»Knüppel auf den Hasen«
SPIEGEL: Herr Gernhardt, die Deutschen schätzen Sie vor allem als gewitzten Nonsens-Literaten. Leiden Sie unter der Narrenkappe?
Gernhardt: Sofern sie nicht mit einer Blödelmütze verwechselt wird, kann ich mit ihr leben. Ob mir auch noch andere Kopfbedeckungen zustehen, zum Beispiel der Dichterlorbeer, kann anhand meines neuen Gedichtbandes »Weiche Ziele« überprüft werden.
SPIEGEL: Dieser Kopfputz ist Ihnen ja bisher versagt geblieben, kein Wunder angesichts solcher Gossenverse: »Der Kragenbär, der holt sich munter, einen nach dem andern runter.«
Gernhardt: Immerhin ist dieser Zweizeiler ein gutes Beispiel für die Macht des Wortes. Er stammt aus den Sechzigern, wurde vertont, in zoologischen Fachaufsätzen zitiert und auf Uni- und Toilettenwände gekritzelt. Ich bin ihm unlängst wieder begegnet.
SPIEGEL: Fühlen Sie sich auf dem Klosett gut aufgehoben?
Gernhardt: Besser als in Büchern, die keiner liest. Ich habe immer Dichter verehrt, denen Zeilen gelungen sind, die _(* Vor dem Friedhof seines Feriendorfs ) _(Montalo. Das Gespräch führten die ) _(Redakteure Joachim Kronsbein und Peter ) _(Stolle. ) sich unwiderstehlich in die Leserhirne bohrten. Etwa Rilke mit seinem »Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.«
SPIEGEL: Deutsche Gegenwartslyriker sind wohl nicht solche Bohrwürmer?
Gernhardt: Außer Ernst Jandl und F.W. Bernstein scheint das niemandem zu gelingen. Jandls »Ottos Mops kotzt« und Bernsteins »Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche« sind zwei Leuchtfeuer im Lyrik-Mainstream des allgemeinen mürrischen Parlandos. Seit die Dichter die alten Suggestionstechniken Reim, Rhythmus und Metrum kampflos der Werbung überlassen haben, sind ihre Tonfälle immer austauschbarer geworden.
SPIEGEL: Originalität vermissen Kritiker bisweilen auch beim Erzähler Gernhardt, zum Beispiel beim Prosa-Band »Lug und Trug«.
Gernhardt: Den fanden einige Rezensenten nicht komisch. »Nichts zu lachen«, monierte einer, als ob ich Etikettenschwindel betrieben hätte. Dabei lautete der Untertitel nicht »Lustige Geschichten«, sondern »Exemplarische Erzählungen«. Vielleicht sollte ich meine Bücher in Zukunft zusätzlich mit »E«- und »U«-Aufklebern versehen.
SPIEGEL: Aber in welches Ressort gehören Sie wirklich?
Gernhardt: Ich möchte von Fall zu Fall entscheiden, ob ich meine Feder in den Dienst der Kunst oder eines Unterhaltungsgenres stelle. Die Genres bedienen ja nicht nur geistige Erwartungen, sie befriedigen geradezu körperliche Bedürfnisse. Es ist sicher kein Zufall, daß die fünf Genres unseres Kulturkreises mit den fünf Entleerungsmöglichkeiten des Körpers korrespondieren.
SPIEGEL: Diese Entwässerungstheorie müssen Sie erläutern.
Gernhardt: Beim Melodram fließen Tränen. In der Komödie bepißt man sich vor Lachen. Der Krimi erzeugt Angstschweiß. Der Horror provoziert Erbrechen. Und der Porno zielt auf die bekannten Absonderungen.
SPIEGEL: Ihre Kundschaft neigt demnach zu erhöhtem Harndrang.
Gernhardt: Mir macht es Spaß, solche Erwartungshaltungen zu unterlaufen. Bei Lesungen spüre ich aber manchmal die Versuchung, dem Affen Zucker zu geben und nur noch todsichere Sachen zu servieren.
SPIEGEL: Ihren Lieblingswitz?
Gernhardt: Ich trage doch auf Lesungen keine Witze vor! Ich erzähle sie auch nicht in kleinem Kreise. Nicht einmal meinen Lieblingswitz: Die Pensionswirtin zum Gast, während sie den Morgenkaffee eingießt: »Sieht nach Regen aus.« Antwortet er: »Aber wenn man ganz genau hinguckt, sieht man doch, daß es Kaffee sein soll.« Mal im Ernst: Kursierende Witze überlasse ich grundsätzlich darstellenden Komikern.
SPIEGEL: Etwa Ihrem Freund Otto Waalkes, dem gescheiterten Film-Hanswurst, für den Sie Drehbücher schreiben?
Gernhardt: »Otto - der Liebesfilm« war ein gutgearbeitetes Genre-Produkt, das in einigen Blättern, darunter im SPIEGEL, unverhältnismäßig schlecht gemacht wurde. Mich haben diese Reaktionen deswegen betrübt, weil sie Wasser auf die Mühlen des Produzenten Horst Wendlandt waren. Wir Autoren hatten ihm die Garantien abgetrotzt, an Regie, Drehzeit und Ausstattung nicht zu sparen. Er tat es widerwillig und prophezeite, daß es kein Zeitungsschreiber merken würde. Er behielt recht.
SPIEGEL: Es lag doch nicht an der Inszenierung. Der antiautoritäre Kasper Otto hat sich überlebt.
Gernhardt: Der Kasper, nicht der Komiker. Der wird im Herbst für RTL auf den Bildschirm zurückkehren und mit einer bisher nie gesehenen Spielart generationsübergreifender Komik aufwarten. »Otto - die Serie« ist nämlich zugleich eine Hommage an die alten Edgar-Wallace-Filme. Wir fädeln Waalkes in diese deutschen Filme ein. Da sitzt er dann als Baby Otto dem Gruselstar Elisabeth Flickenschildt gegenüber oder begrüßt als Showmaster Otto den »Grünen Bogenschützen« im Aktuellen Mord-Studio.
SPIEGEL: Da werden Lachsalven durch Altenheime brausen. Ist das der Humor zur Jahrtausendwende?
Gernhardt: Ich glaube, ja. An irgendwas muß der Mensch ja glauben.
SPIEGEL: An welche anderen Komiker glaubt denn der Kritiker Gernhardt noch?
Gernhardt: An all die jüngeren Kräfte, die ihm während der zehnjährigen Tätigkeit als Titanic-Kolumnist aufgefallen sind, also an Leute wie Max Goldt, Simone Borowiak oder Bernd Pfarr. Unter den älteren Herrschaften natürlich an Loriot und Gerhard Polt, obwohl ich gegen dessen Tourismussatire »Man spricht deutsh« einiges einzuwenden hatte.
SPIEGEL: Was hat den Film ruiniert?
Gernhardt: Polts Furcht vor Beifall von der falschen Seite. Um dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit zu entgehen, läßt er im Film lauter engelhafte Italiener auf bornierte Deutsche stoßen. Das ist natürlich viel zu schlicht. Schade, daß er den Stoff so verschenkt hat.
SPIEGEL: Auch die Komiker neigen schon zu freiwilliger Selbstkontrolle.
Gernhardt: So freiwillig ist die gar nicht. Mittlerweile weiß ja jede Gruppierung und jede Figur des öffentlichen Lebens, wie man von Witzen verschont bleibt: Indem man satirische Kritik in eine Verletzung der Menschenwürde ummünzt und ins Feld führt, der Ausrottung der Juden seien nicht zufällig die Judenwitze vorausgegangen. Heute wird jede mißliebige Karikatur gleich als »schlimmster Stürmer-Stil« gebrandmarkt. Darunter tun sie es nicht, die WächterInnen über Gutdenken und Richtigfühlen.
SPIEGEL: Sind Sie selbst schon mal attackiert worden?
Gernhardt: Und ob. Selbst so ein harmloser Nonsens-Vers wie »Der Chines'' spielt leicht ins Gelbe, von Chinas Hasen gilt dasselbe« bekam den Knüppel übergebraten. Diesen Zeilen entnahmen empörte Leser, ich würde »Menschen und Nagetiere« auf eine Stufe stellen. Deutsche Leser natürlich, nicht chinesische. Es handelte sich mal wieder um einen Fall von Stellvertreterentrüstung.
SPIEGEL: Warum sollen Minderheiten denn keine Lobby haben?
Gernhardt: Dann müßten Satiriker auch eine haben. Denn die sind ja auch eine Minorität. Ich finde es wirklich beängstigend, daß all die angeblich emanzipatorischen Bewegungen genauso auf Lachverbote dringen wie Diktatoren oder Fundamentalisten. Hinter jeder Humorzensur lauert dieser finale Blick.
SPIEGEL: Der gemeine Volkshumor nimmt ja überhaupt keine Rücksicht und ist häufig ungeniert obszön.
Gernhardt: Nichts gegen den obszönen Witz! Überall lese ich, der sei aggressiv, frauenfeindlich und menschenverachtend. Und was ist das hier? Vor Jahren hörte ich in einer Kneipe vier fidele Rentner das folgende Liedchen singen: »Und ist der Schwanz geknickt, dann wird nicht mehr gefickt, dann saufen wir die Eier aus und schmeißen den Sack zum Fenster raus.«
SPIEGEL: Sie finden diese zahnlosen Lachsäcke lustig?
Gernhardt: Ich finde sie vorbildlich. Sie demonstrieren, daß die Zote auch positiv eingesetzt werden kann. Für eine höhere Heiterkeit, die sich nicht gegen andere richtet, sondern sich über die eigene Hinfälligkeit lustig macht. Eine Haltung, die natürlich nicht nur Männersache ist. Wenn jemand wie die feministische Linguistin Senta Trömel-Plötz behauptet, der weibliche Humor sei per se integrativ und sauber, so belegen Witzforschungen in Altersheimen gottlob das Gegenteil. Soll ich mal vortragen?
SPIEGEL: Danke, wir zehren noch von dem Herrengedeck. Früher, in Ihrem berüchtigten Frankfurter Humoristen-Zirkel, haben Sie aber keine Frauen geduldet. Waren die Mädels nicht trinkfest?
Gernhardt: Daran wäre eine Zusammenarbeit nicht gescheitert. Es fehlte an Komikerinnen. Wenn F. K. Waechter, F. W. Bernstein und ich uns zusammensetzten, um für Pardon unsere Nonsens-Seite »Welt im Spiegel« zu füllen, dann griffen wir in der Regel zur Feder und nicht zur Flasche. Aber es stimmt: Unter den Pardon-Beiträgern waren Frauen so rar wie im Vorstand der Deutschen Bank. Moment, ich muß mich korrigieren, eine Frau gab es in der Pardon-Redaktion, Alice Schwarzer.
SPIEGEL: Konnte man ihr wirklich Scherz-Artikel abringen?
Gernhardt: Sie ist der seltene Fall einer Person, die ihren natürlichen Humor unterdrückt und vorgetäuschten Ernst für ihre Zwecke instrumentalisiert. Ich erinnere mich an einen kuriosen Ausflug mit ihr nach Agadir in den späten Sechzigern. Eine Illustrierte hatte en detail berichtet, im dortigen Club Mediterranee herrsche ein ungeheuerliches sexuelles Lotterleben - jede mit jedem. Wir sollten recherchieren, und ich hatte mich vorsorglich mit einer Familienpackung Präservative eingedeckt.
SPIEGEL: Kam die Kondomerie zum Einsatz?
Gernhardt: Leider nein. Das Doppelzimmer mußte ich, gegen alle Versprechungen, mit einem Mann teilen. Die Klientel bestand zum großen Teil aus reiferen Ehepaaren - nichts lief. Für Alice war der Höhepunkt ein Zufallstreffen mit Udo Jürgens auf einer Hollywood-Schaukel. Als ich nach Frankfurt zurückkehrte, hörte ich, daß in irgendwelchen Gewerkschaftsheimen im Vortaunus die Sex-Post aber nun wirklich abgehe. Und sofort war ich wieder bereit, das zu glauben. Ohne Paradiesvorstellung ist das Leben offenbar nicht auszuhalten.
SPIEGEL: Ein Paradies ohne Sex ist in Ihrem Werk undenkbar.
Gernhardt: Mein Thema ist eher der Sex, der nicht zustande kommt oder schiefgeht. Um mich selber zu zitieren: »Scheiß der Hund drauf, das Gelingen läßt sich einfach nicht besingen.« Alle gelungenen Beischläfe sind einander im Endeffekt ähnlich, wenn nicht gleich, während jeder mißlungene ein Fall für sich, also auch für den Erzähler ist.
SPIEGEL: Sie verirren sich dabei aber gern ins Zotenrandgebiet. Pubertäre Rückstände?
Gernhardt: Ich hatte eine sehr schwere Kindheit. Ich kam praktisch ohne Zähne zur Welt und war die ersten Jahre so gut wie infantil. Einiges davon habe ich bewahren und an kommende Generationen weitergeben können.
SPIEGEL: Wir wissen das zu schätzen, aber was lernt das deutsche Kind von Ihnen?
Gernhardt: Vor allem Traditionspflege und Bibelfestigkeit. In meiner Jugend hörte ich Zweizeiler wie »Paulus schrieb an die Korinther: Was nicht davor ist, ist dahinter.« 30 Jahre später dichtete ich »Paulus schrieb an die Apatschen: Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen« oder »Paulus schrieb den Irokesen: Euch schreib ich nichts, lernt erst mal lesen«. Weitere 15 Jahre später ließ ein deutscher Studienrat seine Klasse in diesem Sinne weiterdichten, wobei die ebenso schönen wie zeitgemäßen Zeilen entstanden: »Paulus schrieb an die Navajo: Man ißt Oblate nicht mit Majo.«
SPIEGEL: Sie haben sich auch als Dramatiker versucht, mit dem Schauspiel »Die Toscana-Therapie«. Was ist so heilsam an diesem Landstrich?
Gernhardt: Die Leute, die hierherkommen, suchen Ruhe und Schönheit - im Stück und in der Realität. So hab'' ich es auch erlebt, als ich 1972 mit Freunden ein heruntergekommenes Bauernhaus gekauft und restauriert habe. Damals war die Toskana schön billig, heute ist es hier schön laut, schön heiß, schön unübersichtlich.
SPIEGEL: Trotzdem wächst die deutsche Toskana-Fraktion. Was sind das für Nestflüchter?
Gernhardt: Keine hedonistischen SPD-Politiker - jedenfalls nicht in meiner Gegend. Hier überwiegen italophile Einzelgänger, die sich ziemlich gezielt aus dem Wege gehen. Auch mich überkommen in der Toskana häufig Anfälle von Deutschenfeindlichkeit.
SPIEGEL: Was mißfällt Ihnen an den zugewanderten Landsleuten?
Gernhardt: Daß ich ihnen so ähnlich bin: In meiner Furcht, mit dem gewöhnlichen deutschen Touristen verwechselt zu werden, in meiner Einsicht, daß ich um so deutscher werde, je weiter ich mich in die Fremde bewege. Um mich ein letztes Mal zu zitieren: »Italiener sein, verflucht! Ich habe es oft und oft versucht - es geht nicht.«
SPIEGEL: Die Deutschen, ein Volk auf der Flucht?
Gernhardt: Es scheint so, doch je reifer ich werde, desto milder sehe ich mich und die anderen Deutschen, die in ganz Europa, oft unter Opfern, alte Häuser konservieren, ob auf Ibiza, in Burgund oder hier in der Toskana. Entweder ist das genetisch bedingt, oder wir alle folgen einem göttlichen Auftrag an uns Deutsche: »Gehet hin in alle Welt und rettet die Bruchsteinmauern!« Ich jedenfalls habe noch nie einen Italiener im Vogelsberg erlebt, der dort in seiner Freizeit verrottete Bauernhäuser restauriert.
SPIEGEL: Herr Gernhardt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Y
Der Traum vom Sex im Paradies gehört zum Leben
* Vor dem Friedhof seines Feriendorfs Montalo. Das Gespräch führtendie Redakteure Joachim Kronsbein und Peter Stolle.