen Effekt: Die Energiebilanz der Erde wird verschoben, die Temperaturen auf der Erde werden allmählich immer höher klettern.

Wie eine Glasglocke, so erkannten die Wissenschaftler, breitet sich eine Schicht von Kohlendioxid (CO2) um die Erde aus. Dieses Gas, das bei jeder Verbrennung von Holz, Kohle oder Benzin freigesetzt wird, hat die Eigenschaft, das von der Sonne kommende (kurzweilige) Licht durchzulassen, die von der Erde zurückgeworfene (langweilige) Wärmestrahlung aber aufzuhalten und zur Erde zu reflektieren (siehe Graphik Seite 144).

Alle Debatten über Grenzen des Wachstums und neue Energieformen, über Atomkraftgefahren und über den Hunger in der Welt nähmen eine andere Richtung, wenn sich die Befürchtungen der Klimaforscher bestätigen sollten:

* Schon innerhalb von zwei oder drei Jahrzehnten könnte sich die Durchschnittstemperatur der nördlichen Hemisphäre um mehr als ein Grad Celsius erhöhen, und schon das hätte schwerwiegende Folgen -- bislang fruchtbare Regionen würden zu Dürrezonen, die dann klimatisch begünstigten weiter nördlich liegenden Zonen könnten den Verlust nicht wettmachen.

* In etwa 200 Jahren könnte sich die Treibeisgrenze bis weit nördlich von Spitzbergen zurückgezogen und der Wasserspiegel der Weltmeere um sechs Meter erhöht haben -- zahllose Küstenstädte würden überflutet.

* Um die Mitte des 22. Jahrhunderts könnte der CO2-Gehalt der Atmosphäre sich (bezogen auf den Zustand zu Beginn der Industriellen Revolution) vervierfacht oder sogar verachtfacht haben -- und dieser Zustand würde dann über mindestens 1000 Jahre anhalten. Die Befunde der Amerikaner, die nach Meinung des Klimaforschers Wallace S. Broecker von der Columbia University »das einzige, alles beherrschende Umweltthema der nächsten 30 Jahre werden könnten«, decken sich mit Ergebnissen, die auf zwei europäischen Tagungen vorgetragen wurden.

Wetterforscher und Geologen, die sich vor wenigen Wochen im holsteinischen Ratzeburg trafen, warnten gleichfalls vor dem gefürchteten CO2-Effekt. Klimatologen und Chemiker, die Ende letzten Jahres auf einer »Dahlem-Konferenz« in Berlin »globale chemische Kreisläufe und ihre Änderung durch den Menschen« diskutierten, sagten »unvorstellbare Folgen für Klima und Wirtschaft« vorher, wenn durch den CO2-Effekt »schon Mitte des kommenden Jahrhunderts der arktische Ozean eisfrei sein würde«.

Diese Entwicklung, so warnte dort der Nestor der deutschen Klimatologen, Professor Hermann Flohn, »könnte nur verhindert werden, wenn es gelingt, das Energieproblem auf internationaler Ebene zu lösen, und wenn die hypnotisierende Idee vom unbegrenzten Wachstum -- die zwangsläufig iii die Katastrophe führt -- durch einen akzeptablen Kompromiß überwunden werden kann«.

Schon im nächsten Monat soll ein internationales Wetterforschungsprojekt starten, an dem praktisch alle Länder der Erde beteiligt sind: Amerikanische und europäische, japanische und sowjetische Erdsatelliten, mehr als 50 Forschungsschiffe und viele hundert Höhenforschungs-Ballons sollen für »Garp« ("Global Atmospheric Research Program") ausschwärmen.

Ziele des Unternehmens sind vor allem ein besseres Verständnis langfristiger Klimaänderungen und eine Verbesserung des Instrumentariums für kurz-- und mittelfristige Wettervorhersagen.

Speziell bei Prognosen, die sich über zwei Wochen oder mehr erstrecken, sind die beamteten Wetterforscher vorerst noch kaum über Trefferquoten hinausgekommen, wie sie auch beim Ausknobeln zustande kämen. Die mißlungene Sommer-Vorhersage für den internen Dienstgebrauch in Offenbach beispielsweise war weniger nach wissenschaftlichen als nach den Methoden des hundertjährigen Kalenders erstellt worden: Die Forscher hatten in ihren Archiven nach Parallelen für den Wetterverlauf des Frühjahrs 1977 gesucht und entsprechende Schlüsse für den Sommer gezogen.

Für die amtliche Wettervorhersage, wie sie tagtäglich von den Medien verbreitet wird, rechnen Computer das Wetter jeweils nur für einen Zeitraum von 96 Stunden voraus. Dabei erreichen die Offenbacher Wetter-Rechner eine nennenswerte Zuverlässigkeit (durchschnittliche Trefferquote: 86 Prozent) einstweilen nur für jeweils 48 Stunden; die Prognosen für Süddeutschland sind dabei etwas trefflicher, die für den Norden etwas weniger verläßlich.

Das Datenmaterial für die Vorausberechnung bilden 2500 Meßpunkte, die als Rasternetz -- durchschnittlicher Punktabstand: 380 Kilometer -- über die nördliche Hemisphäre verteilt sind. Zweimal täglich, um 0 und um 12 Uhr Weltzeit, steigen an 1000 Wetterstationen Ballons bis zu 50 Kilometer in die Stratosphäre auf. Die Radiosonden der Balions messen dabei in verschiedenen Höhen Luftdruck, Temperatur und Windgeschwindigkeit und funken die Werte zu den Bodenstationen.

Nach komplizierten mathematischen Gleichungen, in denen Faktoren wie etwa die Erdrotation, die Zentrifugalkraft der Luftströmungen und die Bremswirkung von Gebirgen, Wald oder Meer auf die Windbewegung berücksichtigt sind, rechnen sodann die einzelnen nationalen Wetterämter in die Zukunft.

Der Computer in Offenbach beispielsweise ist programmiert, die mutmaßlichen Änderungen der gemessenen Werte in kleinen Zeitschritten von jeweils fünf Minuten weiterzurechnen. Um das Datenmaterial verläßlicher zu machen, werden die errechneten Ergebnisse alle drei Stunden über die weltumspannende Wetterdaten-Leitung mit den anderen Rechenzentren ausgetauscht.

Rund acht Stunden vergehen zwischen dem täglichen Start der Höhensonden und dem Zeitpunkt, an dem der Offenbacher Computer den auf 48 Stunden vorausberechneten veränderten Zustand auswirft. Freilich, es bleibt die Kunst der Meteorologen, die vom Computer gelieferten Einzeldaten dann zu einem kompletten Vorhersage-Bild zu fügen -- ähnlich der Rätselaufgabe in einer Kinderzeitschrift, bei der numerierte Punkte zu einer Figur verbunden werden müssen.

Ungenauigkeiten ergeben sich schon daraus, daß der Abstand der Meß-Stationen nicht mit den 2500 Rechenpunkten des Computer-Modells übereinstimmt -- viele Rechenpunkte sind nur Extrapolationen aus den jeweils nächstgelegenen, tatsächlich gemessenen Werten. Im Atlantik, der europäischen Wetter-Küche, liegen beispielsweise nur vier Meßschiffe vor Anker (Gitterpunkt-Abstand: 1500 Kilometer), doch auch wenn das Beobachtungsnetz dichter ist (sechs Höhenmeßstationen und 80 Bodenmeßstellen arbeiten in der Bundesrepublik), lassen sich etliche Faktoren und Feinheiten des Wettergeschehens einstweilen nur schwer erfassen.

So berücksichtigt etwa das derzeit im Offenbacher Computer verwendete Wettermodell weder die Intensität der Sonneneinstrahlung noch die Luftfeuchtigkeit an den einzelnen Meßpunkten. Und auch die Reibung der Luftmasse am Boden, die sich beispielsweise schon ändert, wenn im Herbst die Felder abgeerntet sind, wird allenfalls näherungsweise erfaßt.

Eine Verbesserung ihrer Vorhersage erhoffen sich die Offenbacher Meteorologen von neuen technischen Hilfen: Gegenwärtig wird ein neuer Computer erprobt, der die »Trendvorhersagen« (für jeweils 96 Stunden) zuverlässiger machen soll. Das Gerät rechnet in kleisogenannten feuchten Modell berücksichtigt pro Meßpunkt zehn statt bisher nur sechs Höhenmeßwerte. Außerdem soll es erstmals mit einem sogenannten feuchten Modell beschickt werden (Einbeziehung der Luftfeuchtigkeit), und der Gitterpunktabstand soll um 40 Prozent auf 250 Kilometer verringert werden.

30 Millionen Mark kostei die neue Computeranlage, die vom Herbst dieses Jahres an die Offenbacher Wahrsagekraft verstärkt. Ein wenig dürfte auch das Meßloch auf dem Atlantik ausgefüllt werden, wenn im November dieses Jahres der erste europäische Wettersatellit über dem Äquator »aufgehängt« wird. »Meteosat« soll alle 30 Minuten ein Funkbild vom Wolkenmeer über Europa liefern, zusätzlich aber auch mittels Infrarotsensoren eine größere Anzahl Temperatur-Meßdaten erdwärts funken.

Doch selbst mit verbesserter Elektronik und einem dichteren Datennetz bleibt die Wettervorhersage »neben der Vorausberechnung menschlichen Verhaltens die zweitschwierigste Wissenschaft der Welt«, wie es Ende letzten Monats auf einer internationalen Meteorologen-Tagung in Hamburg der französische Wetterforscher Henri Treussart formulierte.

Auch mit dem neuen Rechner, so erklärten die Offenbacher, wird ihre tägliche Vorhersage, wie sie in Gestalt von Schäfchenwolken und Kindersonnen über die Fernsehschirme flimmert, den bisherigen Zuverlässigkeitsgrad kaum übertreffen können. Denn auch das 250-Kilometer-Gitternetz ist noch zu weitmaschig, um alle lokalen Wettervariationen exakt vorherzusagen.

Genauer werden soll jedoch die »Trend-Vorhersage«, der 96-Stunden-Vorausblick auf das Wetter am Vatertag oder am Wochenende.

Bislang ist das Entstehen von Wetterkonstellationen, sind die Zusammenhänge des Weltwetter-Systems noch ein fast unüberschaubares Gewirr von Rückkopplungen und Wechselwirkungen -- und was sich vielleicht noch am klarsten erkennen läßt, sind Klimatrends über Jahrzehnte und Jahrtausende.

Welchen Einfluß aber die menschliche Zivilisation auf die komplexen Gleichgewichts-Systeme der globalen Wettermaschine schon genommen hat, ist naturgemäß umstritten. Ausgewirkt beispielsweise hat sich zweifellos die großflächige Rodung von Wäldern im Mittelmeerraum: Überschätzt hingegen wurden die einst so heftig diskutierten Wirkungen von Atombombenversuchen.

Schwerwiegende Folgen wird die Abholzung etwa der südamerikanischen Tropenwälder oder auch der Wälder im Nordwesten Indiens haben, die derzeit ungehemmt betrieben wird: Die »Desertifikation« (Wüstenbildung) und die »Deforestation« (Entwaldung), wie die Fachleute es nennen, schreiten unaufhaltsam fort.

»Große Teile von Nordwestindien«, heißt es in einem Bericht des amerikanischen »Worldwatch Institute«, der Anfang des Monats erschienen ist, »beginnen einer Mondlandschaft zu gleichen.« Und an der Südgrenze der Sahara sind während der letzten 50 Jahre schätzungsweise 650 000 Quadratkilometer Farm- und Weideland zu Wüsten geworden -- zweieinhalbmal soviel wie die Gesamtfläche der Bundesrepublik.

Zu hoch eingeschätzt wurde nach Meinung der Experten bislang der Effekt einer direkten Aufheizung der Atmosphäre durch menschliche Zivilisation, außer auf das lokale Wettergeschehen in Ballungsräumen. Insgesamt, so heißt es in dem jüngst veröffentlichten Bericht der amerikanischen Akademie der Wissenschaften, entspricht die Wärmeerzeugung durch die Menschen nur etwa einem Zehntausendstet der von der Sonne kommenden Wärmeeinstrahlung.

Um so bedenklicher aber erscheint den Wissenschaftlern nun die deutlicher sich abzeichnende Kohlendioxid-Gefahr. Für so schwerwiegend halten die Forscher »die möglichen klimatischen Folgen« der CO2-Ansammlung, daß sie nicht ausschließen, die Menschheit müßte sich »innerhalb der nächsten 50 Jahre« endgültig von den fossilen Brennstoffen verabschieden.

Noch bis vor wenigen Jahren waren die Klimaforscher uneins über die Folgen des zunehmenden CO2-Anteils in der Atmosphäre. Einige meinten gar, der Kohlendioxid-Mantel werde langfristig zu einer Abkühlung beitragen.

Inzwischen aber haben Chemiker und Physiker -- nach zahlreichen Messungen mit Satelliten und Simulationsversuchen in Labors -- keinen Zweifel mehr, daß sich der fatale »Gewächshauseffekt« tatsächlich einstellt.

Seit Beginn des Industriezeitalters, so haben Messungen ergeben, ist der CO2-Anteil in der Atmosphäre um 13 Prozent gestiegen. Fast die Hälfte der bei allen Verbrennungsvorgängen während dieser 100 Jahre freigesetzten CO2-Mengen ist in der irdischen Lufthülle noch vorhanden.

Der Gaskreislauf in der Natur ist offenbar schon nachhaltig gestört. Während durch den steigenden Einsatz fossiler Brennstoffe immer mehr CO2 freigesetzt wird, verringert sich zugleich durch die Rodung riesiger Waldflächen die »Biomasse«, die beim Vorgang der Photosynthese das CO2 aus der Luft aufnimmt und den Sauerstoff wieder freisetzt. Überdies werden auch die Weltmeere künftig immer weniger CO2 absorbieren können, weil die oberen Wasserschichten mit dem Gas zunehmend gesättigt sind.

In der nördlichen Hemisphäre sind erste Folgen des CO2-Effekts schon sichtbar. Die Treibeisgrenze -- empfindlichster Indikator für die Klimaentwicklung auf der Nordhalbkugel -- hatte sich Anfang der 70er Jahre bis an die Nordküste Islands vorgeschoben, seither weicht sie wieder zurück.

Doch auch wie beängstigend es weitergehen würde, haben sowjetische, amerikanische und westdeutsche Klimatologen im Computermodell schon durchgespielt: Eine Verdoppelung des CO2-Gehalts der Atmosphäre -- beim bisherigen Brennstoffverbrauch und zunehmender Weltbevölkerung in etwa 50 Jahren zu erwarten -- brächte einen Anstieg der Durchschnittstemperatur in den gemäßigten Zonen um drei Grad Celsius mit sich, dazu eine Erhöhung der Niederschläge um sieben Prozent. Würde der gegenwärtige Trend noch länger anhalten, so wäre bereits um das Jahr 2200 ein weltweiter Anstieg der Durchschnittstemperatur von sechs Grad Celsius zu erwarten -- auf der Erde herrschte dann wieder ein Klima wie vor 70 bis 100 Millionen Jahren, im sogenannten Mesozoikum, das noch von Dinosauriern bevölkert war.

All diese Folgen, so erläuterten amerikanische Wissenschaftler, würden noch weit früher Wirklichkeit, wenn die Menschen nicht aufhörten, außer dem CO2 auch noch sogenannte Spurengase, vor allem Fluorkohlenwasserstoff (Treibmittel in Sprayflaschen) in die Atmosphäre zu pusten. Denn diese Gase wirken in noch viel stärkerem Maße als Reflektor für die von der Erde abgestrahlten Wärmemassen.

Anfangs würden viele Bewohner der nördlichen Hemisphäre die Klimaänderung wohl sogar als angenehm empfinden: wärmere Sommer, weniger kalte Winter -- besonders in Mitteleuropa -, vielleicht stabileres Wetter als etwa in diesem Sommer.

Längerfristig jedoch wären die Auswirkungen katastrophal. Es würden sich beispielsweise die oberen Schichten der Weltmeere erwärmen. Ein Anstieg der Temperatur um nur durchschnittlich fünf Grad bis in 1000 Meter Tiefe würde bereits (durch die Ausdehnung des Wassers) den Meeresspiegel um einen Meter heben.

Die Erwärmung führte darüber hinaus zu einem weitgehenden Abschmelzen des dünnen Treibeises im Arktischen Meer, aber nicht, wie man denken könnte, auch zu einem Abschmelzen der kontinentalen Eiskappen von Grönland und Antarktika. Die Temperaturen würden zumindest in Polnähe unter dem Gefrierpunkt bleiben und die zusätzliche Feuchtigkeit dort als Schnee niedergehen lassen.

Die Dicke des Polareises würde sich beträchtlich erhöhen, und unter dem vorhandenen Druck der Eismassen könnten in der Tiefe gewaltige Blöcke etwa des Eises in der westlichen Antarktis ins Meer gepreßt werden. Befürchtete Folge: Anstieg des Meeresspiegels um etwa fünf Meter.

»Go poleward young man«, könnte dereinst ein Ruf amerikanischer Farmer erschallen, weil sich die fruchtbaren Landstriche immer weiter polwärts verlagern. Zugleich aber würden Dürrezonen und Wüsten immer weiter nach Norden und Süden vordringen, riesige Landstriche wurden unter der Klimaänderung veröden.

Nur menschlicher Einfallsreichtum, darüber sind sich die Klimatologen einig, wird das vom Menschen in die Welt gesetzte CO2-Problem dereinst lösen können. Freilich sind -- außer einer drastischen Einschränkung der herkömmlichen Energiequellen -- Lösungsvorschläge nicht in Sicht.

Allenfalls einige nicht ganz ernstzunehmende, die in dem Bericht der Wissenschaftskommission diskutiert (und verworfen) werden. Die Treibhauserwärmung der Erde, so lautete ein Vorschlag, ließe sich verhindern, wenn mehr Sonnenlicht direkt ins Weltall reflektiert würde. Das könnte etwa geschehen, indem man Myriaden schimmernder Kunststoffplättchen auf den Weltmeeren ausstreut.

Allerdings: 50 Millionen Tonnen jährlich, im Gegenwert von etwa zwölf Milliarden Mark, wären nötig, um den gewünschten Effekt zu erzielen, und niemand könnte sicher sein, daß sich die Spiegelplättehen nicht, zu riesigen Dünen gehäuft, an den Badestränden wiederfänden.

»Angesichts so zahlreicher Ungewißheiten«, heißt es im Akademie-Bericht, »könnte man denken, eine Politik des Laissez-faire wäre das klügste.«

Aber eine solche Haltung sei, angesichts der 1000jährigen Verweildauer des tückischen Kohlendioxids in der Atmosphäre, nicht vertretbar. Fazit der Wissenschaftler: »Wenn wir unsere Gegenmaßnahmen hinausschieben, bis die Wirkungen der Treibhausglocke sich richtig bemerkbar machen, ist es zu spät. Die Würfel sind dann gefallen.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 54 / 79
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren